Bewertung

Review: #19.03 Reden wir über Sex

Mit jeder Folge, die diese Staffel, voranschreitet, kann ich deutlicher erkennen, wie ein "Grey's Anatomy" ohne Meredith Grey aussehen wird. Der Fokus wird in dieser Episode so geschickt und organisch auf sämtliche Figuren verteilt, dass es erst am Ende auffällt, wie wenig Ellen Pompeo zu sehen war. Gleichzeitig darf jedoch jede Figur einen großen Moment, in der sie sich in Szene setzen durfte – und sei es nur im Rahmen von TikToks, in denen die Ärzt*innen unbeschwert tanzend auf Verhütung und Sex aufmerksam machen.

Sex und "Grey's Anatomy" – das ist natürlich seit jeher DIE perfekte Kombi: die sexuelle Spannung, die wie ein Raumspray im Krankenhaus verströmt zu sein scheint, die On-Call-Rooms, die die Ärzt*innen für ihre Schäferstündchen ausnutzen, die Beziehungen und Affären, die zu emotionalen Storylines führen… Dass nun die Anfänger*innen in Kurzvideos sexuelle Aufklärung leisten sollen, hat jedoch weniger einen humorvollen als einen tragischen Hintergrund: Dadurch, dass die Grundsatzentscheidung Roe v. Wade in den USA gekippt wurde, steht das Abtreibungsrecht in vielen Bundesstaaten der USA auf der Kippe. Im Sommer gingen schon viele US-Amerikaner*innen auf die Straße, zahlreiche Prominent*innen solidarisierten sich mit der Bewegung, nun macht dies auch "Grey's Anatomy". Nachdem in der Staffelpremiere Jo deswegen bereits die Kittelfarbe von Pink auf Schwarz geändert hat, ist es nun Addison, die in einer weiteren grandiosen Rückkehr sich auf die Fahne geschrieben hat, gegen dieses Gesetz vorzugehen und allen Menschen mit Uterus ihre Unterstützung zukommen zu lassen.

Somit steht Addison eine wesentlich zentralere Rolle in dieser Episode zu, wodurch sie weniger wie ein Special Guest Star sondern wie ein reguläres Mitglied des Hauptcast wirkt (vielleicht ja bald wieder offiziell? Man wird doch wohl träumen dürfen!). Während bei ihren Auftritten in der letzten Staffel ihre Beziehungen zu Amelia und Meredith im Vordergrund standen, übernimmt Addison in dieser Folge die Fälle der Woche, zeigt sich als großartige Lehrerin für Levi und Jo (wobei es sehr seltsam anmutet, dass Jo und Addison sich offenbar zum ersten Mal in ihrem Leben sehen), und vertieft ihre Freundschaften mit Bailey und Webber. Es wird deutlich, wie sehr Addison unter der politischen Situation leidet, wie sehr sie ihr Privatleben ihrer Mission untergeordnet hat. Daher war es schön anzusehen, wie Webber sich ihrer angenommen und betont hat, dass Addison sich auch um sich selbst kümmern muss.

Einen Rat, den Bailey sich selbst gegeben und offenbar vollends umgesetzt hat. So kommt es zur unvermeidlichen und erwartbaren Rückkehr Baileys in den OP und ins Krankenhaus an sich, jedoch mit ein paar kleinen Veränderungen: Weniger Administratives und Organisatorisches, dafür mehr Arbeit mit den Patient*innen und mehr OPs, sodass ihr genug Zeit für ihre Familie bleibt. Dass Bailey die Klinik ebenfalls wieder eröffnen will und dabei einen Fokus auf sexuelle Krankheiten und Verhütung legen möchte, passt ebenfalls sehr gut in dieses Bild (wann hatte denn die Klinik überhaupt erst geschlossen?). Es fühlt sich beinahe so an, als wäre die durchsetzungsfähige, aber ausbalancierte Bailey der ersten Staffeln zurück auf unseren Bildschirm gekehrt. Vielleicht ist sie auch nicht für die Rolle der Chefärztin gemacht: Ihre Gesundheit hat mehrere Male darunter gelitten, ihr Privatleben sowieso und zuletzt ist sie ganz knapp an einem Burn-Out vorbeigeschrappt. Das wirft jedoch ein wirklich unschönes Bild auf die Rolle des*r Chefärzt*in: Sämtliche Figuren, die diese Position innehatten, waren wesentlich glücklicher, als sie sie wieder losgeworden sind – Stichwort Derek. Die Stelle scheint irgendwie verflucht zu sein.

Baileys und Addisons Idee mit den TikToks fand ich von Anfang an gut, aber es war natürlich abzusehen, dass es zunächst einige Startschwierigkeiten geben würde. Zwar ist es etwas merkwürdig, dass Bailey durchaus sich im Klaren ist, welche Inhalte auf der Plattform viral gehen, und dennoch die Anfänger*innen Vorträge halten lassen wollte, jedoch führt diese Storyline, dass auch Jules, Mika und Blue mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Mika geht dabei erneut wieder unter, dennoch erfahren wir, dass sie sich als queer identifiziert und sie darf für ein paar lustige Momente sorgen. Am meisten sticht jedoch Jules heraus, die souverän andere Ärzt*innen einspannt (und dadurch wieder für einen merkwürdigen Moment mit Link teilt), die Sorgen der Schüler*innen ernstnimmt und sich immer mehr als die charismatischste Anfängerin herausstellt. Dass sie dann mit Blue schläft, der bis jetzt nicht als sympathische Person inszeniert wurde, hat nicht viel sonderlich Sinn für mich ergeben, jedoch in die Sexpositivität dieser Folge gepasst. Eine Affäre der beiden fände ich allerdings nicht wirklich passend.

Simone und Lucas dürfen weiter ihren Sonderstatus unter den Anfänger*innen behalten und können sich aus dem Sexaufklärungsprojekt befreien. Dies ist zum einen Lucas' Geheimnis verschuldet, da er kurzerhand die Flucht in die Notaufnahme ergreift, nachdem Auntie Addie ihn erkannt hat. Hier muss er sich Simones Großmutter annehmen, die als Resultat ihrer Alzheimer-Erkrankung zur Geburt ihrer Enkelin erscheinen will und Simone für ihre verstorbene Mutter hält. Weiterhin halte ich es für auffällig, wie viele Parallelen die Autor*innen zwischen Simone und Meredith schaffen und halte dies für keine wirklich weise Entscheidung – so ist es nämlich nur weiterhin Meredith, die davon profitieren und sich als tolle Lehrerin und Ratgeberin präsentieren kann, während Simone im Vergleich selbstverständlich etwas hinterherhinkt. Ihre Überforderung mit der Krankheit ihrer Großmutter, der Versuch, diese zu vermeiden und niemandem etwas von dem Ganzen zu erzählen – wir haben das alles schon gesehen. Selbstverständlich führt das Ganze auch zu einer Annäherung zwischen Lucas und Simone – vor allem, nachdem sie auch durch einfaches Googeln offenbar sein Geheimnis gelüftet hat. Zwar sehe ich, wie hier eindeutig Funken fliegen sollen, glaube dennoch, dass weniger eine Romanze der beiden als eher eine baldige Auflösung beider Geheimnisse bzw. Storylines der Weiterentwicklung beider Figuren förderlich sein könnte.

Funken fliegen auch wieder bei Kai und Amelia, deren Fernbeziehung offenbar weiterhin harmonisch und entspannt verläuft. Eine weitere Annäherung zeichnet sich zwischen den Streithähnen Teddy und Owen ab, denn auch Owen lernt etwas beim Aufklärungsunterricht und kann dieses Wissen danach an Teddy anwenden. Vielleicht sorgt ja Sex zur Versöhnung zwischen den beiden? Ganz kurz lässt sich auch absehen, dass Maggie und Winston immer noch kleine Probleme haben, denn Winston will nicht für ein TikTok-Q&A mit Maggie bereitstehen. Dahingegen kommt es wieder zu einer merkwürdigen Szene zwischen Jo und Link, die die betonte freundschaftliche Stimmung der beiden zu Beginn der Staffel leider wieder untergräbt. Hatte ich schon erwähnt, dass sämtliche Figuren in dieser Folge eine Storyline hatten?

Etwas abseits von den vielen Sex-und-Aufklärungs-Plots wird klar, warum Zola in der letzten Folge eine Panikattacke hatte: Sie ist hochbegabt und schlichtweg einfach unterfordert. So fühlt sie sich alleine, setzt sich mit Dingen auseinander, die ihre Alterskamerad*innen nicht interessieren – und kann natürlich hochkomplexe kognitive Rätsel lösen oder ohne Probleme sich an medizinischen Simulationen ausprobieren. Hier zeichnet sich eine spannende Storyline für viele der Beteiligten ab: Wir haben eine Maggie, die sich schuldig fühlt, Zolas Begabung nicht früher erkannt zu haben und für Zola dagewesen zu sein, Amelia und Kai, die Zola wohl am besten fördern können, Meredith, die sich von ihrer Familie hintergangen fühlt, die zugegebenermaßen hinter ihrem Rücken Experimente mit Zola startet, und sichtlich sich Sorgen um ihre Tochter macht. Leitet diese Storyline etwa Ellen Pompeos Abwesenheit in den kommenden Folgen ein? Es wäre eine einfache, aber sehr rührende Möglichkeit, Meredith als Mutter, die für ihre Kinder einsteht und dafür ihre Karriere unterordnet, zu inszenieren – die ultimative Kontrastfolie zu ihrer eigenen Mutter. Mir gefällt diese Geschichte bereits jetzt sehr gut, vor allem aufgrund der Unterstützung, die die Familienmitglieder einander entgegenbringen, und der Art, wie sie für Zola da sind. Einen tatsächlich großartigen Job macht jedoch Nick, den ich wohl nie so sehr mochte wie in dieser Episode: Sensibel und unglaublich wertschätzend begegnet er Zola auf Augenhöhe und nimmt sie und ihre Bedürfnisse ernst. Gleichzeitig ist Nick derjenige, der Meredith am meisten entgegenhalten kann und ihr die Möglichkeiten für Zola offenbart. Die unvermeidliche Wiedervereinigung der beiden am Ende hat dann niemanden mehr überrascht, oder?

Fazit

Langsam, aber sicher beginnt mir diese Staffel mehr Spaß zu machen. Balance scheint das Stichwort der Folge zu sein: Balance zwischen Privat- und Berufsleben, Balance zwischen Liebe und Sex, Nähe und Distanz. Und Balance scheint das zu sein, was die Autor*innen sich selbst vorgenommen haben: Die Abwesenheit von Ellen Pompeo könnte durch einen breiteren Fokus sämtliche Figuren ausgeglichen werden. Ich bin positiv überrascht und bin sehr auf die nächsten Folgen gespannt.

Lux H. - myFanbase

Die Serie "Grey's Anatomy - Die jungen Ärzte" ansehen:


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