Bewertung

Review: #6.24 Der Tod und seine Freunde (2)

Nein, es war nicht alles nur ein böser Traum. Es läuft tatsächlich ein Mann im Seattle Grace/Mercy West Amok und hinterlässt in den Gängen des Krankenhauses Leichen und Verwundete.

Diese letzte Episode einer von vielen Personalveränderungen geprägten sechsten Staffel bringt Opfer und tragische Helden hervor. Zu den Opfern zählt Charles, der wie Reed einer Schussverletzung erliegt, allerdings um Einiges langsamer. Genau wie ich Reed nicht mochte, konnte ich auch Charles nie ausstehen, was sicher sehr vielen Zuschauern ähnlich ging, denn mit Ruhm bekleckert hat er sich wahrlich nicht. Seine Rolle bei Izzies Kündigung ist ja hinlänglich bekannt und auch mit den anderen Hauptcharakteren hat er sich nicht wirklich verstanden. Zu dieser also durchaus begründeten Antipathie gegen Charles gehörte jedoch nie der Wunsch, dass er auf dem Boden des Krankenhausflures verblutet. Wem wäre das ernsthaft in den Sinn gekommen? Charles' und Reeds Tod wirkt wie eine harte Retourkutsche, die sowohl die Hauptcharaktere wie auch uns Zuschauer ohne Vorwarnung überfährt. Kaum einer mochte die beiden, keiner wollte die Fusion des Seattle Grace mit dem Mercy West, und nun sehen wir, wie Charles und Reed in den heiligen Hallen des Krankenhauses ermordet werden.

Es ist fast unmöglich, kein Mitleid zu empfinden, als Charles in Baileys Armen sein Leben aushaucht. Seine letzten Gedanken und Worte gelten Reed, ohne zu wissen, dass sie längst schon tot ist. Charles stirbt in dem Glauben, dass Reed erfahren wird, wie sehr er sie geliebt hat, doch Bailey kann diese Nachricht nie überbringen. Was mich betrifft, hatte ich in den Szenen mit Charles, Bailey und der Patientin Mary einen Kloß von der Größe Seattles im Hals, woran Chandra Wilson mit ihrer fantastischen Leistung eine große Mitschuld trägt. Zur Strafe sollte sie mindestens einen Emmy bekommen.

Zu den Helden darf sich Jackson zählen, dem es mit einem Trick gelingt, den Amokläufer Gary Clark glauben zu machen, Derek sei auf dem OP-Tisch gestorben. In einer früheren Review habe ich Jackson dazu gratuliert, dass er offensichtlich der beliebteste Mercy Westler ist und die größte Chance auf einen dauerhaften Verbleib in der Serie hat. Diese scherzhafte Äußerung erweist sich nun auf bitterböse Art als ausgesprochen zutreffend, da Jackson im Gegensatz zu 50% Prozent seiner Mercy-West-Clique den Amoklauf überlebt und überdies geringere seelische Narben davonträgt als April, die andere Überlebende aus der Vierergruppe.

April, die bisher psychisch ohnehin nicht die stabilste war, stolpert an diesem blutigen Tag erst über Reeds Leiche, ist dann dabei, als Derek niedergeschossen wird, und steht schließlich dem Amokläufer Auge in Auge gegenüber. Sie rettet ihr Leben, indem sie Mr. Clark zahlreiche Fakten über sich aufzählt, um ihm begreiflich zu machen, dass sie eine reale Person und keine Zielscheibe ist. Sie beseitigt die Anonymität, so dass der Amokläufer sie letztlich nicht mehr töten kann bzw. will. Einen vergleichbaren Prozess macht April auch in Bezug auf die Zuschauer und ihre Kollegen durch. Bis zu diesem Staffelfinale war April doch eher eine Nervensäge, die aufgrund ihrer Schwärmerei für Derek und ihres unbeholfenen Umgangs mit Meredith nicht als ernstzunehmender, reifer Charakter erschien. Doch nun haben wir Eindrücke gewonnen, die uns Respekt und Mitgefühl für April aufbringen lassen. Nicht zuletzt ist sie jetzt mit Meredith und Cristina verbunden, denen sie geholfen und mit denen zusammen sie schwarze Minuten durchlebt hat.

Besagte Meredith ist die tragischste Heldin dieser Episode. Sie ist bereit, ihr Leben für Derek zu opfern, und verliert ihr Kind, ohne die Aufgabe, den verletzten Owen zu versorgen, während Cristina nebenan Derek rettet, auch nur für eine Sekunde zu vernachlässigen. Merediths Fehlgeburt ist schon traurig, auch wenn die Schwangerschaft noch nicht weit fortgeschritten war und wir gerade erst von dieser erfahren hatten. Da ist Meredith nach Jahren der Krisen, der Zweifel, der Mutter – und Vaterkomplexe und der Beziehungsunfähigkeit endlich bereit, eine Familie zu gründen, und dann kollidiert ihre Schwangerschaft mit einem blutigen Ereignis, wie es das Krankenhaus nie zuvor erlebt hat. Das als "schlechtes Timing" zu bezeichnen, wäre eine gewaltige Untertreibung. Die Angst, dass all die Fortschritte, die Meredith und Derek erreichen konnten und die sie zum stabilsten Paar dieser Staffel gemacht haben, nach dieser Geschichte wieder den Bach runtergehen, habe ich natürlich schon, doch da Meredith und Derek jetzt schon fast alles durchgemacht haben, was man als Paar so durchmachen kann, dürfte das endgültige Happy End nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen.

Was die Problem-Paare dieser Staffel betrifft, geschieht zum Abschluss noch mal so Einiges. Lexie gesteht Alex vor Marks Augen und Ohren ihre Liebe. Doch nicht nur, dass Alex zu dem Zeitpunkt gerade bewusstlos ist, halluziniert er auch wenig später von Izzie und bittet sie, ihn nie wieder zu verlassen. Damit dürfte klar sein, wem Alex' Herz gehört. Was Lexie angeht, bin ich mir auch noch nicht ganz sicher, wie tief ihre Gefühle für Alex nun wirklich sind, denn das Liebegeständnis erfolgte in einer Situation, in der sie Angst um sein Leben hatte und überdies gerade mit viel Glück dem Amokläufer entkommen ist, der es ganz gezielt auf sie abgesehen hatte. Angst, Schuldgefühle und Adrenalin können schon mal die Gefühlswelt verzerren. Zuletzt hatte ich bei Lexie und Alex immer auch so ein bisschen das Gefühl, die beiden wollen sich krampfhaft ineinander verlieben, weil es nach den vergangenen Entwicklungen bequemer ist.

Owen entscheidet sich derweil für Cristina, oder zumindest wird es so ausgelegt, als er ins Krankenhaus zurückkehrt, um nach ihr zu suchen. Für mich persönlich fühlt sich dies aber nicht wie eine endgültige Entscheidung an, denn ich glaube, wäre Teddy noch mit dem Amokläufer im Gebäude gewesen, wäre er auch zurückgegangen, um sie zu finden. Erst die siebte Staffel wird zeigen, ob Owen wirklich und wahrhaftig nur Cristina will.

Bei Arizona und Callie sieht es schon viel eindeutiger aus. Nachdem Callie sich bewährt hat, als Mr. Clark plötzlich auf der Kinderstation aufgetaucht ist, will Arizona doch eine Familie mit ihr gründen. Dass ich Arizonas plötzlichen Sinneswandel jetzt vollends überzeugend finde, kann ich nicht behaupten, doch daran, dass sie und Callie sich wirklich lieben, hatte ich nie einen Zweifel, und sicherlich kann eine gemeinsam gemeisterte Krisensituation das Weltbild verändern. Im Moment freue ich mich einfach, dass sie wieder zueinander gefunden haben.

Nun wäre es natürlich an der Zeit, einen Ausblick zu wagen und erste Spekulationen über die siebte Staffel anzustellen. Die erste Schwierigkeit ergibt sich aber schon in der Frage, wie viel Zeit innerhalb der Serie wohl vergeht. Liegen die blutigen Ereignisse schon Monate zurück, wenn die siebte Staffel beginnt, oder sind dann nur wenige Tage vergangen? So oder so haben die Charaktere Einiges zu verdauen. Womöglich ist das Seattle Grace/Mercy West sogar für eine ganze Weile geschlossen und die einzelnen Ärzte arbeiten vorläufig woanders oder gar nicht. Fest steht, wir Zuschauer müssen erst einmal eine Pause von mehreren Monaten hinnehmen.

Maret Hosemann - myFanbase

Die Serie "Grey's Anatomy - Die jungen Ärzte" ansehen:


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