Bewertung

Review: #3.19 LSD

Foto: Joshua Jackson, Fringe - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
Joshua Jackson, Fringe
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Bevor ich mit der eigentlichen Review zu dieser Folge beginne, hier eine kleine private Anekdote, deren Sinn und Zweck später klar werden sollte - hoffe ich zumindest.

Wenn mein kleiner Bruder und ich uns früher bei bestimmten Dingen nie einigen und wir "Schere/Stein/Papier" nie spielen konnten, ohne dass der Verlierer den Gewinner kurz danach beschuldigte, er habe auf irgendeine Art und Weise gemogelt, spielten wir immer eine abgeänderte Version von "Black Jack". Jeder von uns zog dabei immer drei Karten, ohne dass er sie vorher anschaute, wobei Ass den Wert 1 hatte, die Zahlenkarten eben den entsprechenden Wert auf ihrer Karte und die Bildkarten (Bube, Dame, König) den Wert 10. Jeder von uns legte daraufhin seine jeweiligen drei Karten vor sich, die wir dann abwechselnd umdrehten. Die einzelnen Werte der eigenen drei Karten wurden dann zusammenaddiert und wer die höhere Summe hatte, der hatte gewonnen. Es sei denn, bei jemandem entsprach die Summe exakt 21: dann ging derjenige als Sieger vom Platz, egal, ob der andere einen höheren Schlusswert hatte.

Eines Tages spielten wir eben jenes Spiel. Wir beide zogen unsere drei Karten, legten sie vor uns und drehten sie dann abwechselnd um. Meine erste Karte war direkt ein "König", während die meines Bruders lediglich ein Ass war. Ich drehte meine zweite und dritte Karte um: ein "Bube" und eine "Neun". Die Stimmung meines Bruders war sofort im Keller und er hatte schon gar keine Lust mehr, weiterzumachen. Mit Ach und Krach konnte ich ihn überzeugen, dennoch seine beiden Karten umzudrehen, wobei ich mich natürlich schon als Sieger sah. Doch Pustekuchen: die zwei restlichen Karten meines Bruders waren ein "Bube" und ein "König". Zusammen mit dem Ass hatte er damit genau 21 Punkte und hatte mich, trotz meiner 29 Punkte, geschlagen: sein unscheinbares Ass hat ihm somit den Hintern gerettet.

Nein, diese Anekdote dient letztendlich nicht dazu, die Review zu strecken. Denn tatsächlich haben #3.19 Lysergic Acid Diethylamide und das Ass meines Bruders etwas gemeinsam.

"Astro, are we ready?" "Just about, Wally!"

Bereits in der zweiten Staffel bescherten uns die Macher von "Fringe" mit der Episode #2.20 Brown Betty eine Folge, die die Fangemeinde gespalten hat. Die einen sahen in der Film-Noir-ähnlichen und musicalangehauchten Episode eine interessante Abwechslung, andere hingegen eine reine Zeitverschwendung. Ähnlich sieht es nun in der dritten Staffel aus, wo man kurz vor Schluss ebenfalls mit einer Episode kommt, die wahrscheinlich nicht jedermanns Geschmack sein dürfte. Für mich allerdings war #3.19 Lysergic Acid Diethylamide ein unverschämt grandioser Trip!

Das Ende von #3.17 Stowaway hatte bereits angedeutet, dass William Bells Plan, Olivia vorrübergehend als Wirtin für seine Seele zu benutzen, nicht ganz so problemlos verlaufen wird, wie zunächst angenommen. In seinen Worten: "This may be a little bit more complicated than I first thought". Eine leichte Untertreibung, wie sich nach den ersten zehn Minuten feststellen lässt: Bells Seele muss aus Olivia verschwinden, denn sonst geht deren Geist für immer verloren. Da alle Rettungsversuche fehlschlagen, sieht Walter nur eine Lösung, nämlich in Olivias Verstand zu gelangen. "Enter Olivias mind how?", fragt Peter seinen Vater. Auf eine herrlich selbstverständliche Art bekommen Peter und wir Zuschauer die Antwort:

"LSD!"

Und wie bereits erwähnt, begann ab diesem Zeitpunkt der wohl verrückteste aber zugleich genialste Trip, den "Fringe" für mich je zu bieten hatte. Natürlich erinnerte Olivias Gedankenwelt zu Beginn recht stark an die Traumwelt(en) von "Inception", aber daran gestört hatte ich mich nicht, zumal man ja wenig später auf ein Stilmittel zurückgreifen würde, dass die Parallele zu "Inception" sowieso relativieren sollte: Nachdem Peter und Walter das vermeidliche Zeichen von Olivia folgen, treffen sie im World Trade Center auf William Bell – pardon: auf Marvel-Belly! Denn ab diesem Zeitpunkt sehen wir "Fringe" als Cartoon und wird damit auf ganzer Linie überrascht. Böse Zungen behaupten ja, die Macher hätten diesen Stil nur deshalb gewählt, weil es an Budget mangelte und man Leonard Nimoy nicht erneut vor die Kamera bringen konnte. Aber selbst wenn dies der Fall wäre (und man muss wohl auch anmerken, dass der Entstehungsprozess eines Cartoons nicht gerade eine billige Variante ist), so muss man den Machern dennoch anerkennen, dass es durchaus mutig und gleichzeitig sehr innovativ ist, diesen Stil in die Folge auf so lange Dauer mit einzubauen. Mich jedenfalls haben die Cartoon-Szenen sehr wenig gestört und stattdessen richtig überzeugt, da das einfach mal eine richtig originelle Abwechslung war. Auch fand ich die Charaktere relativ gut getroffen, auch wenn das natürlich jeder irgendwo anders sieht. Lediglich in den emotionalen Teilen und besonders während des Moments, als Klein-Liv zu Olivia wird, hätte ich mir gewünscht, dass man aus dem Stil herausbricht, da die Gesichter der Cartoon-Charaktere teilweise nicht die Emotionen vermittelt haben, die die "Live"-Charaktere vermittelt hätten. Summa summarum waren die ganzen Cartoon-Sequenzen jedoch eine wirklich tolle und überraschende Angelegenheit, mit der man gar nicht gerechnet hätte.

Enter Olivia’s Mind

Die neunzehnte Folge dieser Staffel überzeugt aber nicht nur durch die sehr originelle Inszenierung, sondern auch durch ihre Geschichte. Natürlich gibt es auch hier wieder gespaltene Meinungen, denn die Episode verzichtet gänzlich auf den Storyarc um die beiden Universen, weshalb viele die Folge nur als Lückenfüller sehen. Dabei ignorieren diejenigen aber völlig, dass es in "Fringe" nicht nur um die große Handlung des bevorstehenden Kriegs zwischen Blau und Rot geht, sondern auch um die Charaktere. Und hier setzt #3.19 ein ordentliches Zeichen, denn wie schon #2.15 Jacksonville, #3.10 Das Glühwürmchen oder #3.15 Subject 13 bringt uns diese Folge näher an die Charaktere heran und lässt uns Zeugen von wichtigen Charakterentwicklungen werden. Und besonders diese Entwicklungen der Charaktere sind in #3.19 nahezu episch für die Serie.

Die größte Entwicklung konnte man dabei bei Olivia verfolgen. Seit #2.15 wissen wir, dass sie an einer immer in ihr hausenden Angst leidet, seit sie als Olive (sprich Klein-Olivia) in Jacksonville eines von Walters und Bells Testsubjekten war und zudem unter ihrem gewalttätigem Stiefvater zu leiden hatte. In dieser Folge ist jedoch Schluss damit, denn Olive stellt sich ihrer Angst – und ist im nächsten Augenblick Olivia. Aber nicht die Olivia, die wir kennen, sondern eine Olivia, die ihre Ängste endlich überwunden und nun keine Angst mehr hat, nach vorn zu blicken. Besonders schön war außerdem, wie man mit einigen Elementen subtil verdeutlichen wollte, wie Olivia ihre Außenwelt sieht. So begegnen wir einer zwielichtigen Nina, die Walter und Peter in den Tod schicken will und dabei selbst auf eine herrliche Art und Weise stirbt, und eine Horde von Zombie-Brandons. Ersteres eindeutig ein Zeichen dafür, dass Olivia Nina noch immer misstraut, während letzteres verdeutlicht, welche psychischen Auswirkungen die Experimente auf sie im Nachhinein noch haben, die Alt-Brandon im Paralleluniversum an ihr vorgenommen hatte. Für einen echten Schocker sorgte die allerletzte Szene der Folge, in der Peter nach dem Mann fragt, der ihn im Zeppelin in Olivias Gedankenwelt angegriffen hatte. "I don't know, I haven't seen him before. But I thinks that he's the man who's gonna kill me.", ist Olivias Antwort, und ich weiß nicht was mich sprachloser machte: Die Tatsache, dass Olivia offenbar sterben wird oder die beiläufige und gefasste, fast schon nebensächliche Art und Weise, wie sie Peter diese Neuigkeit vermittelt. Diese Szene war jedenfalls ein perfekter Schluss, der mich mit einem offenen Mund und vielen Fragen zurückließ.

Wenn auch nicht ganz so dominant, aber dennoch relevant: auch die Beziehung zwischen Peter und Olivia wurde in dieser Folge thematisiert und auch dort gab es eine ungeheuer wichtige Entwicklung. Denn in ihrer Gedankenwelt steht Peter vor einer Olivia und ihm fällt sofort auf, dass es sich dabei nicht um "seine" Olivia handelt. Damit dürfte Olivia wiederum klargeworden sein, dass Peter nun ganz genau weiß, wer zu ihm gehört und er sich nicht mehr von einer Bolivia blenden lassen würde. Damit dürften die letzten Wunden, die Bolivias Spiel mit Peter bei Olivia hinterlassen haben, verheilt sein.

Auch für Walters Charakter war diese Folge nicht unwichtig. In #3.14 6B wurde uns das erste Mal gezeigt, dass Walter mit den Befürchtungen eines drohenden Kriegs, mit den langsam auftretenden Auswirkungen seines ersten Crossovers auf unser Universen und der Handhabung Peters bezüglich des Vakuums völlig überfordert ist, weshalb er letztendlich in #3.16 Os eingesehen hat, dass Bell wieder zurückkommen muss, da nur er ihm helfen kann, das alles durchzustehen. In dieser Folge macht sein alter Laborpartner ihm jedoch klar, dass dies nicht so ist, und Bell ist der festen Überzeugung, dass Walter ihn nicht braucht. Und somit ebnet er den Weg für eine weitere wichtige Entwicklung, denn nun dürften Walters Selbstzweifel passé sein und er selbst nun endlich das Selbstvertrauen haben, sich allein den momentanen Problemen zu stellen.

"I knew the dog wouldn't hunt."

Somit wird auch deutlich, wofür die Rückkehr Bells gut war. Denn einige werden sich nach dieser Folge wohl die Frage gestellt haben, was für einen Sinn Bells Auftauchen denn nun storytechnisch gesehen gebracht hat. Natürlich, bezieht man sich auf den Mainstoryarc, so war Bells Rückkehr relativ überflüssig. Doch schaut man sich an, zu welch wichtigen Entwicklungen Bells Rückkehr bei den Charakteren direkt oder indirekt führte, wäre es schwachsinnig zu behaupten, die ganze Storyline um William Bell wäre umsonst gewesen. Selbstverständlich wäre es schön gewesen, Bell auch noch weiterhin in der Serie zu behalten und irgendwie war ich davon überzeugt, dass man einen anderen Wirt für Bells Seele finden wird. Daher war es relativ überraschend, als Bell am Ende aufgibt, aus Olivias Geist verschwindet und nun offensichtlich für immer Vergangenheit ist. Wirklich sicher wäre ich mir dabei allerdings nicht, denn die Macher von "Fringe" hätten sicher keine Probleme damit, sich etwas einfallen zu lassen, um Bell noch einmal zurückkehren zu lassen. Und auch Leonard Nimoy ließ in einem Interview verkünden, dass man gespannt sein darf, ob Bell noch einmal auftaucht. Schließlich wäre es für Nimoy nicht das erste Mal, dass er von den Toten auferstehen würde.

"Broyle's bald. I think he's an observer!"

Das wirkliche Highlight, zumindest auf humoristischer Ebene, fand allerdings außerhalb von Olivias Gedankenwelt statt, nämlich im Harvard Labor. Dort hat Broyles versehentlich etwas von dem LSD zu sich genommen, das eigentlich für Walter und Peter bestimmt war. Die logische Konsequenz: Broyles befindet sich auf einem ordentlichen Trip und sorgt für einen Lacher nach dem anderen. Allein schon die Tatsache, Lance Reddick einmal breit Grinsen zu sehen, ist schon ein Grund, sich die Szenen zwischen ihm und Astrid, die gezwungenermaßen auf ihren Vorgesetzten aufpassen muss, immer und immer wieder anzuschauen. Natürlich ist es nicht gerade die neueste Idee, den seriösesten Charakter einer Serie zu nehmen und ihn unter Drogeneinfluss zu sehen, um dem Zuschauer möglichst viele Lacher zu entlocken. Wenn das allerdings in einer Art von Serie passiert, in der solche Szenen normalerweise nie auftauchen und noch dazu in einer Episode, die generell voller unverwarteten und skurrilen Momenten nur so strotzt, dann ist das einfach nur das perfekte Sahnehäubchen. Zudem waren die einzelnen Szenen wirklich richtig herrlich, beispielsweise, als Broyles auf Walters Schultern ein Vögelchen landen sieht. Nicht witzig, sondern sehr sentimental, ist ein kurzer Moment zwischen Broyles und Astrid, in der Broyles plötzlich voller Furcht zu sein scheint, nach ihrer Hand greift und ihr sagt, er habe den Tod gesehen. Darauf lässt sich schließen, dass es für Broyles wohl ein größerer Schock war als er es zugeben möchte, als er am Ende von #3.08 Entrada den schrecklich zugerichteten Leichnam seines alternativen Egos aus der Parallelwelt zu Gesicht bekam. Ich würde mir wünschen, dass es öfter Szenen oder Folgen gäbe, in denen sich Broyles mehr öffnet und nicht immer nur den starken Chef mimt, dem man offenbar nur schwer Emotionen entlocken kann – auch ohne LSD.

Eins oder Elf?

Es bringt mich ehrlich gesagt zur Weißglut, wenn ich von manchen höre, Episoden wie diese seien für die große Haupthandlung der Serie an sich absolut irrelevant und bedeutungslos. Und an diesem Punkt kommen wir auf das oben erwähnte Kartenspiel mit meinem Bruder zurück: Natürlich bringt uns #3.19 Lysergic Acid Diethylamide storytechnisch nicht so groß weiter, wie #1.14 Das Manifest, #2.15 Jacksonville oder #3.06 6955 kHz – solche Episoden haben für den Hauptstoryarc natürlich einen großen Wert und sind die ""Bildkarten" der Serie. Doch heißt das wirklich, Episode wie diese hier haben keinen großen Wert für die Hauptstory?

Nein, denn die Entwicklungen, die die Charaktere und deren Beziehungen untereinander in dieser Folge vollzogen haben, könnten vielleicht der entscheidende Vorteil im Krieg um beide Universen sein. Denn eine Olivia, die endlich frei von ihren tiefsten Ängsten ist, und ein Walter, der endlich begriffen hat, dass er in der Lage ist, auch ohne seinen alten Partner gegen die anstehenden Konfrontationen gewachsen zu sein, sind keine zu unterschätzenden Gegner für Walternate.

Und daher ist diese skurrile, immer aufs neue überraschende und durch und durch geniale Episode in meinen Augen wie das oben erwähnte Ass: auf den ersten Blick unscheinbar, aber letztendlich von enormer Bedeutung. Aber so ist das eben mit Assen: für die einen wertvoll, für die anderen wertlos. Nicht umsonst kann das Ass beim echten "Black Jack" entweder den niedrigsten Wert 1, oder den höchsten Wert 11 annehmen. Und für mich hat #3.19 Lysergic Acid Diethylamide ganz klar den Wert 11.

Manuel H. - myFanbase

Die Serie "Fringe - Grenzfälle des FBI" ansehen:


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