Bewertung

Review: #2.13 Krisen

Foto: Anna Gunn, Breaking Bad - Copyright: 2008 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Anna Gunn, Breaking Bad
© 2008 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

Wenn man sich einmal direkt vor Augen führen möchte, was für eine enorme Entwicklung unser Protagonist Walter White seit Beginn der Serie gemacht hat, sollte man sich eine zentrale Szene dieser Episode ansehen. In dieser sitzt Walter neben seiner Frau Skyler und seinem Sohn Walt Jr. auf dem Familiensofa in seinem trauten Heim. Vor ihnen eine Moderatorin und ein Kamerateam, die den "unglaublichen Erfolg" von Walt Jr.s Onlinespendenaktion zur Rettung seines krebskranken Vaters dokumentieren wollen. Vor laufender Kamera preist Walt Jr. seinen Vater, bezeichnet ihn als "good man [...] great teacher [...] great father" und schließt seine Eloge ab mit folgenden Worten: "He's just decent, and he always does the right thing, that's how he teaches me to be [...] My Dad is my hero.". Jeder andere Vater wäre wohl zu Tränen gerührt über diese Worte aus dem Mund des eigenen Sohnes. Doch nicht Walter White. Sein Gesicht wird zu Stein. Denn er weiß, dass jedes einzelne Wort aus Walt Jr.s Mund eigentlich falsch ist, dass diese ganze Situation eine Farce ist – dass er ein Lügner ist. Walter ist kein guter Mann, er ist kein guter Lehrer, er ist kein guter Vater. Wo Walter am Anfang der Serie noch Anstand und guten Willen besaß, für seine Familie bis zur Selbstaufopferung alles tat, alles einsteckte, nie austeilte, so ist jetzt alles anders. Walter hat sich verändert: Er ist ein Krimineller, ein Dieb und Mörder, ein Lügner und Betrüger.

#2.13 Krisen markiert den Punkt, an dem dieses Lügenkonstrukt in sich zusammenzufallen beginnt. Es ist ein schleichender, aber unaufhaltbarer Prozess und wie immer ist die Konsequenz, mit der die Drehbuchautoren zur Sache gehen, beeindruckend. Die Episode macht endlich die Bühne frei für Skyler, die so lange an Walters Seite ausharrte und trotz gesunder Skepsis seine Geschichten hinnahm und viele Ungereimtheiten akzeptierte. Doch in einem Moment mangelnder Selbstkontrolle, als Walter das Narkosemittel verabreicht bekommt, ist es ein kleiner Satz, der das Fass zum Überlaufen bringt. "Which one?" entgegnet Walter, als Skyler ihn nach seinem Handy frägt. Für Skyler ist damit klar, dass sie von Anfang an recht hatte, dass es wirklich ein zweites Handy gibt und dass Walters komisches Verhalten und sein Verschwinden keinen Sinn ergeben. Die Trennung von Walter ist ein wichtiger Schritt in Skylers Entwicklung und profiliert diese Figur auch endlich mehr. Einerseits spricht es für Skylers Integrität, dass sie mit der Trennung bis nach Walters Genesung wartet, andererseits trifft sie hier erstmals eine klare, schwierige und entschlossene Entscheidung, lässt sich nichts mehr vormachen und legt die Karten auf den Tisch: "You're a liar, Walt", sagt sie klipp und klar, und beide wissen, dass sie recht hat.

Aber die Lügen nehmen kein Ende. Paradoxerweise ist es jetzt Jesse, dem gegenüber Walter die größte Lüge auftischt – nämlich seine Mitschuld an Janes Tod zu verschweigen. Es ist geradezu herzzerreißend, Jesse in dieser Episode zu sehen, der in völliger Trauer und Lethargie erstarrt ist und sich selbst die Schuld an Janes Tod gibt. "I killed her" wiederholt Jesse unter Tränen, während Walter vergeblich versucht, Jesse davon zu überzeugen, dass er keinerlei Schuld hat. Es sind diese Szenen mit Jesse, die Walter trotz seiner grässlichen Lügen und verwerflichen Taten menschlich wirken lassen, die zeigen, dass er zwar jegliche Moral über Bord geworfen hat, doch sich dessen zumindest insofern bewusst ist, als dass er es nicht zulassen will, dass Jesse sich die Schuld an Janes Tod gibt, den ja eigentlich er zu verantworten hat.

Doch nicht nur im privaten Bereich fliegen Walters Lügen auf. In einer fast schon nebensächlich gehaltenen Szene passiert etwas, das auch Walters Drogenkarriere, wenn man so will, gefährdet. Gus Fring, völlig unscheinbar mit Anzug und Krawatte, taucht gemeinsam mit zwei anderen Unternehmern bei der DEA auf und trifft auf Hank (unbezahlbar: Gus' entsetztes "terrible" bezüglich der Ausbreitung von Methamphetaminen in Arizona). Dieses absolut unerwartete Aufeinandertreffen der zwei Männer entlarvt zwei wichtige Geheimnisse bezüglich Walter gegenüber Gus: Gus weiß nun, dass Walter Krebs hat. Und er weiß, dass sein Schwager beim Drogendezernat arbeitet. Beide Informationen dürften für Gus überaus interessant sein, sollte er weiterhin gemeinsame Sache mit Walter machen wollen...

Verwirrend genial gestaltet sich schließlich das Ende dieses Staffel-2-Finales, das das zuvor immer wieder gezeigte Schwarz-Weiß-Szenario am White'schen Pool mit dem rosanen, halbverbrannten Teddybär und den zwei Leichensäcken erklärt. Es sind die Folgen einer Flugzeugkollision, ausgelöst durch Donald Margolis, der nach dem tragischen Tod seiner Tochter einen Fehler in der Flugsicherungszentrale begeht. Die philosophische Note, mit der Staffel 2 hier endet, ist einfach nur brillant: Dieses geradezu absurde Szenario exemplifiziert die Tragweite, die eine jede Entscheidung haben kann. Indem Walter die junge Jane entgegen jeglicher Moral sterben ließ, ist er letztlich indirekt Schuld daran, dass hunderte von Menschen bei dieser Flugzeugkollision ihr Leben verlieren. Indem "Breaking Bad" uns diese Poolszene im Verlauf der zweiten Staffel immer und immer wieder präsentierte, wurden wir nicht nur gekonnt in die Irre geführt, wir sehen nun auch die schicksalhaften Ausmaße von Walters drastischer Wandlung und amoralischer Entscheidung, diese unglaubliche Ironie des Schicksals.

Auch wenn die großen Wow-Momente – mit Ausnahme der Konfrontation zwischen Walter und Skyler und der Schlussszene – fehlen, so kann #2.13 Krisen als das gelungene Finale einer absolut grandiosen zweiten Staffel von "Breaking Bad" bezeichnet werden. Selten sieht man im Fernsehen, dass eine Charakterentwicklung gleichzeitig so radikal und konsequent vonstatten geht, wie bei diesem Faszinosum Walter White; selten sieht man eine solch stringente und durchkonzipierte Erzählführung, die genau weiß, welche Richtung sie gehen will, dem Zuschauer aber nie das Gefühl gibt, erzwungen zu sein; selten sieht man eine in allen Aspekten – inszenatorisch, musikalisch, schauspielerisch – so perfekte Umsetzung der Story. Hut ab vor Vince Gilligan, Hut ab vor "Breaking Bad". Staffel 3 kann kommen.

Maria Gruber - myFanbase

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