Bewertung

Review: #4.10 Hausgeburt

Foto: Lena Dunham, Girls - Copyright: 2014 Home Box Office, Inc. All rights reserved.
Lena Dunham, Girls
© 2014 Home Box Office, Inc. All rights reserved.

"Girls" ist eine Herausforderung: eine Herausforderung in Sachen Geduld, in Sachen Toleranz gegenüber teilweise höchst unsympathisch und widersinnig agierenden Protagonisten, in Sachen Identifikationspotential mit den Charakteren. Noch nie hat die Serie einen Hehl daraus gemacht, dass sie ganz bewusst die schlechten Seiten, die Macken und Neurosen seiner Figuren ins Licht stellen und damit dem Zuschauer selbst vielleicht auch ein bisschen den Spiegel vor die Nase halten will. Obwohl wir Hannah, Jessa, Marnie und Shoshanna seit nunmehr schon vier Jahren begleiten, ist in Sachen Charakterentwicklung eigentlich nicht sehr viel passiert: Immer wieder scheitern die Frauen an ihren eigenen Unzulänglichkeiten, rappeln sich wieder auf, fallen wieder auf die Nase, und versuchen es wieder. Vielleicht ist die Serie aber eben genau deshalb so unterhaltsam, denn im wahren Leben sieht es oftmals nicht viel anders aus.

Umso erstaunlicher ist der Weg, den #4.10 Home Birth als Staffel-4-Finale einschlägt: An allen Fronten findet eine merkbare Entwicklung statt, die Protagonistinnen haben allesamt einen regelrechten Aha-Moment, der auf den ersten Blick vielleicht überraschend wirkt, der bei näherer Betrachtung aber eigentlich von langer Hand geplant war. In diesem Sinne fühlt sich diese Episode wie eine Belohnung für die Geduld des Zuschauers an, der nun zumindest für den Moment das Gefühl bekommt, einem tatsächlichen Reifeprozess der Hauptfiguren beigewohnt zu haben.

Schön ist dabei vor allem, dass alle vier Protagonistinnen ihren Platz in diesem Finale erhalten. Die Hausgeburt von Carolines und Lairds Baby bringt unerwarteterweise Hannah, Jessa und Adam zusammen und jeder einzelne von ihnen sorgt für herrliche Momente: Carolines Antikonformismus, den sie auch noch unter größten Geburtsschmerzen nicht ablegen will (Gaby Hoffmann schmeißt sich wirklich ins Zeug), Lairds völlige Hilflosigkeit, Hannahs misslungene Beschwichtigungsversuche, Adams wutentbrannte Ausraster und Jessas Pragmatismus, all dies fügt sich zusammen zu ein paar großartigen Szenen. Die Autoren beweisen aufs Neue ihr Gespür für ihre Charaktere und den jeweils für sie passenden Reaktionen. Das Geburtsdrama kulminiert schließlich in einer absurd-verrückten Szene, in der Caroline von Laird, Hannah, Jessa und Adam wortwörtlich durch die Straßen New Yorks ins Krankenhaus getragen wird, um dort dann zum Glück eine gesunde Jessa-Hannah zur Welt zu bringen.

Das Baby steht wie ein potentielles Sinnbild des Neuanfangs zwischen Adam und Hannah, als diese in einem der emotionalsten Momente des Finales die Karten auf den Tisch legen und erneut die Möglichkeit in Betracht ziehen, ihrer Beziehung doch nochmal eine Chance zu geben. Adam sieht ein, dass er mit Mimi-Rose einen Fehler gemacht hat und gesteht Hannah, dass er sie braucht. Als Zuschauer hat man hier zunächst ein Déjà-Vu der vorangegangenen Finalepisoden, in denen die Beziehung zwischen Hannah und Adam auch stets einen bedeutsamen Punkt erreichte. Dieses Mal jedoch trifft Hannah die – zumindest zu diesem Zeitpunkt – richtige Entscheidung gegen Adam. Sie windet sich damit aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu Adam, das sie seit Beginn der Serie so geprägt hat, heraus und vollzieht einen wichtigen Schritt in Richtung Unabhängigkeit. So schmerzvoll es für Hannah auch ist, Adam abzulehnen, es ist für sie die vorläufig richtige Entscheidung. Adam mag ihre große Liebe sein und zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auch wieder der richtige Mann für sie, doch wenn man in der letzten Szene Hannah gemeinsam mit Fran sieht, glücklich und verliebt, wird einem klar, dass die Art von (emotionaler) Stabilität, wie sie Fran bieten kann, genau das ist, was Hannah jetzt braucht.

Für Jessa bedeutet die Geburt von Carolines und Lairds Baby eine Erkenntnis der anderen Art: Sie will Therapeutin werden. Das mag erstmal absurd klingen (man denke an Jessas diverse Entzugsversuche und Klininkaufenthalte und ihre generelle psychische Instabilität), doch diese Entscheidung spiegelt letztlich nur ihren tiefsten inneren Wunsch wider, bedeutsame menschliche Beziehungen aufzubauen. Auch wenn man diese als Therapeut meist bis zu einem gewissen Grad fingiert, so sind sie doch konstant und wenn Jessa gerade etwas braucht, dann ist es Konstanz in ihrem Leben. Ob man Jessa als Therapeutin unbedingt jemandem empfehlen würde, ist natürlich eine andere Frage. Positiv ist jedenfalls, dass Jessa dank der vergangenen und dieser Folge endlich wieder menschlicher und zugänglicher wirkt und gerade noch die Kurve vor der gänzlichen Unerträglichkeit gekratzt hat.

Überraschend gut kommt auch Marnie weg, die nach einer Aneinanderreihung höchst nerviger und zum Augenverdrehen verleitender Szenen einen großen Schritt vorwärts macht. Als Desi bei einem wichtigen Auftritt einfach nicht erscheint, beschließt sie – angefeuert von Ray – kurzerhand alleine aufzutreten und vollzieht damit einen, ähnlich wie bei Hannah, bedeutsamen Schritt aus der Abhängigkeit von Desi heraus zur Eigenständigkeit. Und siehe da: Marnies Soloauftritt ist mit den katastrophal aufgesetzten Auftritten vom Anfang der Staffel nicht mehr zu vergleichen. Ob Marnie es schafft, die Konsequenzen aus Desis Verhalten zu ziehen, wird sich zeigen, doch in jedem Fall ist Marnie mit der Bewältigung dieser schwierigen Situation um ein ganzes Stück reifer geworden. Zu "verdanken" hat sie dies aber natürlich dem unvergleichlichen Ray, dessen bitterböse Ansprache gegenüber Desi absolutes Gold wert ist ("Don't ever think that you get on stage anywhere where the vast majority of the crowd doesn't think, 'douche!' Douche!") und der einfach immer immer immer fantastisch ist.

In eine schwierige Situation gerät auch Shoshanna, die – quasi spiegelbildlich zu Hannah im Staffel-3-Finale – die Möglichkeit erhält, in Japan zu arbeiten, gleichzeitig aber eine womöglich ernsthafte Beziehung zu Scott eingehen könnte. Interessant ist hierbei, dass es Shoshannas erster Impuls ist, Ray um Rat zu bitten, was angesichts Rays Großartigkeit natürlich verständlich ist, andererseits aber auch zeigt, dass Shosh durchaus ebenfalls noch in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm steht. Genau gegen diese Abhängigkeit und für die Selbstständigkeit plädiert Hermie, als er Shosh den simplen wie genialen Tipp gibt: "Be the walker, not the dog." Werden wir Shosh in Staffel 5 also in Tokio sehen? Oder wird es ihr genauso ergehen wie Hannah in Iowa?

Am Ende fühlt sich #4.10 Home Birth mit seinen großen Entscheidungen fast so ein bisschen wie ein Serienfinale an, doch zum Glück ist Staffel 5 ja schon lange sicher. Daher ist dieses Finale vielmehr wie der Abschluss eines Kapitels zu sehen, für alle zentralen Akteure: Hannah hat (vorerst) mit dem Kapitel Adam abgeschlossen, Jessa will wieder verantwortungsvollere Wege einschlagen, Marnie hat sich ihrer Unsicherheit gestellt und sie überwunden, Shoshanna wagt den Schritt nach Tokio. Doch dass diese Fortschritte nur temporär sein werden, liegt in der Natur von "Girls" und letztlich wohl auch im Lauf der Dinge. Doch dafür, dass "Girls" hier einen solch runden, stellenweise hochgradig lustigen, dialogisch wunderbar pointierten und charakterlich sehr starken Abschluss geschafft hat, gebührt der Serie ein großes Lob. Wie sagt Hannah zur kleinen Jessa-Hannah doch so schön? "I can't guarantee perfection, but I can guarantee intrigue." Einen besseren Metakommentar zu dieser Folge gibt es nicht.

Maria Gruber - myFanbase

Die Serie "Girls" ansehen:


Vorherige Review:
#4.09 Vaterkomplex
Alle ReviewsNächste Review:
#5.01 Die Hochzeit

Diskussion zu dieser Episode

Du kannst hier mit anderen Fans von "Girls" über die Folge #4.10 Hausgeburt diskutieren.