Bewertung

Review: #5.10 Kalter Entzug

Meine Punktzahl für das Herbstfinale von "Chicago Med" war mit 6 von 9 nicht überragend und dennoch habe ich unter dem Strich ein positives Fazit gezogen, da man, abgesehen von den üblichen Beziehungsdramen, für die man einfach kein Händchen entwickeln will, alles in die richtigen Bahnen gelenkt hat. Daher war ich positiv gestimmt auf das Jahr 2020 mit "Chicago Med". Hält dieses Gefühl auch nach der ersten Episode des Jahres an?

Ich nehme gleich mal den schwächsten Teil vorweg, da hier für mich auch eine große Portion Enttäuschung mitgeschwungen hat. Im Herbstfinale war ich vor allem von Dr. Will Halstead positiv überrascht, denn wer hätte ernsthaft gedacht, dass dieser Kerl mal in der Lage sein würde, seiner Herzensdame, Dr. Natalie Manning, einen Korb zu geben? Aber alles, was da richtig gemacht wurde, wurde in Bezug auf seine beruflichen Entscheidungen wieder umgekehrt. Ich stoße mich oft an Will als Arzt. Er hat zwar ein wahnsinniges Empathievermögen, das ihn im Grunde prädestiniert, aber es ist schade, wie oft er nur schwarz-weiß sieht, aber für die Zwischentöne kein Auge hat. Das zeigt sich diesmal erneut, denn es taucht eine ehemalige Patientin von ihm auf, die nur eine von vielen war und der er wegen starken postoperativen Schmerzen Opiate verschrieben hat. Nun muss er erfahren, dass diese durch seine damalige Entscheidung von Schmerzmedikamenten abhängig geworden ist.

Jetzt muss man nur bedenken, dass genug Patienten Opiate verschrieben bekommen, aber nicht alle werden davon abhängig, weswegen niemals dem Arzt alleine die Schuld gegeben werden sollte. Will macht aber genau das und zerfrisst sich damit innerlich selbst. Da die Patientin an ihrem Kind hängt, will er dafür sorgen, dass sie es nicht auch noch verliert und schaut nicht mehr nach rechts und links. Er schickt die Frau durch eine hochgefährliche Prozedur, vergisst dabei aber, dass sie faktisch nicht in der Lage ist, für ihr Kind zu sorgen. Hier greift dann Natalie ein. Ausgerechnet muss man sagen, denn dadurch, dass sie für die andere Seite spielt, wird es automatisch ihrer mühsam existierenden beruflichen Beziehung nachhaltig schaden. Aber Natalie hat alles richtig gemacht, denn für den radikalen Entzug gibt es hinterher keine Gewähr. Dass Will am Ende die Patienten verliert, ist dramatisch und tut mir auch leid für ihn, aber er hat nicht wie ein Arzt agiert, sondern war persönlich verwickelt, aus positiven Charakterzügen heraus, aber wenn man zu nah dran ist, muss sich ein Arzt fernhalten.

Interessant ist noch, dass die Patientin von Joelle Carter gespielt wird, also genau die, die in "Chicago Justice" als Laura Nagel zu sehen war. Das hatte sicherlich etwas Nettes, hat mich aufgrund eines Aspekts aber dennoch gewaltig gestört. Laura war mal ebenfalls abhängig und hat für das Sorgerecht ihres Kindes gekämpft. Wenn man Wills Patientin also jetzt genau dieselbe Geschichte auf den Leib schreibt, warum hat man dann nicht einfach Laura auftauchen lassen? Das wäre mal eine riesige Überraschung gewesen und da "Chicago Justice" ohnehin abgesetzt ist, hätte noch nicht mal ein Risiko bestanden. Steilvorlage nicht genutzt, würde ich sagen.

Es gibt einen Zeitsprung von sechs Wochen, der für die übrigen Handlungsstränge wesentlich etwas verändert. Dr. Daniel Charles ist in der Zwischenzeit Witwer geworden, da Caroline Charles offenbar wie geplant auf Hawaii verstorben ist. Die immer noch frische Trauer ist Daniel in allen Momenten anzumerken, sei es am Grab oder sei es im Job, wo er sich zunächst in Papierkram vergraben will.

Ausgerechnet Elsa Curry reißt ihn dort heraus. Die beiden haben schon länger eine besondere Beziehung, weil sie ihn zunächst durch ihre vermeintliche Gewissenslosigkeit geärgert hat und später, weil sie sich als gute Ärztin erwiesen hat, die an einigen Stellen aber noch viel zu lernen hat. Elsa wird immer mehr zu einer faszinierenden Figur, da sie sich von Mal zu Mal weiter öffnet. Diesmal wird nun klar, dass sie an Panikattacken leidet und daher eine Patientin mit ähnlichen Symptomen übereifrig behandelt. Man merkt deutlich, dass sie sehen will, wie es der jungen Frau besser geht, denn wenn sie es schafft, dann kann sie auch selbst ihre Attacken in den Griff kriegen. Daniel durchschaut nicht alles auf den ersten Blick, aber es wird wohl sein Instinkt sein, der sein Interesse weckt, denn letztlich steht eine andere Diagnose bei der Patientin auf dem Papier. Elsa fällt dadurch in ein Loch und sieht keine Hoffnung mehr. So kommt es zum Ende der Episode zu einem schönen Moment. Auf einer Abschiedsparty für eine Kollegin singt Daniel ein Karaokelied, das er Elsa widmet. Es steht für Hoffnung, die sie verloren haben mag, die er aber aufrechterhält. Gleichzeitig singt er aber natürlich auch für Caroline und für sich selbst. Es war schon sehr ergreifend, wie ihm die Stimme vor Emotionen gleich mehrfach wegbricht.

Für Ben Campbell und Maggie Lockwood halten die sechs vergangenen Wochen eine gute Nachricht bereit, denn er ist in Remission. Dies ist ein wahres Wunder, da er vor zwei Episoden praktisch tot war. Spontan bricht aus ihm seine ganze Freude heraus, aus Maggie ebenfalls. Für sie ist es eine wahre Achterbahn der Gefühle, denn sie selbst sieht sich nun dem nächsten Schritt ihrer Genesung, der Bestrahlung, gegenüber. Nach der ersten Behandlung entschuldigt sich Ben bei ihr, weil er seine pure Freude so überschwänglich ausgelebt hat. Man kann ihm das wahrlich nicht vorwerfen, denn sein Überlebenskampf hat vorerst ein Ende, aber seine Scham darüber ist andererseits auch löblich. Man hätte ja durchaus denken können, dass er sich nun sagt, was soll ich jetzt noch mit Maggie, sie erinnert mich an etwas, was ich hinter mir lassen will. Dass er nun erst richtig feiern will, wenn auch sie endgültig über den Berg ist, ist süß und gibt Hoffnung für die beiden. Maggie hat so einen Partner auch wirklich mehr als verdient.

Wer dagegen bei April Sexton und Dr. Ethan Choi etwas verdient hat, das ist schon deutlich schwieriger. Sein Armeeeinsatz ist durch den Zeitsprung jetzt nahezu ausgeschöpft worden und April wird sich plötzlich ihres schlechten Gewissens wegen des Kusses mit Dr. Crockett Marcel bewusst. Ich war schon sehr überrascht, wie unsympathisch Marcel in dieser Episode dargelegt wurde. Bis dato hatte man doch sehr den Eindruck, dass er der aktivere Part ist und jetzt hat er so kühl und vor allem herablassend getan, dass er mir total zuwider wurde. Vor allem als er seine Überheblichkeit als Arzt gegenüber April als Krankenschwester hat heraushängen lassen, hat er sich definitiv keinen Gefallen getan. Dass April in ihrer Entscheidung bezüglich des Patienten von privaten Gefühlen angetrieben wurde, ja, aber Marcel hat sich ebenso nicht korrekt verhalten. Ob man hiermit jetzt einen Schlussstrich unter die beiden ziehen wollte? Irgendwelche sexuellen Gefühle kamen jedenfalls in keiner Sekunde mehr rüber.

Ethan kommt jedenfalls früher als erwartet nach Hause und wird von April überschwänglich begrüßt. Das habe ich auch als ehrlich empfunden. Möglicherweise hat sie ja tatsächlich erkannt, was sie an Ethan hat. Dieser trägt eine wirklich überzeugende Entschuldigung vor, ich hätte aber nicht damit gerechnet, dass er ihr gleich einen Heiratsantrag machen würde. Aber aus seiner Sicht, warum auch nicht? Dass er April liebt, da habe ich auch keinen Zweifel dran. Sie wiederum wird dadurch in die Enge getrieben, denn sie hat ja gleich zwei Geheimnisse vor ihm. Sie entscheidet sich jedoch, nur eins davon zu gestehen, nämlich ihre wahrscheinliche Unfruchtbarkeit. Mit dem Kuss im Hinterkopf dann aber ja zu sagen, das war keine smarte Idee. Das wird sie noch einholen, was für uns dann eine weitere Runde in einem Beziehungsdrama bedeutet.

Fazit

"Chicago Med" bietet so ziemlich dasselbe Bild wie vor der Winterpause auf, nur mit dem Unterschied, dass Licht und Schatten diesmal auf anderen Köpfen verteilt ist. Während Maggies Beziehung zu Ben definitiv das Highlight derzeit ist, ist nun wieder Will am Tiefpunkt, da er weit entfernt von einem verantwortungsbewussten Arzt ist. Was man sich bei diesem Hin und Her für die nächsten Episoden wünscht? Schwierig…

Lena Donth – myFanbase

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