Bewertung

Review: #2.07 Ein Ausflug aufs Land

Foto: Copyright: 2012 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.
© 2012 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.

Dass "Girls" sehr gut darin ist, dramaturgisch abgekapselte Episoden zu gestalten, die sich außerhalb der sonst geläufigen Locations in New York City abspielen, hat die Serie bereits bravourös bewiesen. In Staffel 1 verschaffte uns #1.06 Zu Hause einen wichtigen Einblick in Hannahs Elternhaus in Michigan, der die Protagonistin in ihrer Rolle als Tochter profilierte und nebenbei für manch erinnerungswürdige Szene sorgte. Mit #2.07 Video Games bekommt nun der neben Hannah wohl komplizierteste Charakter aus "Girls" endlich eine Hintergrundgeschichte verpasst, nämlich Jessa, und thematisiert dabei ein fundamentales Thema des Erwachsenwerdens: die wachsende Erkenntnis, welch enormen Einfluss die eigenen Eltern auf uns haben, ob wir es wollen oder nicht.

Jessa ist von den vier Frauen definitiv die exzentrischste, die eigensinnigste und in ihrem Naturell damit wohl auch Hannah am ähnlichsten. Doch während Hannah jemand ist, der sämtliche Erfahrungen mit offenen Augen und Ohren aufsaugt, jeden und alles persönlich nimmt und ihr Herzblut sofort in alles reinlegt, so ist Jessa jemand, bei dem die meisten Beziehungen auf der Oberfläche bleiben, vor allem, was Männer angeht. So war auch ihre Spontanhochzeit mit Thomas-John nichts anderes als der Versuch, durch diese Oberflächlichkeit hindurchzubrechen, ein Versuch, der allerdings von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Jessa steht damit wieder bei Null, ohne Job und frisch getrennt, mit gar keiner Ahnung vom Leben, trotz ihres unkonventionellen und aufregenden Lebensstils, auf den sie so viel hält. Doch die Wahrheit ist: Jessa ist ziellos. Und so ist es wohl nur natürlich, dass sie – obwohl sie am Ende selbst feststellt, dass es ein Fehler war – wieder die Nähe ihres Vaters sucht in der Hoffnung, irgendwas zu finden.

Wie sehr schnell klar wird, ist viel von Jessas irrationalem Verhalten auf ihren Vater zurückzuführen, einem höchst unzuverlässigen und sprunghaften Mann, der nicht nur Jessa und ihre Mutter mehrfach im Stich gelassen hat, sondern auch seine nächste Ex-Frau samt Tochter, und sich mit Petula (toll: Rosanna Arquette) auf dem Land auch schon wieder langweilt. Trotzdem ist er, dank Ben Mendelssohns überzeugender Darstellung, keinesfalls ein Unsympath, sondern ein Mann, der wohl durchaus das Herz am rechten Fleck hat und seine Tochter aufrichtig liebt, sich aber einfach nicht zusammenreißen kann. Jessa hat von den Fehlern ihres Vaters einige emotionale Schäden davongetragen und als Zuschauer hat man das Gefühl, sie nun um einiges besser zu verstehen, auch wenn sich die Serie es hier vielleicht etwas einfach macht, indem sie quasi alles auf die üblichen daddy issues schiebt. Doch letztlich ist es wohl das, was hier demonstriert werden soll: Wir sind nun einmal die Kinder unserer Eltern und sie haben einen entscheidenden, wenn nicht gar den entscheidendsten Anteil daran, was aus uns wird.

Diese Erkenntnis macht auch Hannah nach dem turbulenten Wochenende, als sie allein am Bahnhof wartet und ihren Eltern per Telefon dafür dankt, dass sie sie immer unterstützt haben (umso herrlicher ist Mrs. Horvaths skeptische Frage, ob ihre Tochter nur anrufe, weil sie wieder Geld braucht). Für Hannah wird durch den Einblick in Jessas chaotische familiäre Situation klar, wie viel Glück sie eigentlich selbst hatte und das ist ein wichtiger Schritt in ihrer Entwicklung. Gleichzeitig manövriert sie sich natürlich wieder in eine absolut haarsträubende Situation, als sie die spontane Autofahrt mit zwei 19-jährigen für eine Art Doppel-One-Night-Stand hält und dementsprechend mit Petulas sehr eigenartigem Sohn Frank auf dem Friedhof (!) Sex hat. Überaus witzig ist hier Jessas gelassen-sarkastische Reaktion ("Really Hannah? You really had no idea that this wasn't a sexcapade?") und gleichzeitig Hannahs pathetischer Versuch, sämtliche Schuld von sich zu weisen und Jessa zu beschuldigen, sie habe so getan, als wären sie nur aus einem Grund mit den zwei Jungs mitgefahren. Typisch Hannah.

Dass Jessa es schließlich ihrem Vater gleichtut und verschwindet, zeigt am Ende, dass Jessa bei weitem noch nicht bereit ist, ihre Probleme zu konfrontieren. Das gescheiterte Intermezzo mit Thomas-John, ihre familiäre Situation und ihre generelle Orientierungslosigkeit enden in der Flucht und dem Versuch, erstmal wieder ein bisschen Zeit mit sich selbst zu verbringen, um sich über die Dinge klarer zu werden. Mit einer baldigen Rückkehr von Jessa dürfen die Zuschauer wohl nicht rechnen, schließlich war diese Storyline nicht zuletzt deswegen eingebaut worden, da Jemima Kirke wegen ihrer (in dieser Folge unübersehbaren) Schwangerschaft erstmal eine Drehpause einlegen musste. Dennoch rundet Jessas unerwartete Kurzschlussreaktion die Geschichte an dieser Stelle perfekt ab und ist erzählerisch daher völlig vertretbar. Für eine mal wieder überaus unterhaltsame, amüsante und verrückte "Girls"-Episode, die die Charakterentwicklung trotz des nahezu nicht vorhandenen Plots vorantreibt, gibt es daher solide 7 von 9 Punkte.

Maria Gruber - myFanbase

Die Serie "Girls" ansehen:


Vorherige Review:
#2.06 Unerfüllte Erwartungen
Alle ReviewsNächste Review:
#2.08 Hannahs Rückfall

Diskussion zu dieser Episode

Du kannst hier mit anderen Fans von "Girls" über die Folge #2.07 Ein Ausflug aufs Land diskutieren.