Bewertung

Review: #5.02 Geheime Rutschen, endlose Treppen

Foto: Evan Peters, American Horror Story: Hotel - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Evan Peters, American Horror Story: Hotel
© Frank Ockenfels/FX

Beim ersten Aufeinandertreffen zwischen Sally und John Lowe nachts um 3 Uhr an der Bar des Hotel Cortez sagt Sally zu dem Cop: "There's a part of you that wants to get lost, am I right? Climb that ladder." Der Originaltitel der zweiten Episode von "American Horror Story: Hotel" ist #5.02 Chutes and Ladders und er beschreibt die Geschehnisse eigentlich hervorragend: Es geht um die Abgründe der Charaktere, die so tiefreichend sind wie der Schacht (chute), in dem die Leichen des Hotel Cortez entsorgt werden. Doch es geht gleichzeitig auch darum, sich diese Abgründe zu Eigen zu machen, sie zu metaphorischen Leitern (ladder) zu machen, sein Laster auf verquere Art und Weise als Tugend zu akzeptieren.

"There's a part of you that wants to get lost, am I right?"

Am offensichtlichsten ist dieser innere Kampf bei John Lowe, der als einzige halbwegs normale Konstante bislang wirklich gut funktioniert, nicht zuletzt dank des überzeugenden Wes Bentley. John als aufrichtiger Cop und fürsorglicher Familienvater, der aber keinesfalls perfekt ist, sondern viel Schmerz und Trauer mit sich herumzutragen hat, erdet die Geschichte in dem ansonsten so extrem abgefahrenen Hotel Cortez. Das erneute Auftauchen von Holden, dann die Behauptung Scarletts, dass sie ihren verschwundenen Bruder gesehen habe, und schließlich noch die wirren Träume, die John in Zimmer 64 erlebt, all das bringt ihn an den Rand des Wahnsinns. Und doch ist er standhaft, als Sally ihm einen Drink unterschieben will: "I can't afford to get lost." Denn er hatte sich bereits einmal verloren, verloren in der Brutalität seines Jobs und in dem Verlust seines Sohnes. Dass hier noch eine düstere Hintergrundgeschichte – womöglich ein Problem mit Alkoholismus – angedeutet wird, lässt John komplexer wirken und macht ihn interessant.

Das Lowe'sche Familiendrama ist in seiner Tragik bisweilen glaubwürdig. John, Alex, Scarlett, sie alle leiden unter dem Verlust Holdens. Umso verstörender ist es, als Scarlett ihren Bruder völlig überraschend wiedersieht und er keinerlei Interesse an ihr zeigt (nun ja, außer an ihrer Halsschlagader). Holden scheint zu einer Art Mini-Vampir verwandelt worden zu sein, dessen Blut für die Countess bereitgestellt wird. Hält junges Blut sie extrafrisch?

"You lived through, like, the wars, and the depression, and... Clinton and everything."

Die Mythologie von "American Horror Story: Hotel" bekommt in dieser Folge deutlichere Umrisse: Wie vermutet, ist die Countess, sowie ihr Bettgespiele Donovan, eine Art Vampir. In der Serie haben Vampire aber keine langen Zähne, können durchaus unter die Sonne, und sind auch nicht per definitionem unsterblich. Sie tragen vielmehr einen "Virus" in sich, der dem Körper ein Superimmunsystem verleiht, ihn aber gleichzeitig nach Blut verlangen lässt. Indem die Serie hier die Unsterblichkeit der Vampire kippt, tut sie sich selbst definitiv einen Gefallen, denn so bleibt das Risiko bestehen, dass Charaktere auch wirklich mal sterben können.

Dem Tod entgeht die Countess schon seit über 100 Jahren. Elizabeth entfaltet weiterhin eine enorme Faszination und man muss sagen, Lady Gaga macht ihre Sache bisher richtig gut: Sie spielt Elizabeth als überirdische Diva, stellt sie dar als einen zeitlosen Star, ein Enigma, das man nicht greifen kann, eine laszive wie erotische Person, und sie verleiht ihr gleichzeitig Verletzlichkeit und Stärke, spielt sich aber nie in den Vordergrund, sondern strahlt eine Ruhe aus, die zu jemandem passt, der schon so lange lebt. Die augenblickliche Gebanntheit Tristans ob des Anblicks der Countess kann man daher genauso gut nachvollziehen wie Donovans verzweifeltes Klammern an seiner Beziehung mit ihr.

Mit Tristan (herrlich: Finn Wittrock) zieht ein weiterer exzentrischer Charakter im Cortez ein und allein schon dank seines fabelhaften Auftretens auf Will Drakes Modenschau ist er eine Bereicherung. Tristan ist anstößig, oberflächlich, unglaublich eingebildet, schert sich um nichts und niemanden und ist als exzessives und unberechenbares – Verzeihung – Arschloch der perfekte neue Gespiele für Elizabeth. Dass er sich freiwillig von ihr zum Vampir machen lässt, ist so plausibel wie nur irgendetwas. Die finale Szene, in der er ein Tinder-Date gemeinsam mit der Countess zunächst verführt und dann aufschlitzt, während im Hintergrund "Spellbound" von Siouxsie & the Banshees läuft, ist krank und berauschend zugleich und diesen schmalen Grat zwischen Krankhaftigkeit und Rausch verlässt "American Horror Story: Hotel" ganz bewusst immer wieder.

"The appetites of the filthy rich are specific."

Ihren eigenen Wahn zelebriert die Serie schließlich in dem Flashback ins Jahr 1925, das uns Evan Peters in seiner neuen Rolle des James Patrick March vorstellt. Für Peters ist dies definitiv der beste Part seit Tate in Staffel 1 und er meistert die Herausforderung, diesen völlig krankhaften und grausamen Psychopathen darzustellen, mit Bravour. March schockt und fasziniert uns in seiner völlig absurden Grausamkeit. Er bewegt sich in Dimensionen jenseits von Gut und Böse, ist so abscheulich, dass man gar nicht hinsehen kann, wie er reihenweise auf die übelste Art und Weise seine Opfer hinrichtet. Mit all dem Gore, Splatter und Blut übertreibt man dabei fast schon etwas.

Nichtsdestotrotz ist man als Zuschauer von der totalen Perversion Marchs auch irgendwie gebannt. Er misst dem menschlichen Leben keinerlei Wert bei, nicht einmal seinem eigenen. Als Erbauer des Hotel Cortez, so erfahren wir, erschuf er ein Labyrinth der Tortur mit geheimen Schächten, verwinkelten Gängen und dunklen Räumen. Das Cortez ist prinzipiell eine riesige Folterkammer. Und in ihr scheinen die von March gefolterten Seelen und auch March selbst zu hausen. Haben wir es hier wieder mit der Geistertheorie aus Staffel 1 zu tun? Wie sonst kann man erklären, dass Tristan mitten der Nacht auf March und seine ihm ergebene Putzdame Miss Evers begegnet, die eigentlich 1925 verstarben?

"You're only immortal if you're smart."

"American Horror Story: Hotel" macht seinem Titel mit dieser Folge wirklich alle Ehre: Es gibt viele starke und wirksame Horrorszenen, angefangen von Szenen mit viel Suspense (der Trick mit dem Duschvorhang wird nie alt), über psychologischen Horror (die Suche nach Holden) und klassische Horrortropen (Sallys herausfallende Zähne) bis hin zu reinstem Splatter (tödlicher Sex mit der Countess und Tristan) und purem Gore (siehe March). Die Serie feiert ihre eigene Wahnsinnigkeit und Absurdität, ihre Krankhaftigkeit und ihren Horror, sie scheut sich weder vor einem Schraubendildo (!) noch vor einer Rapunzel-Lady-Gaga auf einem weißen Pferd in einer Disko (!!!). Doch der bislang solide Plot, die wirksame Atmosphäre und die fesselnden Hintergrundgeschichten sorgen für eine vollgepackte Episode, die trotz ihrer Überlänge selten lang wirkt. Mit dieser Episode erklimmt "American Horror Story" tatsächlich seine eigene Qualitätsleiter: Es macht sich seine eigenen Schwächen zu Eigen und formt sie zu Stärken und letztlich zu einer richtig unterhaltsamen Episode.

Maria Gruber - myFanbase

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