Review: #3.02 Liebe und andere Baustellen
Ich tue mich mit der Einschätzung von #3.02 Love Among the Ruins immer noch etwas schwer, auch nachdem ich mittlerweile einige Zeit darüber nachgedacht habe. Einerseits ist man wieder deutlich vom recht schnellen Erzähltempo der vorherigen Episode abgewichen, und besonders in der ersten Hälfte passiert hier nicht viel, aber es gibt doch einige herausragende Szenen, die diese Episode auszeichnen.
Bye Bye Birdie, die Erste
Mein Highlight war ganz klar die Storyline von Peggy. Denn der gezeigte Zwiespalt einer jungen Frau, die zwar einerseits versucht, ihren Stellenwert als Frau, sowohl in beruflicher als auch privater Hinsicht, nicht einfach nur über ihre sexuelle Ausstrahlung zu definieren, dann aber doch mit der Wirkung des unschuldigen Mädchens auf Männerjagd geht, ist auch heute noch so aktuell wie damals am Anfang der 60er Jahre. Peggy empfindet eine große Abneigung gegen die Reaktion ihrer männlichen Kollegen auf einen Vortrag von Ann-Margret des populären Titelsongs "Bye Bye Birdie" aus dem gleichnamigen Musicalfilm. Sterling Cooper wurde von der Firma Pepsi beauftragt, diese Darbietung fast eins zu eins zu kopieren, um damit eine neue Diätcola zu vermarkten. Und alle Männer, die sich den Ausschnitt zusammen mit Peggy anschauen, sind mehr als angetan von Ann-Margrets Show. Dazu muss man als unbedarfter Zuschauer, der weit nach dieser Zeit und weit entfernt vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten geboren wurde, wissen, dass dieser Film und dieses Lied den Starruhm der jungen Schauspielerin Ann-Margret in der ersten Hälfte der 60er Jahre begründete. "Bye Bye Birdie" war so etwas wie Amerikas "High School Musical" dieser Zeit, und alle waren verliebt in Ann-Margret. Was Peggy aber gut erkennt, ist, dass die sich einfach nur einem Frauenklischee entsprechend verhält, sich offensichtlich naiv und unschuldig gibt, und damit den Männern das Gefühl einer absoluten Überlegenheit vermittelt. Peggy bezweifelt, dass Frauen, die eigentliche Zielgruppe des Produktes, davon angesprochen werden. Denn sie wird es nicht. Und ich kann mich ihr dabei nur anschließen, ich empfinde diese Art von Frauen, die mit ihrer angeblichen Unterlegenheit gegenüber dem starken Geschlecht kokettieren auch immer als unangenehm. Aber die Männer sind da anderer Meinung, lassen Peggys Argumente nicht gelten, und verweisen in letzter Instanz darauf, dass der Kunde genau das will und im Zweifelsfall Recht hat. Wie Don es formuliert: "Men want her, and women want to be her".
Obwohl Peggy dieses Verhalten bei Frauen völlig suspekt ist, löst es in ihr doch einen Denkprozess aus. Sie beginnt, Ann-Margret vor dem Spiegel nachzuahmen, wobei Elizabeth Moss für mich durch ihren schüchternen Charme eine wesentlich größere Anziehung ausstrahlt als das Original. Und nach einem für sie unbefriedigenden Gespräch mit Don, der ihr machohaft rät "Leave some tools in your toolbox", begibt sich Peggy in eine Bar, kokettiert mit den Erwartungen der Männer und macht sich dabei bewusst dümmer, als sie ist, um später mit einer Eroberung die Nacht zu verbringen. Typisch ist dabei, dass der Mann sicher später davon ausgehen wird, er hätte dieses Mädchen aufgerissen, und alles wäre auf seine Initiative hin geschehen. Aber es ist Peggy, die ihn nach der Nacht auf Abstand hält, und weder ihren Namen noch andere Anhaltspunkte über sich verrät. Ich bin mir aber sicher, dass dieses Abenteuer jetzt nicht bedeutet, dass Peggy sich in diese Richtung verändert. Wahrscheinlicher ist für mich, dass sie dieses typische Klischee für sich einmal ausprobieren musste, um wirklich einzuschätzen, wie einfach Männer zu manipulieren sind. Ich bin gespannt, inwieweit sich das auf ihr zukünftiges Verhalten auswirkt. Denn Peggy hat von ihrer Intelligenz, ihrem Talent und ihrer Ausstrahlung die besten Vorrausetzungen, den richtigen Mittelweg zwischen den Extremen zu finden.
Penn Station und Madison Square Garden
Don hat es momentan mit einem Kontrollverlust zu tun. Bei Sterling Cooper wird er zuerst beauftragt für Pete und Paul die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen, da Paul mit seinen linksliberalen Ansichten die Kundschaft verprellt hat, nur um dann nach erfolgreicher Überzeugungsarbeit von Lane Pryce zu erfahren, dass alles umsonst war, denn die Oberbosse in London haben es sich doch anders überlegt und beschlossen, dass der Abriss der berühmten Penn Station nicht gut fürs Image ist. Hier wird einem als Zuschauer wieder einmal nebenbei ein kleines bisschen amerikanische Zeitgeschichte beigebracht. Penn Station ist der Hauptbahnhof in New York, und in seiner ursprünglichen architektonischen Form, die zwischen 1910 und 1963 bestand, war er eines der beeindruckendsten, monumentalsten und auch schönsten Gebäude der USA. Er war ein Meisterwerk aus Funktionalität und Design, und dabei gleichzeitig einer der größten öffentlichen Plätze der Welt. Er bot einen atemberaubenden ersten Blick auf die Stadt, wenn man New York per Zug erreichte. Der überirdische Teil wurde 1963 abgerissen, um für den späteren Madison Square Garden Platz zu schaffen. Dabei wurde eine tiefe Wunde ins architektonische Selbstwertgefühl der Stadt gerissen. Andererseits entstand mit dem berühmten Madison Square Garden ein neues, modernes Wahrzeichen.
Der Zeitpunkt hier liegt noch vor dem Abriss und Sterling Cooper sollen engagiert werden, um das Image der Investoren hinter Madison Square Garden zu wahren. Don gelingt es wieder einmal, eine durchschlagende Rede zu halten, um die Kunden von ihm und somit Sterling Cooper nach den anfänglichen Vorbehalten zu überzeugen, wird dann aber in seinem Engagement gebremst. Dabei kommt es zu Ungereimtheiten und Missverständnissen innerhalb der beiden neu zusammengelegten Firmen, die typisch für diese so genannte Post-Merger-Integration-Phase in Unternehmen ist. (An dieser Stelle noch mal einen Dank für die Aufstockung meines Allgemeinwissens an "Mad Men" und die Experten in unserem Forum). Don ist frustriert darüber, dass ihm die Fäden aus der Hand gleiten, obwohl auch sein Widerpart Lane Pryce nicht so wirkt, als hätte er wirkliche Kontrolle. Einerseits empfinde ich diesen Konflikt gut inszeniert und durchaus realistisch, ein fader Beigeschmack bleibt für mich trotzdem, da er bisher noch zu sehr dem aus der letzten Staffel um American Airlines ähnelt.
Bye Bye Birdie, die Zweite
Auch privat leidet Don unter Kontrollverlusten, und seine aufgestauten Machtkomplexe entladen sich in einem schon fast diktatorischen Gespräch mit seinem Schwager William, indem er kurzerhand die Entscheidung über das weitere Schicksal seines Schwiegervaters Gene in die Hand nimmt. Betty fühlt sich von ihrem Bruder und dessen Frau Judy bedrängt, die den mittlerweile fortschreitend dementen Gene entweder in dessen Haus versorgen, oder in einem Pflegeheim unterbringen wollen. Sie vermutet dahinter Habgier, und dass William und Judy es allein auf das Haus der Familie abgesehen haben. Allerdings kann ich nach dem bisher Gesehenen diesen Eindruck von Betty nicht bestätigen. Auf mich wirken William und Judy eher besonnen und ehrlich besorgt, und sie schätzen die Situation schon allein aus ihrer räumlichen Nähe heraus wesentlich realistischer ein als Betty aus der Distanz. Ich halte Betty für überfordert, sich neben ihren beiden Kindern und dem bald geborenen Säugling auch noch um den Vater zu kümmern. Aber trotz dessen beschließt Don, in der Annahme, dass Betty genau das will, dass Gene zu den Drapers ziehen wird. Wenn das nicht ein weiterer Herd für baldige Konflikte ist.
Aber erst einmal sehen wir die neu erweiterte Familie beim Frühlingsfest von Sallys Schule, und Don lässt hier seine Gedanken treiben. Es wird ein Moment inszeniert, beim Tanz der Kinder um den Maibaum, der den Zuschauer mit ambivalenten Gefühlen zurücklasst. Einerseits ist man kurz völlig abgestoßen von Don, der offensichtlich die junge Lehrerin anhimmelt, aber dann geht die Bewunderung Dons über in ein Genießen der Freiheit, des Frühlings, der Natur. Er berührt völlig versunken das Gras, und man ist getroffen von der Sehnsucht, die diese Geste vermittelt.
23. November 1963
An diesem Tag soll die Hochzeit von Rogers Tochter stattfinden, die sich auf dem Kriegsfuß mit ihrem Vater befindet, da sie seine junge Ehefrau, woraus wir schließen, dass er Jane mittlerweile geheiratet hat, nicht auf der Hochzeit haben will. Aber wichtiger als der eher kleinliche Konflikt der frisch geschiedenen Familie erscheint mir hier der Hinweis auf das schicksalsträchtige Datum. Denn am 22. November 1963 wurde Präsident John F. Kennedy in Dallas erschossen, und ich war schon vor dem Beginn dieser Staffel gespannt, wie man das wohl einschneidendste Erlebnis der amerikanischen Nachkriegsgeschichte neben 9/11 wohl thematisieren wird. Dieser erste Vorgeschmack steigert meine Neugier noch, und ich kann es kaum noch erwarten, dort hinzugelangen.
Fazit
Beim näheren Nachdenken und auch Nachforschen bietet diese Episode doch einiges an Tiefe, besonders was die zeitgeschichtliche Verankerung in den Kontext der Serie angeht. Außerdem gab es eine starke Peggy zu bewundern, und so vergebe ich wieder solide sieben Punkte.
Cindy Scholz - myFanbase
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Diskussion zu dieser Episode
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Love Among the RuinsErstausstrahlung (US): 23.08.2009
Erstausstrahlung (DE): 14.12.2011
Regie: Lesli Linka Glatter
Drehbuch: Cathryn Humphris & Matthew Weiner
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