Bewertung

Review: #6.14 Der Kandidat

Wir haben zwar nur noch vier Episoden vor uns, bis "Lost" für immer beendet wird, aber dennoch lässt diese Episode einen schockiert zurück, da man (noch) nicht mit den Ereignissen gerechnet hätte. Und gleichzeitig bleibt die Frage "Was erwartet uns am Ende?" aktueller denn je...

"I hope you find what you're looking for."

Zugegeben, Jack hat in dieser Episode ein wenig zu offensichtlich die etlichen Verbindungen der Passagiere von Oceanic Flug 815 herausgefunden. Zugegeben, kurz vor dem Ende häufen sich die zufälligen Begegnungen in den Flashsideways doch zu sehr und man fragt sich, ob man dies nicht auch bereits vor zehn Wochen hätte abspeisen können. Zugegeben, auch nach mittlerweile 14 Episoden fällt es schwer die Ereignisse in den Flashsideways einzuordnen und so langsam verliert man die Geduld, was das alles wirklich zu bedeuten hat. Dennoch: Der Flashsideway, der sich diese Woche hauptsächlich um Jack und Locke gedreht hat, viele Parallelen zu vergangenen Episoden hatte und das Geflecht aus den losen Verbindungen in den Flashsideways fester gesponnen hat, war mehr als unterhaltsam.

Das Problem der Flashsideways ist natürlich nach wie vor gegeben. Wir bekommen die Hälfte der Episode einen Handlungsstrang geboten, der zwar unterhaltsam sein mag, aber dennoch vollkommen in der Luft schwebt, da wir eben noch keinerlei Ahnung haben, was dieser letztlich bedeuten soll und wie er nun wirklich mit dem Inselgeschehen zusammen hängt. Natürlich bleibt die Hoffnung, und eigentlich auch die Überzeugung, dass sich am Ende der Staffel bzw. der Serie alles auflöst und die Flashsideways nicht nur Sinn machen, sondern vielmehr perfekt ins Gefüge passen. Jedoch muss man sich fragen, ob die Macher wirklich den besten Weg mit dieser Erzählweise gewählt haben, wenn die Staffel doch erst im Nachhinein Sinn ergibt und dem Zuschauer erst nach Beendigung die Möglichkeit bietet, die Staffel und somit den Abschluss der Serie in vollen Zügen zu genießen. Gerade in der letzten Staffel hat man doch eher darauf gehofft, dass jede Episode auf das große Ganze vorbereitet, dabei jedoch auch eigenständig eine Bedeutung hat, die eben nur noch durch die Erkenntnisse im Finale gesteigert werden. Dies haben bisher jedoch leider nur die wenigstens Episoden geschafft und bei den meisten war es nahezu schwer sich überhaupt eine Meinung zu bilden, da man wusste, dass sie einfach nur einen minimalen Ausschnitt des Ganzen zeigen, ohne dabei jedoch für sich selbst zu stehen.

Eventuell ist dies genau die falsche Episode, um das ganze Konzept der Flashsideways zu bemängeln, denn eigentlich hat nicht nur die Inselhandlung, sondern auch der Flashsideway an sich, in dieser Episode vieles wett gemacht, so dass man nicht mit einem riesigen Fragezeichen, was man eigentlich gerade wirklich gesehen hat und wie dies alles zueinander passt, zurück gelassen wurde. Na ja – zumindest zum Teil...

Wie bereits erwähnt, gelang es Jack in dieser Episode unglaublich viele Verbindungen zwischen den Menschen in seiner direkten Umgebung, von Bernard über seine Schwester Claire bis hin zu John Locke, und den Flug Oceanic 815 herzustellen. Zudem häuften sich nahezu jede einzelne Szene mit etlichen Anspielungen auf vergangene Episoden und Schlüsselmomente der Serie. Gerade die Unterhaltungen zwischen Jack und Locke erinnerten an all die vergangenen Szenen zwischen den beiden, wo sie gegeneinander gekämpft haben, sich für einander eingesetzt haben oder darauf vertrauten, dass der jeweils andere ihnen endlich Glauben schenkt. Hinzu kam eine unglaublich schöne Szene zwischen Claire und Jack, die in den Flashsideways endlich einen Weg zueinander gefunden haben, der in der uns bekannten Zeitlinie ferner denn je erscheint. Ihr gemeinsamer Blick in den Spiegel der Spieluhr, die "Catch a fallin' star" spielte, hat etwas sehr angenehmes und gleichzeitig mysteriöses gehabt, was natürlich erneut die Fragen nach Christian, seinem Verbleib und seiner eigentlichen Rolle in der Serie aufwirft.

Jack ist dem Ganzen also auf der Spur und hat alle Verbindungen hergestellt, die er bisher herstellen konnte. Auf der Insel weiß Jack nun, dass er sich als nächstes an Desmond wenden sollte und es bleibt nur eine Frage der Zeit, bis sie sich auch in den Flashsideways verbünden und für die Auflösung des Ganzen sorgen – was auch bitter nötig ist. So lange jedoch waren die Anspielungen in dieser Episode sowie die gemeinsamen Szenen der Charaktere hinreichend genug, um auch ohne Aufklärung des Sinns dahinter gut zu unterhalten.

It's going to be you.

Bedenkt man immer mal wieder, dass die Macher der Serie mal die Idee hatten, Jack am Ende des Piloten sterben zu lassen, so ist es faszinierend, dass derzeit alles darauf hinaus zu laufen scheint, dass Jack DIE Schlüsselfigur in dem ganzen sein wird. Auch wenn wir uns natürlich nur noch vier Episoden vom Finale entfernt sehen und die Zeit immer knapper wird, glaube ich derzeit (immer noch) nicht, dass es wirklich Jack sein wird, der Jacob ersetzt oder für was auch immer der 'Kandidat' letztlich eingesetzt werden soll. Zu sehr wurde mir in der kompletten Staffel daraufhin gearbeitet und zu früh ist dafür der einzig andere, den man eigentlich als 'würdig' dafür erachtet hätte, nämlich Locke, aus dem Rennen geschieden. So nett es auch ist, dass man Hurley, Sawyer, Jin/Sun und Sayid als potenzielle Kandidaten eingesetzt hat, so wenig hat doch jemals jemand daran geglaubt, dass es wirklich einer von ihnen werden würde. Hier erhoffe ich mir dann doch eine Überraschung, indem man eben nicht Jack auserwählt, sondern jemand anderen – oder eben gar keinen, da der Plan – welcher es auch immer sein wird – misslingt.

Und wieder einmal zeigt sich für mich, dass die Unwissenheit, in der die Zuschauer gelassen werden und die in den vergangenen Staffeln den größten Reiz der Serie ausgemacht haben, die Stärke und gleichzeitig größte Schwäche der gesamten sechsten Staffel ist. Knapp 14 Stunden haben wir nun davon gesehen, und die Eckdaten sind uns bekannt: Jacob ist tot und es wird nach einem Ersatz gesucht, damit seine Nemesis, nun in Gestalt von Locke, die Insel, die dazu dient das Böse gefangen zu halten, nicht verlassen kann. So weit, so gut. Doch wirklich mehr haben wir bisher noch nicht heraus gefunden. Wann und wie stellt sich heraus, wer Jacob ersetzen wird? Was muss noch getan werden, damit Locke die Insel nicht verlassen kann? Gibt es auch für Locke einen potenziellen Ersatz? Und was zum Teufel sollen die Flashsideways damit zu tun haben? Auch diese Episode hat uns keine wirkliche Antwort auf irgendeine der Fragen gegeben oder uns gar einen Schritt weiter zum Verständnis des ganzen gebracht. Wie gesagt, ich bin mir mehr als sicher, dass alles am Ende Sinn ergeben wird, aber warum denn erst am Ende? Natürlich war das Besondere an "Lost" schon immer, dass man alles gesehen haben muss, um irgendwas zu verstehen, aber zumindest konnte man in vergangenen Staffeln wenigstens klarere Trennungen zwischen den einzelnen Episoden erkennen und hat mehrere Spannungsbögen, statt einem alleinigen gehabt…

I won't leave you. I will never leave you again…

Doch wie bereits erwähnt, ist dies eventuell doch genau die falsche Episode, um sich über die sechste Staffel auszulassen, denn wir haben hier eine immense Vorbereitung auf das Finale der Serie zu sehen bekommen. Man hat gleich drei Hauptcharaktere auf einen Streich sterben lassen – eventuell auch vier, denn wenn niemand dem armen Lapidus auf die Beine geholfen hat, dann dürfte er mit dem U-Boot untergegangen sein. Zuerst mussten wir uns also von Sayid trennen, der sein Leben für das der anderen opferte, nachdem Sawyer erneut nicht über seinen Schatten springen und Jack vertrauen konnte. Interessant daran finde ich, dass nun auch Sawyer damit leben muss, das Leben von anderen auf dem Gewissen zu haben. Vielleicht ist dies das ausschlaggebende Ereignis, damit Sawyer und Jack sich nun endlich mal zusammen reißen. Immerhin erfährt Sawyer nun genau das, was Jack sich die ganze Zeit wegen Juliets Tods vorgeworfen haben muss. So heroisch Sayids Opfergang mit der gleichzeitigen Ansage, dass er Desmond – wie erwartet – nicht getötet hat, auch war, so 'übertrieben' fand ich die ganze Aktion. Zu Beginn der Staffel hat man uns noch weißmachen wollen, dass Sayid durch seine Wiederauferstehung "das Böse" in sich hat und im Zuge dessen keinerlei Gefühle mehr zeigt. Mal davon ab, dass man dies eigentlich nur in der Szene gesehen hat, in der er unbeteiligt zuguckte, als Claire Kate fast umbrachte, wurde uns das bisher immer nur wieder erzählt. Nun wollten die Macher Sayid scheinbar nicht so enden lassen, da er uns immerhin schon seit der ersten Staffel begleitet, und man beschloss, dass der gefühllose Sayid – außer man geht nun davon aus, dass seine Begegnung mit Desmond ihm wieder das "Leben" eingehaucht hat – sein Leben für die anderen opfert. Das Schlimme daran ist die Tatsache, dass ich es wirklich einfach übertrieben fand und sein Opfergang dementsprechend jeglichen Zauber für mich verloren hat. Die Tatsache, dass er Desmond nicht getötet hat, hätte mir vollkommen gereicht für die Aussage, dass noch etwas Gutes in Sayid steckt...

Der zweite und dritte Tod hat mich ehrlich gesagt wirklich überrascht. Nicht der Tod an sich, denn es war klar, dass Sun und Jin aufgrund ihrer eigentlich abgeschlossen Handlung die Serie nicht überleben werden – da dies bisher bei allen (Haupt-)Charakteren der Fall gewesen ist. Und da man die beiden nicht bis in alle Ewigkeiten trennen kann, war es klar, dass eben beide ihr Leben lassen würden. Es war also nicht deren Tod an sich, sondern vielmehr der Zeitpunkt und die Tatsache, dass wir bereits zuvor Sayid verloren haben. Die Inszenierung ihres Todes fand ich vollkommen passend und es hat bei mir auf jeden Fall gewirkt. Die gesamte Beziehung der beiden von der ersten Staffel an hatte etwas unglaublich Romantisches. Egal was mit ihnen geschehen ist, die Ereignisse in den Flashbacks, Jins vermeintlicher Tod, die Geburt ihres Kindes, die gegenseitige Suche etc., eins war immer sicher und wurde niemals in Frage gestellt: Ihre gegenseitige Liebe zueinander. Und genau so wurde nun auch ihr Tod inszeniert: Gemeinsam. In Liebe zueinander. Für immer. Perfekt.

Ein wenig schade fand ich in diesem Zusammenhang, dass man Jin nur Sekunden später in den Flashsideways lebend gesehen hat, da dies doch ein bisschen den Zauber ihres Todes entmystifiziert hat.

To finish what I started.

Womit werden wir also zurück gelassen? Es sollte nun auch dem letzten Zuschauer deutlich geworden sein, dass Locke wirklich nicht das Beste für die Überlebenden möchte, sondern nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Ansonsten haben wir Jack, der nun glaubt seine Bestimmung gefunden zu haben und seinem Schicksal auf der Insel entgegen blickt, auf der er bleiben will. Wir haben Sawyer, der bisher alles dafür getan hat, die Insel verlassen zu können und erneut daran gehindert wurde. Nimmt man ihren seit der ersten Staffel anhaltenden Disput dazu, erinnert dies doch stark an die Beziehung zwischen Jacob und seiner Nemesis. Genau zwischen den beiden haben wir die schwer verletzte Kate, die sowohl das Bindeglied zwischen Sawyer und Jack, als auch den Hauptstreitpunkt von ihnen darstellt. Dass sie bisher immer wieder überlebt hat, ist wohl genau dieser Tatsache zu verdanken, da sie derzeit das einzige ist, wofür die beiden noch wirklich bereit sind zu kämpfen. Und als unbeteiligter Vierter ist immer noch Hurley dabei, dessen ehrliche Tränen über den Verlust seiner Freunde, noch einmal ein würdiger Abschluss für den Verlust der Charaktere waren.

Fazit

Das Finale der Serie steht kurz bevor, was wir diesmal merklich gespürt haben. Wir mussten Abschied nehmen und blicken weiterhin ins Ungewisse. Noch haben die beiden Zeitlinien der sechsten Staffel sich nicht gekreuzt, aber es ist mehr als offensichtlich, dass dies nicht mehr lange dauern kann. In der Zwischenzeit werden uns diesmal keine Graustufen mehr geliefert, sondern wir sehen zum ersten Mal in der Serie eine klare Linie zwischen Böse in Form von Locke und Gut in Form von unseren Überlebenden. Es war sicherlich nicht alles perfekt, aber auf jeden Fall unterhaltsam.

Annika Leichner - myFanbase

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