Bewertung

Review: #1.07 Lehrgeld

Foto: Bryan Cranston, Breaking Bad - Copyright: 2008 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Bryan Cranston, Breaking Bad
© 2008 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

Nein, #1.07 Lehrgeld ist kein klassisches Staffelfinale. Es war schlichtweg nie als ein solches konzipiert. Doch der Autorenstreik hat die erste Staffel von "Breaking Bad" von ursprünglich neun geplanten Episoden auf sieben verkürzt. Dementsprechend tut man der Episode unrecht, wenn man sie für etwas hält, was sie unmöglich sein kann, und entsprechend hohe Erwartungen an sie knüpft. Wenn man sich jedoch von der Idee verabschiedet, den offiziellen Abschluss einer Staffel und damit einer Vielzahl von Handlungssträngen zu beobachten, erhält man mit der finalen Episode von Staffel 1 einen interessanten Einblick in die Thematik Schuld, Kriminalität und Perspektive, die nicht erst seit dem öffentlichen Aufschrei um Selbstanzeigen bei Steuervergehen auch hierzulande kontrovers diskutiert wird.

"Where did that come from? And why was it so damn good?" - "Because it was illegal."

Ist etwas illegal, so strahlt es eine gewisse Faszination für Personen aus, die für Signale dieser Art empfänglich sind. Dieses Motiv zieht sich durch die gesamte Episode und beginnt mit einer vergleichsweise banalen Ausgangssituation: Walter und dessen Ehefrau Skyler finden sich in der Schule, an der Walter unterrichtet, wieder, wo darüber referiert wird, dass im dortigen Chemielabor diverse Utensilien, die man zur Herstellung von Drogen nutzen kann, entwendet wurden. Wie wir wissen ist selbstverständlich Walter der Übeltäter. Ebenso einleuchtend ist jedoch, dass er seine Tat unmöglich zugeben kann, da sonst ganz andere Dinge ans Licht kommen könnten. Also bleibt er still und nutzt gleichzeitig die Gelegenheit, sich während des Vortrags Skyler physisch anzunähern, indem er nach ihren Oberschenkel greift. Da findet also eine durchaus angeregte Diskussion darüber statt, dass eine illegale Tat in der Schule vollzogen wurde und Walter empfindet aus diesem Grund derart große sexuelle Erregung, dass er sich kaum zügeln kann und Minuten später mit Skyler im Auto Geschlechtsverkehr hat. Zumindest lässt die Kausalität der Ereignisse gemeinsam mit Walters ungewöhnlich offener Aussage darauf schließen. Diese Seite Walters war bisher kaum sichtbar und offenbart einmal mehr, wie sich Walter trotz all der anderslautenden Lippenbekenntnisse durchaus zu gewissen illegalen Tätigkeiten hingezogen fühlt, eine Erkenntnis, die für die weitere Charakterarbeit im Bezug auf Walt ungemein wichtig ist.

"I can't even pronounce half this shit. Count me out."

Nach der explosiven Auseinandersetzung in der vergangenen Episode erzählt Walter Jesse, der aktuell versucht, sein Haus zu verkaufen und dafür offensichtlich eine Maklerin gefunden hat, die in Anbetracht all der Beschönigungen und Lügen über den Zustand des Hauses ihr Handwerk durchaus versteht, vom Deal mit Tuco. Jesse ist entsprechend schockiert darüber, dass er es nun mit einem derart unkontrollierbaren Geschäftspartner wie Tuco zu tun hat und hat Angst um seine Gesundheit, wenn nicht sogar sein Leben. Walter jedoch scheint sich nur bedingt um Jesses Bedenken zu sorgen und geht einen weiteren, deutlich lukrativeren, aber auch riskanteren Deal mit Tuco ein, den er gemeinsam mit Jesse nun auf einem Schrottplatz trifft. Nun schuldet man einem der gefürchtetsten Drogenbosse der Gegend also Geld bzw. ist in der Bringschuld, was die Herstellung von Crystal Meth angeht, ein Umstand, der deutlich sichtbar an Jesses Gewissen (und gesundem Menschenverstand) nagt, bei Walter aber augenscheinlich nicht der Rede wert ist.

Auch der Zuschauer wird zunächst Walters ungebremsten Optimismus kaum teilen können, selbst als dieser einen Vorschlag macht, wie die beiden ihr gemeinsames Ziel erreichen können. Denn Jesse ist kurz davor, auszusteigen und die Stadt zu verlassen und kann mit Walters - zugegebenermaßen oftmals genialen - Einfällen nur wenig anfangen. Walter gelingt es jedoch, Jesse zu überzeugen, ihm zu helfen, die fraglichen Zutaten für das Meth zu besorgen. Dafür erhält Jesse einen auf den ersten Blick harmlos anmutenden Einkaufszettel, schnell offenbart sich jedoch, dass nicht alle Zutaten derart leicht im freien Handel verfügbar sind, sodass sie nun doch illegal tätig werden müssen, um die letzte Ingredienz auftreiben zu können. Walter hat mittlerweile glücklicherweise zur Genüge bewiesen, dass er sein Chemie-Handwerk versteht und es dementsprechend kein Problem für ihn ist, etwas herzustellen, das den beiden im wahrsten Sinne des Wortes Tür und Tor öffnet, wenn es darum geht, in ein Labor einzubrechen.

"I don't care how you do it, just keep them out of here."

Gesagt, getan. Da wir uns aber immerhin bei "Breaking Bad" befinden, läuft nicht alles wie am Schnürchen und sie stoßen bei ihrem nächtlichen Einbruch auf einen Nachtwächter, den sie im DIXI-Klo einsperren, als dieser gerade sein Geschäft verrichtet, und finden lediglich große und schrecklich unhandliche Fässer mit der benötigten Zutat, was den Transport entsprechend erschwert. Als ihnen der (durchaus amüsante) Diebstahl gelingt und man sich als Zuschauer fragen muss, ob diese geringe Anzahl an Problemen, die Walter und Jesse bei ihrer nächtlichen Unternehmung hatten, nicht ungewöhnlich für diese Serie ist, wird in der unmittelbar darauf folgenden Szene jedoch bestätigt, warum man dieses Misstrauen hatte und es kommt zum nächsten Missgeschick: Der Wohnwagen, mit dem die beiden aufbrechen und anschließend das Meth zubereiten möchten, springt nicht an. Da sie nun aber unter großem Zeitdruck stehen, bleibt ihnen nichts anderes übrig als woanders zu kochen. Was kommt also eher in Frage als Jesses Haus, das ohnehin zum Verkauf angeboten wird? Die Idee ist gut, leider spielt die telefonisch nicht erreichbare Maklerin hier nicht mit, als sie Interessenten während des Kochvorgangs der beiden durch das Haus schleust. In Momenten wie diesen stellt man sich als Zuschauer durchaus die Frage, ob das viele Pech, das Jesse und Walter trifft, sich noch im realistischen Rahmen befindet oder es vielleicht sogar ungewöhnlich ist, dass derart Vieles gut geht und nur all die Dinge, die durch einen gewissen Aufwand gelöst werden können, für kurze Zeit den beiden im Weg stehen. So oder so sorgen derartige Situationen für einen rapiden Spannungsanstieg, der der Episode sicherlich gut tut.

Am Ende geht dann wie bisher auch doch alles irgendwie gut und man kann Tuco die vereinbarte Menge an Meth überreichen. Als Tuco einen seiner Untergebenen jedoch mal so eben zu Brei schlägt und tötet, weil dieser seinerseits eine Anmerkung gegenüber Walter und Jesse äußerte und damit Tuco das Rampenlicht stiehlt, bestätigen sich jedoch die bösen Vorahnungen, die ein Charakter wie Tuco zwangsläufig herbei beschwört. Tuco ist der personifizierte Wahnsinn und Walter wie Jesse haben künftig vermehrt mit ihm zu tun und sind auf dessen Wohlwollen und Geld angewiesen. Wahrscheinlich wäre hier selbst der Pakt mit dem Teufel himself attraktiver gewesen... In jedem Fall darf man gespannt sein, wie sich diese Storyline in der zweiten Staffel entwickelt und ob es den beiden gelingt, auf der einen Seite ihr Geschäft weiter zu erweitern und auf der anderen Seite dies möglichst selbstbestimmt zu tun, um nicht von der Tagesform eines Soziopathen wie Tuco abhängig zu sein.

"Friggin' meth used to be legal. Thank god they came to their senses on that one, huh?"

Das Motiv von Schuld und Kriminalität zieht sich durch die gesamte Episode und wirkt damit auch auf die anderen Storylines und Aspekte der Episode ein, in dem Fall Skylers Auseinandersetzung mit dem Diebstahl ihrer Schwester sowie einer kurzen, aber durchaus einprägsamen Unterhaltung zwischen Walter und Hank. Letztere sorgt nicht nur für die nötige Brisanz durch den Fokus auf die Illegalität von Drogen und hierbei insbesondere Meth, sondern wirft auch die (durchaus berechtigte) Frage auf, anhand welcher Kriterien eigentlich beurteilt wird, ob bestimmte Taten kriminell oder Erzeugnisse illegal sind. Dass seit Jahrzehnten nicht nur in den USA eine Drogenpolitik an den Tag gelegt wird, die immer wieder betont, dass man die Bevölkerung vor den Gefahren von Drogen schützen möchte, gleichzeitig jedoch die eine oder andere eher harmlose Droge verbietet und bekannte Suchtmittel wie Alkohol und Tabak weiterhin in die Betrachtung nicht bereit ist aufzunehmen, ist eine Diskussion, die gar nicht oft genug geführt werden kann. Als Hank als vermeintlicher Hüter des Gesetzes daher schließlich auch noch kubanische Zigarren mit Walter raucht, die in den USA illegal sind, ist die moralische Ambivalenz perfekt.

"Maybe I can explain to her that we need a Diaper Genie more than a white-gold baby tiara."

Als ob dies nicht bereits genug wäre, stiehlt Marie auch noch ein Diadem, das sie daraufhin ihrer Schwester Skyler für deren ungeborene Tochter schenkt. Heiligt der Zweck also die Mittel? Ist es angemessen, etwas Unrechtes zu tun, wenn man dies zum Vorteil seiner Familie tut? Natürlich sind auch hier die Parallelen zu Walters Drogengeschäfte beabsichtigt. In jedem Fall ist Skyler zu Beginn zwar argwöhnisch, was das Diadem angeht, da dieses sicherlich einen großen Geldwert aufweist, kommt Marie jedoch erst auf die Schliche, als sie selbst des Diebstahls des Diadems bezichtigt wird. Denn Skyler möchte das komplett überteuerte Schmuckstück zurückgeben und betritt dafür nichtsahnend eben jenes Geschäft, dem Marie das Diadem stahl. Man mag es auf der einen Seite als Ironie ansehen, dass Skyler Wehen vortäuscht, um einer anschließenden Verhaftung zu entgehen und damit etwas Unrechtes tut, um weiterem drohenden Unrecht zu entgehen, man kann es jedoch auch als weitere Situation identifizieren, in der der Zweck die Mittel heiligt. Auf ihre Tat angesprochen, ist sich Marie keiner Schuld bewusst, selbst als längst alles gegen sie spricht. Auf den Vorfall angesprochen, entgegnet Walter lediglich, dass Leute manchmal für ihre Familien Dinge tun, die auf den ersten Blick vielleicht fragwürdig erscheinen. Und natürlich weiß man ganz genau, worauf er damit abzielt.

Fazit

#1.07 Lehrgeld ist eine faszinierende 50-minütige Elaboration rund um das Thema Schuld, Kriminalität und die Art und Weise, wie diese Aspekte von Person zu Person in ihrer Bedeutung variieren können. Dazu gibt sie einen hochspannenden Ausblick auf die zweite Staffel in Form der Zusammenarbeit Walters und Jesses mit dem undurchsichtigen und hochgradig gewalttätigen Tuco. So ist die vorliegende Episode zwar aufgrund der bekannten Beschränkungen durch den Autorenstreik eigentlich kein Staffelfinale, schafft es aber dennoch, Vorfreude auf die kommende Staffel zu generieren.

Andreas K. - myFanbase

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