Review: Die erste Staffel

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Das neue Serienformat von AMC startete mit erschlagend guten Quoten in die erste Staffel. Die Pilotfolge hat Überlänge, was ja erst einmal für die Serie spricht. Jede Serie, die es wagt die erste Folge länger zu machen, als alle anderen, um einen guten Start zu gewährleisten und die Charaktere, die Handlung und das Setting gebührend in ein zeitlich ausreichend kalkuliertes Gesamtkonzept zu packen, gebührt erst einmal Lob. Das letzte Mal, dass so etwas so gut geglückt ist, wie bei "The Walking Dead" war 2006 bei "Psych". Nicht, dass ich jetzt beide Serie irgendwie vergleichen möchte, denn gemeinsam haben sie im Grunde nichts.

Foto: Copyright: Scott Garfield/Courtesy of AMC
© Scott Garfield/Courtesy of AMC

Also zurück zu "The Walking Dead". Worum geht es? Diese Frage wird so wundervoll beantwortet, dass der Zuschauer am Ende der ersten Folge mit noch mehr Fragen da steht, als zu Beginn. Wir begleiten vor allem den Hauptcharakter Rick, wie er herausfindet, was mit seiner Welt passiert ist. Rick ist Polizist und wacht eines Tages im Krankenhaus auf. Doch nichts ist, wie es sein sollte. Keine Ärzte, keine Schwestern, keine anderen Patienten. Nur gähnende Leere, mal abgesehen vom Chaos, komischen Sprüchen an den Wänden und einem Haufen Leichen vor dem Gebäude, fein säuberlich aufgereiht und mit Laken bedeckt. Rick wandert, noch immer unter den Nachwirkungen einer Schusswunde leidend, zu seinem Haus, wo ihm erst einmal ein afroamerikanischer Junge eine Schaufel über den Kopf zieht. Die Junge und sein Vater klären Rick auf: Es wandern überall Untote durch die Straßen, niemand ist mehr sicher, und wenn sie dich einmal gebissen haben, gibst du besser schnell den Löffel ab, denn zum Zombie wirst du sowieso. Es sei denn, du hast dein Gehirn vernichtet, nicht mit Alkohol, sondern durch einen gezielten Kopfschuss. Das ist der einzige Weg die Monster zu töten. Rick macht sich nun auf die Suche nach seiner Familie, von der er überzeugt ist, dass sie noch lebt. Wo sucht es sich am besten? In der nächsten Großstadt natürlich. Sein Weg dorthin ist von Leichen gepflastert – das meine ich wörtlich, nicht im übertragenen Sinn. Die wohl beste Szene begegnet dem Zuschauer gleich zu Anfang: Rick steht auf der Straße, leere Wagen überall, dann ein Mädchen, so sieben oder acht Jahre vielleicht, welche in Schlafklamotten, Hausschuhen und einem Kuscheltier in der Hand die Straße entlang schwankt. Kaum ruft Rick das Mädchen und es dreht sich um, sieht man, dass sie nicht mehr das keine Mädchen ist. Sie will vielmehr Rick verspeisen und rennt auf ihn zu. Er tötet sie mit einem gezielten Kopfschuss.

Foto: Andrew Lincoln, The Walking Dead - Copyright: Scott Garfield/Courtesy of AMC
Andrew Lincoln, The Walking Dead
© Scott Garfield/Courtesy of AMC

"The Walking Dead" zeichnet sich durch eine unglaublich gute Maske aus. Die Zombies sind so gut dargestellt, dass alleine die erste Folge reicht, um einem zart besaiteten Menschen den Rest zu geben. Zombies hören nämlich nicht auf, nach etwas zum Essen zu suchen, nur weil sie keinen Körper mehr haben. Solange der Kopf noch vorhanden ist, ziehen sie sich notgedrungen auch auf dem Zahnfleisch kriechend voran. Immer auf der Suche nach einem Leckerbissen: Irgendetwas lebendiges und sei es nur eine Ratte. Dabei bewegen sie sich zombietypisch langsam, doch können sie auch ungemein schnell werden. Nicht nur von der Maske her, sondern auch von diesem Verhalten, fühlt man sich an den Film "28 Days Later" erinnert. Ob die Zombies irgendwann verhungern, wie in diesem Streifen, ist nicht geklärt. Doch nicht nur die Zombies sind wundervoll gezeichnet, auch die Kostüme der Überlebenden, ja, es gibt noch mehr Überlebende, sind wie aus dem Alltag gerissen - aus dem sie im Grunde ja auch gerissen wurden. Allen voran geht hier auch wieder Rick, der noch immer seine Uniform trägt, obwohl jegliche Autorität verschwunden ist, das fängt bei seiner eigenen Polizeistation an, die verlassen liegt, und hört beim Militär auf. Es gibt keine offiziellen Anlaufstellen, lediglich Gerüchte, dass weiter weg alles anders ist. Dieser Teil erinnert sehr stark an "I am Legend", den Film mit Will Smith, in dem er und sein Hund auf der Suche nach anderen sind. Nach einem sicheren Leben. Nach einer Heilung.

Foto: Copyright: Scott Garfield/Courtesy of AMC
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Natürlich findet Rick seine Familie. Das passiert schon in der dritten Episode, bedenkt man aber, dass die erste Staffel nur aus sechs dieser Kapitel besteht, dann ist es irgendwie passend. Nachdem die erste Folge ihren Blickpunkt vor allem auf Rick gelegt hat, kommen in den folgenden Episoden auch andere Überlebende in den Fokus. Zunächst ist das Glenn, ein Asiat, der Rick in Atlanta vor den Zombies rettet. Er erklärt Rick, dass es ein Camp von Überlebenden vor den Toren der Stadt gibt und dass er dahin mitkommen kann. Daraufhin verlagert sich der Fokus von Folge zu Folge auf eine oder mehrere der Personen im Camp. Allen voran ist es die Geschichte von Shane (Ricks bestem Freund) und Ricks Frau Lori (die im Übrigen der am schlechtesten gecastete Charakter ist). Es kristallisiert sich nach der dritten Episode deutlich heraus, dass "The Walking Dead" mehr als nur ein Zombie-Drama ist. Es ist ein Charakter-Drama auf höchstem Niveau. Was würden die Menschen tun, wenn sie plötzlich keine Grenzen mehr haben? Niemanden, der sie durch Gesetze kontrolliert? Was würden sie tun, um ihre Familie zu beschützen, wenn es eine Bedrohung gibt, der sie nicht mehr Herr werden können? Zu was wären sie bereit, um das eigene Überleben zu sichern. Würden sie sich gegeneinander wenden?

Foto: Copyright: Scott Garfield/Courtesy of AMC
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Ohne zu viel zu verraten, all diese Fragen werden in der ersten Staffel sehr gebührend beantwortet. An manchen Stellen wirken die Charakterszenen sehr langgezogen, betrachtet man sie aber als genau das, was sie sein wollen, nämlich als Gelegenheit menschliches Verhalten zu zeigen und gegebenenfalls auch zu erklären, dann erkennt man schnell, dass die Szenen genau den Richtigen Gegenpol zu den Ekelszenen bilden, von denen die Action in der Serie lebt. Dieser unglaubliche Fokus auf die Charaktere zur zweiten Hälfte der Staffel, bedeutet aber nicht, dass jeder Zug der Figuren positiv ist. Es gibt mindestens ebenso viele negative Eigenschaften bei den Überlebenden, wie es positive gibt. Natürlich gibt es die obligatorischen Klischeefiguren: den Nazi, die verprügelte Hausfrau, die naive Schwester. Doch anhand der Geschichten um diese Personen wird ein Drama aufgebaut, dass selten so komplex wirkte. Die Komplexität wird sicherlich noch von den im Raum stehenden Fragen zu den Zombies aufrecht erhalten. Einige Rätsel um die Zombies werden meiner Meinung nach viel zu früh aufgedeckt. So wird gegen Ende bekannt, wie ein Mensch zum Zombie wird. Ob es strategisch gut war, dieses Geheimnis so früh zu lüften, ist schwierig zu beurteilen. Immerhin hat die erste Staffel nur sechs Episoden, als Dramaschnipsel ist es überaus gut platziert. Kurz darauf gibt es auch noch etwas für die Augen: eine Explosion und wieder eine Flucht.

Fazit

Zusammenfassend ist die erste Staffel von "The Walking Dead" ein Auf und Ab von Sympathiegefühlen, Ekel, Schrecken, Mitleid und der Erkenntnis, dass nicht immer alles so ist, wie man es gerne hätte. Dass der Mensch als Person zu mehr in der Lage ist, als er sich zutrauen würde. Stellt sich die Serie zunächst als Action-Drama mit Zombies vor, zeigt sich schnell, dass es genau das nicht ist. Es ist im Grunde ein Charakter-Drama in der Umgebung vom Zombies, gepaart mit einer ordentlichen Portion Action. Die Charaktere sind fast alle sehr gut gecastet und abwechslungsreich gestaltet. Jedem, den die unglaubliche Anzahl an Charaktere zunächst abschreckt, dem sei gesagt, dass es nicht bei so vielen Personen bleibt. Nach der ersten Staffel stellt sich nur eine Frage, die Frage, die Rick schon die ganze Zeit über beschäftigt: Wie geht es weiter?

Jamie Lisa Hebisch - myFanbase