Die besten Charaktere 2014/2015
Don Draper (Mad Men, Staffel 7)

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Noch bevor "Mad Men" mit seinem sowohl grandiosen als auch ominösen Finale #7.14 Sie erkannten einander seine sich über zehn Jahre erstreckende Geschichte abschloss, war klar: Aus dieser Serie wird eine Ikone hervorgehen – Don Draper. Dargestellt von dem phänomenalen Jon Hamm, der sieben Jahre lang eine absolute Höchstleistung ablieferte, etablierte sich Don von Anfang an als einer dieser Charaktere, die man nicht abschütteln kann, die einen packen und faszinieren, ärgern und begeistern, und die einen immer wieder überraschen. Die unglaubliche Komplexität, die Matthew Weiner bei der Figurenzeichnung Don Drapers aufzubauen vermochte, findet allerhöchstens in Kultserienfiguren wie einem Tony Soprano oder einem Walter White echte Konkurrenz. In Staffel 7B beendet "Mad Men" die Geschichte Don Drapers nicht, vielmehr bricht sie diesen Charakter in seine Einzelteile herunter, dringt bis ins Innerste dieses geplagten Menschen vor und zeigt am Ende: Don Draper ist wie wir alle. Don Draper ist der Inbegriff des amerikanischen Konsumenten, des postmodernen Mannes im Zentrum einer Gesellschaft, in der es immer schwieriger wird, wahrhaftige, bedeutsame Erfahrungen zu machen.

"You spend your whole life thinking you're not getting it, people aren't giving it to you. Then you realize: They're trying, and you don't even know what it is."

Foto: Jon Hamm, Mad Men - Copyright: Frank Ockenfels III/AMC
Jon Hamm, Mad Men
© Frank Ockenfels III/AMC

Der US-Schriftsteller und Journalist Hunter S. Thompson hat einmal gesagt: "All my life my heart has sought a thing I cannot name." Dieses Gefühl der Leere, der Sinn- und Orientierungslosigkeit, ist es, das Don Draper treibt, ihn schon immer getrieben hat, gemeinsam mit der Tragik seiner Vergangenheit, dem Trauma des Krieges und der Bürde, den gestohlenen Namen eines toten Mannes zu tragen. Don konstruierte in vielerlei Hinsicht ein zweites Ich, eine andere Version von sich selbst: indem er seinen eigentlichen Namen Dick Whitman ablegte und sich als Don Draper ausgab, um als Koreakrieg-Deserteur nicht aufzufliegen; indem er sich als glanzvollen und selbstbewussten Werbefachmann Don Draper inszenierte; indem er mit neuen Frauen, sowohl Ehefrauen als auch Geliebten, immer wieder versuchte, sich selbst neu zu definieren.

In Staffel 7B geht "Mad Men" diesem Drang Dons, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, auf den Grund. Sie findet den Grund einerseits in seiner fragmentierten, zerstörten Vergangenheit, die er nicht hinter sich lassen kann. Andererseits stellt sie auch heraus, dass Don der Oberflächlichkeit und dem schönen, aber inhaltsleeren Schein der amerikanischen Konsumgesellschaft, die er als Ad Man paradoxerweise propagiert, nichts entgegenzusetzen hat. Don hat sich ein Leben aufgebaut, das nicht echt ist, mit einem falschen Namen, Lügen gegenüber seiner Familie, Lügen gegenüber sich selbst. Er kämpft mit der Leere des Konsumismus und des Kapitalismus, der Amerika ergriffen hat, und ist damit der Inbegriff des kranken postmodernen Individuums, das in dem System voller Schein und ohne Sein untergeht.

Dass die Gesellschaft, sein Leben und sein Job, das ständige Rennen im Hamsterrädchen von Sterling Cooper, SCDP, seinen Nachfolgefirmen und schließlich als vermeintliche Krönung des Ganzen bei McCann Erikson ihn nicht erfüllt, ja vielmehr zerstört, erkennt Don erst spät. Er sitzt in einem Meeting bei McCann Erikson und muss erkennen, dass er einer von vielen ist, nichts besonderes mehr, dass vor ihm jemand sitzt, der fast genauso gut wie er ein Produkt zu verkaufen vermag, dem jedoch jegliche emotionale Bindung dazu fehlt. Don war diese immer wichtig (man erinnere sich an die legendäre, hochemotionale Präsentation in #1.13 Das Karussell), er hat sie immer gesucht. Doch er erkennt in diesem Moment, dass er raus muss. Raus aus diesem Meeting, diesem Zimmer, diesem ganzen Leben. Und so steht er einfach auf und geht, und begibt sich auf einen ereignisreichen Roadtrip durch die USA.

Es ist interessant – und spricht erneut für Weiners unglaublich beeindruckendes Feingefühl für den damaligen Zeitgeist –, dass in diesem Zusammenhang Jack Kerouacs bedeutender Roman "On the Road" wörtlich in der Serie erwähnt wird. Don wird nämlich zu einem solchen Jack Kerouac, einem ruhelosen Mann auf der Suche nach dem undefinierbaren "Es", das sein Leben richten und ihm einen Sinn geben soll. Don wirft nach und nach alles von sich ab, seinen Anzug, sein Auto und schließlich sogar seinen falschen Namen (Stephanie nennt ihn Dick) – er erkennt, dass er all das nicht braucht. Er stellt sich seiner Kriegsvergangenheit und lernt (in einer gänsehautverursachenden Szene), sie zu akzeptieren. Er erkennt, dass er als Familienvater versagt hat, er lernt, Bettys Entscheidungen zu respektieren, er versteht, wie wichtig es ist, Menschen wie Peggy zu haben, die hinter ihm stehen. Und letztlich schafft er das, was er all die Jahre nie wirklich konnte: Er stellt eine echte Verbindung zu einem anderen Menschen her. Bezeichnenderweise ist es ein fremder Mann, der bei einem Selbsthilfeseminar obenstehende Zeilen sagt und damit Don aus der Seele redet. Und als dieser erkennt, dass er nicht alleine ist in seiner Angst und der Unfähigkeit, seinem Leben einen Sinn über Konsum und Kommerz hinaus zu geben, bricht er weinend zusammen und nimmt den Fremden in den Arm.

Don ist weit gekommen seit Staffel 1, auch wenn er sich all die Jahre über immer wieder im Kreis gedreht hat. Es ist am Ende nicht klar, ob er sich für ein Leben als Aussteiger entscheidet oder doch zur Madison Avenue zurückkehrt und, wie angedeutet wird, den legendären "Coca Cola"-Spot dreht – was ihn zum ultimativen Repräsentanten und Propagierer der US-Konsumgesellschaft machen würde. Doch sein Irren und Wirren ist nur menschlich. Denn letztlich ist Don der endlos fallende Mann aus dem "Mad Men"-Vorspann, dieser Mensch inmitten eines Systems voller endloser Bilder und Simulakren, umgeben von Marken und Illusionen, der nach Sinn und Perspektive sucht. Matthew Weiner hat mit Don Draper eine enorm tiefgründige, tragische und gleichzeitig fast schon für die Ära symptomatische Figur geschaffen, die man sieben Jahre lang mit ständiger Faszination begleitet hat. An dieser Figur und an dieser Serie werden sich künftige TV-Produktionen immer messen müssen.

Maria Gruber - myFanbase

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