Bewertung

Review: #4.19 2036

Foto: Fringe - Grenzfälle des FBI - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
Fringe - Grenzfälle des FBI
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Mittlerweile ist es Tradition geworden, dass sich die Macher von "Fringe" gegen Ende einer Staffel etwas Besonderes einfallen lassen. Den Anfang machte #2.20 Brown Betty, eine Mischung aus Musical- und Film noir-Episode, in der Walter Olivias Nichte Ella ein Märchen erzählte. In der dritten Staffel ging es dann im wahrsten Sinne des Wortes kunterbunt zur Sache, als Peter und Walter in #3.19 LSD in Olivias Gedankenwelt eindrangen und die Hälfte der Folge als Cartoon inszeniert wurde. Nun befinden wir uns in der vierten Staffel und die Macher setzen mit #4.19 Letters of Transit die Tradition fort und liefern eine Episode ab, der extrem aus dem bisherigen Muster der Staffel herausbricht. Es geht nämlich nicht um David Robert Jones' größenwahnsinnigen Plan, sondern wir finden uns in der dieser Folge plötzlich in einer Welt wieder, die mittlerweile vollständig von den Beobachtern in einem totalitären System regiert wird: Willkommen im Jahr 2036.

"I do hope we're going to the circus."

Zweifelsfrei ist die Prämisse, die hinter dieser Episode steckt, ungemein spannend. Die Idee, dass die zukünftige Menschheit irgendwann den eigenen Planeten so zerstört, dass sie dort nicht mehr existieren können, deshalb in die Vergangenheit reisen und dort ein totalitäres System erschaffen, in dem sie die großen Herrscher sind und die ursprüngliche Weltbevölkerung praktisch versklaven, ist wirklich großartig und eine Dystopie übelsten Ausmaßes. Dass das große Unheil im Falle von "Fringe" dann auch noch die ominösen Beobachter sind, bei denen man sich nie entscheiden konnte, ob sie nun gut oder böse sind, ist umso besser. Haben die Beobachter wirklich all die Jahre nur beobachtet, um ihre eigene Geschichte zu studieren, wie September es Peter in #4.14 The End of all Things erklärte? Oder haben sie letztlich nur beobachtet, um so besser für eine Invasion gewappnet zu sein? Bei letzterer Vermutung muss man zweifelsohne an das Ende von #2.03 Der Colonel zurückdenken, als ein Gefangengenommener dem Fringe-Team offenbarte, dass die Beobachter nur da sind, um unsere Welt zu zerstören. Dass es nun wirklich so weit kommen wird und die omnipräsenten Beobachter, die uns seit der ersten Staffel beschäftigen, nun eine solche Rolle einnehmen, ist einfach wahnsinnig spannend und würde definitiv Stoff für zahlreiche weitere Staffeln liefern.

Zu zahlreichen weiteren Staffel wird es aber definitiv nicht kommen, stattdessen bangen wir Fans darum, dass Fox sich gnädig zeigt und "Fringe" noch eine letzte Staffel spendiert, die dann aber wiederum auch nur rund 13 Episoden erhalten soll (Anm.: Mittlerweile wurde "Fringe" tatsächlich um eine 13 Episoden umfassende letzte Staffel verlängert). Daher bin ich ehrlich gesagt unschlüssig, was sich die Macher bei dieser Episode gedacht haben. Keine Frage: Sie diente als Art Vorgeschmack auf das, was noch auf uns zukommen würde, sollte "Fringe" verlängert werden. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass die Macher uns eine solch tolle Grundprämisse in einer Folge auftischen und sie dann wieder fallen lassen. Dafür fühlte sich diese Folge am Ende auch zu abgehakt an und man merkte deutlich, dass die Macher sich wünschen, da definitiv noch mehr kommen zu lassen. Schließlich hat man nun (fast) das ganze Fringe-Team auch in der Zukunft komplett, welche bereit zu sein scheinen, eine Maschine zu bauen, mit der sie die Beobachter besiegen können. Es fehlte praktisch nur noch ein "Fortsetzung folgt..." am Ende dieser Folge. Wäre "Fringe" der Quotenhit schlechthin und wären zahlreiche weitere Staffeln sicher, so wäre diese Episode wie gesagt nur ein sicherer Vorgeschmack gewesen und die kommenden Staffeln hätten sich sicherlich darauf konzentrieren können, wie es langsam aber sicher zu der Beobachter-Invasion kam, wie sich das Fringe-Team letztlich selbst in Bernstein einfriert, bis wir dann wieder an dem Punkt angekommen wäre, wo #4.19 ansetzte. An sich eine wirklich super durchdachte Angelegenheit, doch wie gesagt: Mehr als 13 zusätzliche Episode wird es definitiv nicht geben, wenn nicht gar nach Staffel Vier Schluss sein wird. Und selbst wenn wir eine fünfte Staffel zu sehen bekommen: Wie möchte man es schaffen, im Finale der vierten Staffel von Jones’ Plan auf die Invasion der Beobachter umzuschwenken? Schließlich haben beide Storyarcs nichts miteinander zu tun und zwischen der Invasion der Beobachter und dem Finale würden theoretisch noch drei Jahre liegen. Dann müsste man innerhalb von 13 Folgen auch noch die Handlung eines Zeitrahmens von 24 Jahren abarbeiten, was mir fast unmöglich erscheint. Sollte es also eine fünfte Staffel geben, dann bin ich wirklich sehr gespannt, wie man das Ganze handhabt und sich die Autoren vielleicht nicht zu viel vorgenommen haben.

"Twenty years? It's no wonder I'm so hungry. Do you have anything to eat?"

Kommen wir nun zur Folge an sich, nachdem ich bisher ja eher über die Zukunft spekuliert habe und weniger auf die Episode an sich eingegangen bin. Das war meiner Meinung nach aber deshalb nötig, da ich doch immer wieder merken musste, dass so manche Zuschauer der wirkliche Sinn hinter dieser Episode verwährt blieb und sie nicht wirklich verstanden haben, dass #4.19 keine belanglose Zukunftsszenariofolge war, sondern man durchaus bereits Vorarbeit für eine mögliche finale Staffel leistete.

Gut, nun aber wirklich zur Folge an sich: Dass die Grundidee der Folge von Anfang an dafür sorgte, dass man die Episode mit einer enormen Interesse verfolgte, dürfte nur auf die wenigsten nicht zutreffen. Zudem punktete die Episode auch noch mit den unterschiedlichen Inszenierungen, denn die Darstellung des zukünftigen New Yorks hätte man für TV-Verhältnisse kaum besser machen können und auch die gealterten Versionen von Broyles und Nina Sharp wurden erschreckend gut in Szene gesetzt. Probleme hatte ich nur mit der Machtdarstellung der Beobachter. Mal abgesehen davon, dass deren Soldaten doch sehr an Mitglieder von Görings Sturmabteilung während des Nazi-Regimes in Deutschland erinnerte, blieb es doch ein wenig schleierhaft, weshalb die Beobachter sie kaltherzig und brutal agieren. Bisher hat man sie niemals so dargestellt, eher im Gegenteil. In #2.08 August haben wir einen Beobachter gar Liebe empfinden und einen anderen Beobachter weinen sehen und auch sonst vermittelten die Beobachter nie ein wirklich bedrohliches Gefühl, was in #4.19 ja definitiv der Fall war. Außerdem fragt man sich doch, weshalb man die ganze Zeit nur männliche Beobachter zu Gesicht bekommen hat, nie aber Frauen oder Kinder, die auch aus der Zukunft stammen. Was das betrifft, ist uns die Serie definitiv noch eine Antwort schuldig und man würde das Ganze sicherlich auch noch irgendwie erklären, doch dass man das als Zuschauer zu diesem Zeitpunkt einfach so hinnehmen musste, störte an einigen Stellen doch schon.

"I've eaten it once. It's sweeter than you think." "Feces?" "God no. Brains! And LSD … I love LSD."

Dann gab es da natürlich noch eine Handlung, die uns durch diese Episode führte und in deren Mittelpunkt Walter und die zwei FBI-Agenten Etta und Simon standen. Zunächst einmal war es selbstverständlich gewöhnungsbedürftig, zwei vollkommen neue Charaktere so stark in den Vordergrund zu rücken und die uns so vertrauten Figuren, abgesehen von Walter, nur für wenige Minuten zu präsentieren. Gleichzeitig finde ich so etwas aber immer wieder mutig von den Autoren und bemerkenswerter Weise hat man es schnell geschafft, zu Simon und Etta einen Draht zu entwickeln und ihr jeweiliges Handeln immer nachzuvollziehen. Lediglich Simons Selbstopferung kam doch ein wenig zu abrupt, auch wenn man zuvor bei dem Gespräch zwischen ihm und Etta versucht hatte, Simons Tat im Nachhinein nachvollziehbar zu machen. Dann gab es da noch ein paar kurze Szenen mit Nina, die deshalb schön mit anzusehen waren, weil Nina also auch im Jahr 2036 auf der Seite des Fringe-Teams steht und sie unterstützt. Ein wenig Kummer bereitete mir genau deshalb hingegen die Szenen mit Broyles, der zwar immer noch die Fringe Division leitet, aber unter der Kontrolle der Beobachter obliegt. Hier wurde zu keinem Zeitpunkt wirklich deutlich, welche Stellung er bezieht. Allein aufgrund seines erschreckend in Mitleidenschaft gezogenes Aussehen und seiner kurzen aber harmlosen Auseinandersetzung mit einem der Beobachter könnte man meinen, dass er definitiv nicht glücklich mit der jetzigen Situation ist. Das wird auch definitiv der Fall sein, doch in der Hinsicht fehlte mir ein eindeutiger Hinweis, der gezeigt hätte, dass Broyles sich den Beobachtern widersetzen möchte und mit Etta und Simon sympathisiert. Wie gesagt, sicherlich wird dem auch so sein, aber sein gesamtes Verhalten in dieser Episode war charakterlich gesehen sehr schwach und ich hätte ihn Etta und Simon gerne aktiv unterstützen gesehen. Auch hätte ich gerne eine Szene gehabt, in der Broyles auf das alte Fringe-Team, also auf Walter, Peter und Astrid trifft, um dann zu sehen, wie er sich verhält. Dazu kam es leider nicht, weil generell Vieles gegen Ende hin einfach abgehackt und unvollständig wirkte.

Ansonsten war das ganze Geschehen in der Zukunft recht spannend und die Suche nach dem berühmberüchtigten Fringe-Team der Vergangenheit, nämlich dem uns bekannten Team, die eine Maschine entwickelt haben, um die Beobachter zu besiegen, war ebenfalls eine interessante Angelegenheit. Weshalb jedoch William Bell am Ende in dem Bernstein mit eingeschlossen war, bleibt ein Rätsel, schließlich ist er im Finale der zweiten Staffel gestorben und einen erneuten Gastauftritt von Leonard Nimoy in einer eventuellen fünften Staffel darf so gut wie ausgeschlossen werden. Wie man im Nachhinein also erklären will, weshalb sich Bell ebenfalls in dem Bernstein befand, wird interessant zu sehen sein.

Eine Glanzleistung während dieser Episode hat erneut John Noble vollbracht. Erstaunlich, wie er zunächst den uns bekannten verwirrten, liebevollen und zum Drücken animierenden Walter mimte, ehe er wenig später problemlos und erschreckend gut einen sehr viel weniger sympathischen, walternate-esken Walter darstellte, nachdem man Walter Teile seines Gehirns zurückgab, die Bell ihm einst entnommen hatte. Dass man auf dieses Storyelemet zurückgegriffen hatte, das während der zweiten Staffel ja immer mal wieder eine Rolle spielte, gefiel mir im Übrigen sehr gut und zeigte, dass es den Machern immer wieder gelingt, auch uralte und fast schon vergessene Elemente der Serie plötzlich wieder ein wenig in den Vordergrund zu rücken, wie beispielsweise auch schon das Wiederauftauchen der mysteriösen Kapsel in #4.15 A Short Story About Love.

"Hi Dad."

Am Ende der Episode sollte es dann eine überraschende Enthüllung geben, die jedoch nur für die Zuschauer überraschend waren, die mal wieder "blind zugesehen" haben (Erklärung hierzu in der Review zu #4.04 Subject 9, erster richtiger Abschnitt). Ich hatte nämlich die ganze Zeit über keinen Gedanken daran verschwendet, dass Etta die Tochter von Peter ist. Im Nachhinein ist es mir natürlich auch wie Schuppen von den Augen gefallen, zumal man mit Georgina Haig einen wirklich wahnsinnigen Castingtreffer landete, denn die junge Dame spielt nicht nur ausgesprochen gut, sondern sieht wirklich wie eine jüngere Anna Torv aus. Peter hat derweil also auf den Rat von September gehört und tatsächlich noch mit Olivia ein Kind gezeugt, das zudem noch eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Beobachter spielt.

Besorgt stellt man sich nur noch eine Frage: Was ist mit Olivia? Die Antwort dürfte fast schon klar sein: Olivia ist im Jahr 2036 bereits lange tot. Weshalb sonst war sie nicht mit den anderen in Bernstein eingefroren und weshalb sonst sollte Olivias Tochter eine Kette um den Hals tragen, deren Anhänger eine Patronenhülse ist? Eigentlich dürfte die Tatsache niemanden mehr überraschen, schließlich erhielt Olivia schon zweimal die Nachricht, dass sie bald sterben werde (#3.19 und #4.08 Back To Where You’ve Never Been) und in einer möglichen Zukunft (#3.22 Der Tag, an dem wir starben) wurde sie bereits einmal getötet. Leider bekommen wir in dieser Episode keinerlei Informationen darüber, was mit Olivia geschehen wird, geschweige denn wird ihr Name überhaupt einmal erwähnt. Auch hier fühlte es sich wieder danach an, dass diese Folge gewaltig unvollständig zu Ende gebracht wurde. Natürlich war das so beabsichtigt, schließlich möchte man das Ganze dann nach und nach von hinten aufrollen und noch mit der ein oder anderen Überraschung aufwarten, statt das ganze Pulver jetzt schon in dieser einen Episode zu verschießen. Allerdings wäre es durchaus möglich gewesen, die Episode dramaturgisch besser aufzubauen und vor allem so abzuschließen, dass man am Ende nicht das Gefühl hat, dass Fox vergaß, weitere zwanzig Minuten der Episode auszustrahlen.

Ein kleiner Kritikpunkt wäre da noch der Zeitpunkt dieser Episode. Es war einfach eine schlechte Idee, nach einer Episode wie #4.18 The Consultant, in der die Haupthandlung eine neue Brisanz erreichte, eine Episode wie #4.19 zwischenzuschieben, die die komplette momentane Staffelhandlung auf Eis legt und urplötzlich mit einem gewaltigen neuen Handlungsszenario daherkommt. Besser wäre beispielsweise eine Ausstrahlung nach #4.15 gewesen, in der die Storyline um Peter abgeschlossen wurde. Dann ein kurzer Ausflug ins Jahr 2036 und danach eine kontinuierliche Thematisierung der Storyline um David Robert Jones wäre definitiv eine bessere Wahl gewesen.

"A little more focus and a little less pontificating and we might have the job done by now."

Abschließend ist #4.19 Letters of Transit einfach deshalb sehr schwer zu bewerten, weil Fox noch immer nicht herausrücken möchte, ob man sich für eine finale fünfte Staffel von "Fringe" entscheidet oder nicht. Wenn ja, dann war diese Episode ein clever gemachter und wirklich sehr vielversprechender Vorgeschmack auf das, was uns in jener Staffel erwarten würde und es würde ungemein interessant sein, wie man langsam aber sicher auf die Ereignisse dieser Folge hinarbeitet. Sollte es keine weitere Staffel geben, dann wäre uns Zuschauern leider klar, welch eine aussichtsreiche und tolle Handlung man niemals zu Gesicht bekommen wird. Und in dieser Hinsicht ist es eigentlich eine echte Frechheit, dass uns die Macher, trotz der sehr unsicheren Zukunft der Serie, so eine Episode und somit einen Vorgeschmack auf etwas abliefern, was wir niemals zu sehen kriegen.

Was nun auch der Fall sein wird, #4.19 bleibt natürlich eine herausragende und mutige Episode, die leider unter ihrem schwächelnden dramaturgischen Aufbau und so manch verbesserungswürdigen Details in der Inszenierung einiger Handlungselemente hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.

Manuel H. - myFanbase

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