Bewertung

Review: #1.13 Lächeln

Foto: Marvel's Jessica Jones - Copyright: Netflix.® All Rights Reserved.
Marvel's Jessica Jones
© Netflix.® All Rights Reserved.

Nun ist sie also vorbei, die erste (und hoffentlich nicht einzige) Staffel von "Marvel's Jessica Jones" ist zu Ende. Es ist immer ein wenig seltsam mit diesen Netflix-Serien, die dank ihrer Veröffentlichung am Stück mit voller Wucht in das Leben der Zuschauer treten, dann aber furchtbar schnell wieder vorbei sind. Da merke ich doch auch immer, dass ich eigentlich eher ein Fan der herkömmlichen, wöchentlichen Dosierung bin. Aber das sind ja nur Nebenschauplätze, es geht ja hier um den Inhalt und da konnte die Serie mich wirklich vollkommen überzeugen, auch wenn es ein paar kleine Schwächen gibt. Aber die Stärken wiegen für mich einfach viel stärker.

Das Finale als Episode war dieser starken Debütstaffel durchaus würdig, auch wenn man nicht mehr an die für mich besten drei Folgen der Serie (die Mittelteil-Episoden #1.07 Die schlimmsten Perversen bis #1.09 Die Strafecke) herankommt. Danach hatte man in meinen Augen etwas den Faden verloren und auch irgendwie die Zeit strecken müssen, so konnten mich (im Gegensatz zu meiner Kollegin Maret) #1.10 1000 Schnitte und #1.11 Die Blauen nicht so richtig überzeugen. Aber mit diesen letzten beiden Episoden wurde die Serie wieder fokussierter und man arbeitete wieder zielstrebig auf ein zufriedenstellendes Ende hin. Und dass dieses Ende nur aus dem Tod von Kilgrave bestehen würde, war nach dem Verlauf der zweiten Staffelhälfte absolut unvermeidbar. An dieser Tatsache gibt es kein Vorbeikommen, auch wenn es mir um David Tennants Präsenz in zukünftigen Folgen leid tut. Ein Zurückrudern hätte die Serie hier ihre Integrität gekostet und ich bin auch mit der finalen Szene von Jessica und Kilgrave absolut zufrieden. Dass Jessica, als sie dann einmal direkt an Kilgrave herankam, diesen recht simpel den Hals umdreht, hat für eine absolut befriedigende Reaktion meinerseits gesorgt. Mehr Kampf oder mehr Aufmerksamkeit hätte dieser Mann nicht verdient gehabt, der trotz der Spur der Vernichtung, die er hinterlässt vor allem eins war: ein pathetischer Narzisst. Bis dahin konnten wir Zuschauer wieder einmal Zeuge einer spannenden Konfrontation von Jessica und Kilgrave werden, die durch das an Trish gerichtete "I love you" von Jessica großartig aufgelöst wurde.

Ein weiterer Aspekt dieser Folge drehte sich überraschender Weise stark um Claire Temple, der von Rosario Dawson dargestellten Krankenschwester aus "Marvel's Daredevil". Ich weiß nicht so recht, wie deren starke Präsenz in dieser Folge auf diejenigen Zuschauer wirkt, die "Daredevil" nicht gesehen haben, aber ich persönlich habe diesen Auftritt sehr genossen. Dawson verleiht Claire eine unheimlich beruhigende Art, die aus einer Mischung aus Lebenserfahrung und Intelligenz entstanden zu sein scheint und ihre Funktion als Ratgerberin sowohl für Jessica, Malcolm aber auch Luke Cage war hier sehr willkommen. In meinen Augen wirkte es, als gehörte sie sofort in diese Welt und so hat man natürlich gleich eine bleibende Querverbindung zu Matt Murdock, aber ich vermute auch zu Luke Cage und dessen eigener Serie, die sich im Neflix-Veröffentlichungsrhytmus an "Jessica Jones" anschließen wird, aufgebaut. So war die Rettung von Luke beim ersten Sehen hier auch vor allem eine Geschichte über Jessica und deren Gefühle für Luke ("You're the first person I ever pictured a future with. You’re also the first person I ever shot in the head."), nach einigem Drübernachdenken funktioniert sie aber auch wunderbar als Vorbereitung für Luke Cages eigene Geschichte. Denn wir wissen wenig, wie er wirklich zu Jessica steht (seine Worte aus der letzten Folge können entweder alle von Kilgrave stammen, aber auch zum Teil von ihm), und auch seine Vergangenheit mit Reva bleibt weiterhin ein Rätsel. Aber dafür gibt es dann ja "Luke Cage" und nach dieser Episode hoffe ich sehr, dass auch Claire Temple darin einen wichtigen Teil ausfüllen wird.

Für "Jessica Jones" kann man hier nach dem Staffelende auch schon ein wenig in die Zukunft blicken, sollte die Serie, was ich doch sehr hoffe, eine zweite Staffel erhalten. Am Ende schafft es Jeri, Jessica für den Mord an Kilgrave vor einer Strafe zu bewahren. Und Jessica wird zur Heldin der Unterdrückten, nur eben nicht als Superheldin, sondern als Detektivin. Ich persönlich könnte mir gut vorstellen, dass die zweite Staffel dann auch erst einmal mehr in Richtung einzelner Fälle der Woche geht, und nicht sofort wieder eine derart allesumfassende Staffelhandlung wie hier mit Kilgrave aufgebaut wird. Einerseits wird es schwer, diese Intensität noch einmal zu erreichen, andererseits gäbe es aus der Comic-Vorlage da auch einiges zu adaptieren. Nun, da die Serie sich etabliert hat, könnte man sich da auch einmal solchen Dingen widmen.

Anderseits wurden hier natürlich einige inhaltliche Fragen offen gelassen, wie der Verbleib von Will Simpson aka Nuke, oder die gesamte Hintergrundgeschichte rund um IGH und die Ursachen für Jessicas Kräfte. Es gibt also durchaus noch einiges zu Erzählen, vor allem natürlich auf der Ebene der persönlichen Beziehungen. Da hat man mit der Freundschaft zwischen Jessica und Trish eine Frauenfreundschaft für die Serienewigkeit geschaffen, aber auch die Entwicklung von Malcolm zu Jessicas Assistenten und gleichzeitig ihrem Gewissen ist sehr gelungen und bietet noch viel Potential.

Da es aber noch so lange dauert, bis wir Jessica Jones wiedersehen werden, wenn wir Pech haben müssen wir bis hin zu den "Defenders" und damit bis mindestens 2017 warten, muss ich hier noch einmal die Gelegenheit nutzen und die ganzen vielen Dinge ansprechen, die diese Serie bis hierher so besonders gemacht haben. Da wäre natürlich zum ersten der großartige Cast. Krysten Ritter hat die schwierige Aufgabe, Jessica mit Leben zu füllen, sowohl in den deprimierendsten Augenblicken ihres Lebens, als auch denen, die einen feinen Humor verlangt haben, wunderbar gemeistert. Gleich danach muss ich Rachael Taylor und Eka Darville erwähnen, die Jessicas Verbindung zum normalen Leben verkörperten.Über David Tennant habe ich schon oft geschwärmt, aber er muss natürlich auch hier noch einmal erwähnt werden. Die Gratwanderung, Kilgrave einerseits nachvollziehbar zu gestalten, ihn aber nie zu entschuldigen, war sicher nicht einfach zu verwirklichen. Dabei hat Tennant auch oft mit Ticks gearbeitet, die in seiner Paraderolle des Doctor Whos noch als liebevolle Macken interpretiert wurden, die hier aber einfach nur erschreckend oder abstoßend waren. Und auch Mike Colter konnte die Coolness, aber auch die Verletzlichkeit von Luke Cage großartig transportieren.

Der einzige Schwachpunkt im Cast war und ist für mich Wil Traval, der mich weder als Sympathieträger, noch als Bösewicht überzeugen konnte. Ich weiß, dass man in Sachen Optik bei ihm bewusst in Richtung Steve Rogers bzw. Chris Evans gearbeitet hat, was spätestens mit seiner Enthüllung als Regierungsexperiment im Sinne von Captain America Light Sinn machte, aber diese Geschichte hat für mich nie so richtig gezündet und ich hab mich viel zu lange gefragt, wann Trish den Guten einfach in die Wüste schicken wird. Will hatte natürlich, wie eigentlich alle Männer in "Jessica Jones" eine zweite Bedeutung, und wie sich eben im Verlaufe der Staffel herausgestellt hat, gehörte er zu den Verkörperungen von maskulinen Vorstellungen, die auf der falschen Seite der Gut-und-Böse-Linie landen. Als Metapher für ein bestimmtes Tätermodell kann ich Simpson noch akzeptieren, mehr aber auch nicht.

Und damit wären wir auch schon bei dem Aspekt der Serie, den ich wirklich am beeindruckendsten fand. Denn die Art und Weise, wie man hier komplizierte Themen wie Missbrauch, Postraumatischen Stress, körperliche Integrität und Selbstbestimmung, die verworrene Dynamik der Geschlechter in der patriarchalen Gesellschaft und immer wieder das heikle Thema Vergewaltigung thematisiert hat, hat mich schlicht vom Hocker gehauen. Vor allem, dass man diese Dinge nicht wie in einer Lehrstunde als Lektionen einbaute, sondern sie zur Grundlage aller Beziehungen und Verhaltensweisen machte. Viele Frauen konnten sicher in zahlreichen der verqueren männlichen Verhaltensweisen wiedererkennen, ohne das man offen thematisieren musste. Da wären beispielsweise subtile Dinge, wie Kilgraves Aufforderung an seine Opfer zu lächeln, die das allzu übliche Verhalten von Männern widerspiegelt, die sich dazu berufen fühlen, dies völlig fremden Frauen unaufgefordert zu sagen ("Du siehst viel hübscher aus, wenn du lächelst" gehört für mich seit meiner Teenagerzeit zu den verhasstesten Sätzen, ohne das ich damals schon klar artikulieren konnte, was mich daran so stört). "Jessica Jones" macht es an diesem Beispiel, aber auch an vielen anderen klar, dass so etwas nicht OK ist. Aber was ich noch viel wichtiger finde, die Serie macht überhaupt erst einmal deutlich, dass diese Dinge zur weiblichen Lebensrealität dazugehören, ob wir uns nun mit Feminismus beschäftigen wollen oder nicht. Am subtilsten wurde dies wohl über die gesamte Serie eingearbeitet, in dem man Jessica lange Zeit nach Beweisen jagen lässt, um ihre Erfahrungen mit Kilgrave ihren Mitmenschen nachzuweisen. Und diese Diskrepanz zwischen ihrer erlebten Erfahrung und der, die Gesellschaft wahrnimmt, kennen Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung nur zu gut. Der dauernde Verdacht, dass man sich als Opfer die Tat nur ausgedacht habe, ist fester Bestandteil unserer Kultur, obwohl die statistischen Zahlen eine ganz andere Sprache sprechen. Und damit, aber auch mit vielen, vielen anderen Blickwinkeln, die die Serie präsentiert, ist für mich deutlich, dass diese aus einer komplett weiblichen Perspektive erarbeitet wurde. Und dass man sehr viel Wert darauf gelegt hat, diese zu erhalten und nicht zu verwässern, um einem angeblich neutralen Publikum (sprich einem männlichen) zu gefallen.

Randnotizen

  • Eine kurze Referenz zur Kilgrave-Vorlage aus den Comics ist in der Folge auch enthalten. Dort ist er der Purple Man und sein ganzer Körper ist lila. Das konnte man so in der Serie natürlich nicht umsetzen, aber bisher waren die Erinnerungsfetzen an ihn auch immer lila beleuchtet, und hier wird seine Haut kurz lila, nachdem Albert Kilgrave das Serum injiziert hat.
  • Das Gewaltniveau nach Kilgraves Flucht, mit Alberts abgeschnittenen Armen und der Beseitigung dieser im Müllschlucker war mir dann doch zuviel. Das war dann kein Schockeffekt mehr, der mich noch trifft, sondern das war irgendwie nur noch albern. Bis dahin hatte man mich eigentlich mit Kilgraves Horrortaten im Mark erwischt, aber das hier ging dann doch zu weit.
  • Logisch gibt es doch einige Schwächen in dieser Staffel. Kilgraves Fähigkeiten werden gegen Ende als eine Art Virus erklärt, aber wie kann er dann über die Lautsprecheranlage des Krankenhauses seine Opfer beeinflussen? Auch die genaueren Modalitäten seines Einflusses, und wie sich Jessica diesem nun widersetzen konnte, wurde nur sehr oberflächlich erklärt. Dafür, dass man im letzten Staffeldrittel einige Zeit zum Strecken hatte, wäre da sicher noch mehr Kohärenz drin gewesen, auch wenn mich das jetzt persönlich nicht so sehr stört.
  • Im Gegensatz zu Will, hat für mich Jeri Hogarth als Charakter gegen Ende der Staffel dann doch wieder funktioniert. Im Mittelteil der Staffel hat mich ihr Scheidungsdrama ja doch eher gelangweilt, aber da hat man den thematischen Bezug zur Resthandlung doch besser hinbekommen als bei Will. Wahrscheinlich dadurch, dass uns ihre Beziehung zu Jessica einfach wichtiger ist, als die von Simpson zu ihr. Am Ende hat man sie nun wohl eher als Verbindungsglied zwischen den Serien aufgebaut, schließlich ist ihre Comic-Vorlage Jeryn Hogarth ja der Hausanwalt von Iron Fist. Dennoch wäre mit einer Darstellerin wie Carrie-Anne Moss da sicher auch noch einiges mehr drin gewesen.

Cindy Scholz - myFanbase

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