1960s Revisited:
Historische Hintergründe der 6. Staffel

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Wie es bereits in den Jahren davor der Fall gewesen ist, spielen auch in der 6. Staffel von "Mad Men" die realen geschichtlichen Ereignisse der 1960er eine zentrale Rolle in der Serie. Genauer gesagt sind es die Geschehnisse zwischen Dezember 1967 und November 1968, die im sechsten Jahr der Ausstrahlung gewohnt gelungen in die Handlungsstränge rund um Don Draper & Co. eingeflochten werden. Dass es sich dabei historisch betrachtet um eine Zeit des Umbruchs handelt, spiegelt sich nicht nur in den sich wandelnden Frisuren- und Modetrends wider, sondern auch in diversen einschneidenden Momenten, die den weiteren Verlauf der amerikanischen Geschichte nachhaltig prägen sollten.

"It's a shameful, shameful day."

Foto: Jessica Paré & Jon Hamm, Mad Men - Copyright: Michael Yarish/AMC
Jessica Paré & Jon Hamm, Mad Men
© Michael Yarish/AMC

Die größte Aufmerksamkeit widmen Serienmacher Matt Weiner und sein Team in Staffel 6 der tragischen Ermordung von Bürgerrechtler Martin Luther King, die sich am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, ereignet. Den Großteil der Charaktere ereilt diese Nachricht während der jährlichen ANDY-Preisverleihung in New York, an der sowohl die Vertreter von Sterling Cooper Draper Pryce als auch jene von Cutler Gleason and Chaough teilnehmen (#6.05 Die Sintflut). Unmittelbar im Anschluss an die Rede von Ehrengast Paul Newman werden die ersten Gerüchte rund um das Attentat offiziell bestätigt, was nicht nur eine Unterbrechung der Veranstaltung zur Folge hat, sondern auch eine Welle der Entrüstung auslöst. So bricht etwa Joan spontan in Tränen aus, während Megan sich über die geplante Fortsetzung der Preisverleihung echauffiert und Peggys Begleiter, Journalist Abe Drexler, sogleich zwecks Berichterstattung aufbricht. Allgemein ist die Betroffenheit über den Tod des Friedensnobelpreisträgers und Vorkämpfers gegen die soziale Unterdrückung groß, und das ungeachtet der jeweiligen politischen Gesinnung und der zuvor geäußerten Ansichten zum Thema Bürgerrechtsbewegung.

Die Nachwirkungen dieses Ereignisses beschäftigen die Charaktere mindestens genauso sehr wie das Attentat selbst, allen voran die im ganzen Land ausbrechenden Unruhen und Proteste. Insbesondere in der Hauptstadt Washington kommt es zu Gewaltexzessen, was Don enorm beunruhigt, weil seine heimliche Geliebte Sylvia Rosen dort gerade mit ihrem Gatten Arnold verweilt. Aber auch in unmittelbarer Nähe, nämlich im New Yorker Stadtviertel Harlem, droht die Situation nach dem Vorfall zu eskalieren. Nur mit Mühe gelingt es beispielsweise der dort wohnenden Sekretärin Dawn, am Tag nach dem Attentat überhaupt ins Büro zu kommen, weil neben den ausgefallenen Telefonen auch das Transportsystem zusammenzubrechen droht. Ein komplettes Abdriften ins Chaos wird nach Ansicht vieler Beobachter allein dadurch verhindert, dass sich der New Yorker Bürgermeister John Lindsay unverzüglich nach Harlem begibt, um die aufgebrachten Massen persönlich zu beruhigen. Weniger positiv beurteilt sein politischer Berater in der Serie, Henry Francis, diesen Vorstoß: Als er im Anschluss an Lindsays Harlem-Besuch zu seiner Gattin Betty heimkehrt, spielt er die vermeintlich selbstlose Geste des Bürgermeisters als reine Selbstinszenierung herunter und nimmt seinen Frust darüber zum Anlass, um selbst eine aktive Politikerkarriere anzustreben.

"They shot that poor Kennedy boy, I just saw it on TV."

Foto: Vincent Kartheiser, Mad Men - Copyright: Jaimie Trueblood/AMC
Vincent Kartheiser, Mad Men
© Jaimie Trueblood/AMC

Ganz im Gegensatz zu dem Attentat auf Martin Luther King wird die Ermordung des Senators und demokratischen Präsidentschaftsanwärters Robert Francis "Bobby" Kennedy, die sich am 5. Juni 1968 in Los Angeles ereignet, von den Machern weniger stark in den Vordergrund gerückt. Während man Don und Megan die schockierende Nachricht lediglich im Fernsehen verfolgen sieht, tut der ungläubige Pete einen entsprechenden Hinweis seiner Mutter Dorothy zunächst als ein weiteres Anzeichen für ihre fortschreitende Demenz ab (#6.07 Geflogen). Die Erkenntnis, dass es sich dabei keineswegs um eine Verwechslung mit dem im November 1963 verübten Anschlag auf Präsident John F. Kennedy handelt (#3.12 Trauerspiel), lässt allerdings nicht lange auf sich warten. Generell werden die im Herbst 1968 anstehenden Präsidentschaftswahlen anfangs nur am Rande angesprochen. Die überraschende Ankündigung des amtierenden Präsidenten Lyndon B. Johnson am 31. März 1968, auf eine erneute Kandidatur im November zu verzichten, wird beispielsweise ganz beiläufig von Abe erwähnt (#6.06 Pressemeldung). Ebenso ist der daraus resultierende innerparteiliche Vorwahlkampf zwischen Bobby Kennedy und Senator Eugene "Gene" McCarthy, der bis zur Ermordung von ersterem die demokratische Anhängerschaft in zwei Lager spalten sollte, nur nebenbei Gesprächsthema in der Serie.

Mehr als der Vorwahlkampf selbst prägt der chaotische Parteikonvent der Demokraten, der Ende August 1968 in Chicago stattfindet, das politische Stimmungsbild im Land. Auch "Mad Men" trägt diesem richtungsweisenden Ereignis Rechnung, etwa indem Megan sich wie viele Beobachter darüber beklagt, dass das brennende Thema Vietnam konsequent totgeschwiegen wird (#6.10 Vasco da Gama und andere Mexikaner). Joan verfolgt derweil im Fernsehen die Bilder von den massiven Protesten, die die Veranstaltung überschatten, und ist fassungslos ob der Brutalität, mit der die Polizei gegen die Demonstranten vorgeht. Das eigentliche Ergebnis des Konvents, sprich die Wahl Hubert H. Humphreys zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten, geht im Vergleich dazu beinahe unter. Lapidar kommentiert Roger dies mit den Worten, dass die Demokratische Partei tot sei und der republikanische Gegenkandidat Richard Nixon quasi schon gewonnen habe. In der Tat sollte er mit dieser Prognose recht behalten, wenngleich Humphrey sich bei der Wahl am 5. November 1968 letztlich nur knapp geschlagen geben muss. Während dieses Resultat für bekennende Demokraten wie Michael Ginsberg ein Schlag ins Gesicht ist, äußert Don bei einem Barbesuch im Staffelfinale voller Zuversicht, dass dank Nixons Wahlsieg die Welt nun wieder in Ordnung sei.

"You know, we're losing the war."

Foto: Jon Hamm, Mad Men - Copyright: Jordin Althaus/AMC
Jon Hamm, Mad Men
© Jordin Althaus/AMC

Allgegenwärtig, und das nicht erst seit Beginn von Staffel 6, ist indes der andauernde Vietnamkrieg in den Köpfen der Charaktere. Selbst im vermeintlich erholsamen Urlaub auf Hawaii wird Don damit konfrontiert, als er Bekanntschaft mit einem jungen Soldaten schließt, der dem Kriegsalltag dank seiner bevorstehenden Hochzeit für ein paar Tage entfliehen kann (#6.01 Auf dem Absprung (1)). Entsprechend der generellen Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung 1968 ist auch in der Welt von "Mad Men" eine wachsende Kriegsmüdigkeit zu beobachten, nicht zuletzt wegen der immer negativer ausfallenden Berichterstattung in den Medien. Zunehmend laut werden demzufolge die Stimmen, die sich wünschen, wenigstens einen Abend lang ohne das leidige Thema Vietnam auskommen zu können. Selbst unter den anfänglichen Befürwortern der Offensive macht sich in Anbetracht der Unfähigkeit der US-Armee, einen entscheidenden Schlag gegen die Guerilla des Vietcong zu erzielen, Frustration breit. Und besonders schwer trifft der Krieg natürlich all jene, die einen persönlichen Bezug dazu haben: In einem Moment der Schwäche berichtet Stan Peggy, dass sein jüngerer Cousin Robbie, der ihn wenige Monate zuvor noch auf die Feier zu Dons 40. Geburtstag begleitet hat (#5.01 Bisou (1)), an der Front gefallen ist (#6.08 Außer Kontrolle).

Der Vietnamkrieg hinterlässt allerdings nicht nur im Privatleben der Charaktere seine Spuren, sondern auch im Geschäftsalltag der Werbeagenturen. So sieht Peggy sich im Staffelauftakt mit dem Problem konfrontiert, dass ihr Werbeslogan für den CGC-Kunden Koss Headphones ("Lend Me Your Ears") im Lichte der aktuellen Entwicklungen nicht länger tragbar ist. Konkret ist es ein während der "Tonight Show" mit Johnny Carson aufgeführter Sketch über US-Soldaten, die sich mit selbst gebastelten Ketten aus den abgetrennten Ohren ermordeter Vietcongs brüsten, der ihrer Kampagnenidee einen Strich durch die Rechnung macht. Aber auch reale Begebenheiten wie die Proteste gegen den Chemiekonzern Dow Chemical, der in den 1960ern den geächteten Kampfstoff Napalm für den Kriegseinsatz herstellt, halten Einzug in der Serie: Verärgert berichtet Kens Schwiegervater Ed Baxter von entsprechenden Anstürmen auf den Eingangsbereich des Unternehmens (#6.04 Lust und Frust). Um dieser ernsthaften PR-Krise gegenzusteuern, schlägt SCDP-Medienexperte Harry vor, mithilfe einer von Dow Chemical gesponserten Variety Show auf ABC das angeschlagene Image des Konzerns aufzupolieren. Für gute Stimmung sollen dabei Publikumslieblinge wie Joe Namath, Julie Andrews und John Wayne sorgen, so der Plan des TV-Experten.

"All the teenagers of the world are in revolt."

Foto: Danny Strong & Evan Lorene, Mad Men - Copyright: Michael Yarish/AMC
Danny Strong & Evan Lorene, Mad Men
© Michael Yarish/AMC

Nicht unerwähnt bleiben darf abschließend die gegenkulturelle Jugendbewegung in den USA, die sich Ende der 1960er längst vom Nischen- zum Massenphänomen entwickelt hat und auch an "Mad Men" nicht spurlos vorübergeht. Spätestens als Don, Roger und Harry geschäftlich nach Los Angeles reisen und eine alternative Party in den Hollywood Hills besuchen, erleben sie die Hippie-Kultur in all ihren Facetten - von der Mode über die Musik bis hin zum liberalen Umgang mit Drogen - hautnah mit (#6.10 Vasco da Gama und andere Mexikaner). Doch auch in New York ist der Einfluss dieser Bewegung spürbar, wie sich am großen Erfolg des 1968 am Broadway uraufgeführten Musicals "Hair" zeigt, das unter anderem von Pete und seiner Ehefrau Trudy besucht wird. Während Dons Tochter Sally für eine aktive Teilnahme an den zahlreichen politischen Aktivitäten der Jungend- und Studentengruppen im ganzen Land noch etwas zu jung ist, berichten Sylvia und Arnold Rosen mehrfach von entsprechenden Unterfangen ihres Sohnes Mitchell, etwa ein Mitwirken bei den Studentenprotesten in Frankreich, die das Land im Mai und Juni 1968 regelrecht lahmlegen. Wenig später will Mitchell sich vor seiner Einberufung nach Vietnam drücken und entgeht strafrechtlichen Konsequenzen nur deshalb, weil Don sich für ihn starkmacht (#6.11 Zwickmühle). Der SCDP-Kreativdirektor selbst hat indes weniger Glück und steht, als er an Thanksgiving 1968 zwangsbeurlaubt wird, vor den Trümmern seiner Karriere (#6.13 So frei).

Willi S. - myFanbase

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