Die besten Staffeln 2010/2011
In Treatment (Staffel 3)

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Die dritte und letzte Staffel von "In Treatment" zeigte einmal mehr, weshalb wir die Serie in unserem Dekadenrückblick als eine der wahren TV-Perlen im Drama-Genre feierten. Denn trotz aller Befürchtungen, dass die Serie an Qualität einbüßen könnte, sobald sie nicht mehr auf dem israelischen Erfolgsformat "BeTipul" basierte, zog sie das HBO-Publikum schon in den ersten neuen Therapiesitzungen mit dem unverbesserlichen Dr. Paul Weston wieder voll in ihren Bann. Und zwar so sehr, dass man als Zuschauer innerhalb von nur wenigen Episoden unweigerlich in derselben Haut steckte wie der neurotische, aber höchst empathische Psychotherapeut selbst: Man investierte emotional so viel in die neuen Charaktere, dass man nahezu den Bezug zur Realität zu verlieren drohte.

"Again and again, you have allowed your own feelings to interfere."

Zwei der Patienten haben es dem guten Paul dabei ganz besonders angetan. Da wäre zum einen Sunil, ein depressiver, tief verstört wirkender Inder, der seit dem Tod seiner Frau widerwillig bei der Familie seines Sohnes in den USA lebt und seiner Schwiegertochter dabei das Leben schwer macht. Mit seiner rührenden Vergangenheit, seiner ehrlichen Art und seinen großen, unendlich traurigen Augen zieht er nicht nur die Sympathien des Zuschauers sofort auf seine Seite, sondern lockt auch den sonst so zugeknöpften Paul direkt aus der Reserve. Denn Paul spürt instinktiv, dass Sunil sich ihm gegenüber nur dann öffnet, wenn er auch selbst etwas von sich preisgibt. Und so gibt er sich auch offenherziger als je zuvor mit einem Patienten. Er erlaubt Sunil, in seinem Büro zu rauchen, trinkt mit ihm gemeinsam Tee und gewährt ihm sogar Einblick in sein eigenes Privat- und Gefühlsleben. So wird man als Zuschauer Zeuge, wie zwischen diesen beiden Männern, die von Gabriel Byrne und Irrfan Khan so unheimlich grandios verkörpert werden, allmählich eine immer stärkere Bindung entsteht, die von tiefem gegenseitigen Respekt und starker Sympathie füreinander geprägt wird.

Eine fast noch tiefere Vertrautheit entwickelt sich zwischen Paul und seinem jüngsten Patienten der Staffel. Jesse wird zunächst als klassischer, pubertärer Teenager eingeführt, der lästert, flucht, provoziert und sich teilweise einfach nur unmöglich aufführt. Doch schnell wird klar, dass hinter der aggressiven, möchtegerncoolen Fassade einfach bloß ein verwirrter, unsicherer, von Selbstzweifeln und Verlustängsten geplagter junger Mann steckt, der sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt. Auf der verzweifelten, scheinbar endlosen Suche nach sich selbst steht ihm interessanterweise jedoch nicht seine offene Homosexualität im Wege, sondern vielmehr die komplizierte Beziehung zu seinen Adoptiveltern, welche nur noch mehr auf die Probe gestellt wird, als sich völlig unerwartet seine leiblichen Eltern bei ihm melden und ihn kennenlernen möchten. Die Tatsache, dass er in Paul eine Art Ersatzvater sieht und dieser sich auch zunehmend wie ein solcher verhält, lässt zwangsläufig immer wieder auf beiden Seiten Emotionen hochkochen. Und es sind emotionsgeladene Momente wie diese, die dem Publikum wohl am meisten in Erinnerung bleiben werden: Momente, in denen Paul den gesunden Therapeutenverstand über Bord wirft und offen zeigt, wie viel ihm an Jesse und seinem Wohl liegt; Momente, in denen er die zu zerbrechen drohende Psyche Jesses mit allen Mitteln zusammen zu halten versucht, indem er den so wunderbar vielschichtig von Dane DeHaan porträtierten Teenager mit einer Engelsgeduld tröstet, aufmuntert oder auch mal in die Schranken weist. Denn in diesen herzergreifenden Momenten wird einmal mehr deutlich, dass Pauls größte Schwäche, nämlich seine Neigung dazu, viel zu sehr am Gefühlsleben seiner Patienten teilzuhaben, gleichzeitig die größte Stärke der Serie ist.

Doch während der Zuschauer davon profitiert, dass Paul es einfach nicht lassen kann, persönliche Beziehungen zu seinen Patienten aufzubauen, wird es ihm selbst letztendlich wieder einmal zum Verhängnis. Denn lediglich bei seiner unscheinbarsten Patientin Frances scheint die Therapie am Ende der Staffel tatsächlich sichtlich geholfen zu haben. Jesse hingegen bricht seine Behandlung nach all den hart erarbeiteten Fortschritten, die er in Pauls Obhut gemacht hat, nicht nur unerwartet ab, sondern verleugnet sich im Grunde genommen selbst, indem er all seine Wünsche und Träume zurücksteckt, um endlich wieder mit seinen Eltern in Harmonie zu leben. Damit bereitet er nicht nur Paul Grund zur Sorge, sondern auch dem Zuschauer, denn man kommt einfach nicht umhin, sich auszumalen, in welch tiefes Loch der womöglich suizidgefährdete Jesse schon bald wieder fallen könnte. Sunil, dessen Verhalten im Laufe der Staffel zunehmend rätselhaftere, nahezu unheimliche und schließlich gar gänzlich unberechenbare Züge annimmt, flüchtet auf raffinierte Art und Weise zurück in seine Heimat und hinterlässt Paul völlig verunsichert ob seiner Menschenkenntnis, seiner therapeutischen Fähigkeiten und der Natur ihrer Freundschaft. Und Adele, seine deutlich jüngere neue Therapeutin, lässt nicht nur Pauls Illusion von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr zerplatzen, sondern hält ihm auch erbarmungslos den Spiegel vor und bringt ihn damit zur höchst deprimierenden Erkenntnis, dass seine zwischenmenschlichen Beziehungen im wahren Leben stark an seiner unangemessen engen Vertrautheit zu seinen Patienten leiden und er mittlerweile die Welt der Therapie kaum mehr von der Wirklichkeit unterscheiden kann.

So bleibt am Ende der Staffel ein sehr resigniert wirkender Paul zurück, der aus Selbstschutz seine Therapie mit Adele beendet und mit dem Gedanken spielt, seinen Beruf an den Nagel zu hängen. Ob Paul letztlich doch noch sein Glück findet, sei es nun in oder außerhalb einer psychotherapeutischen Praxis, werden wir bedauerlicherweise nie erfahren. Denn die dritte Staffel, die nicht nur wieder einmal mit famosen Schauspielern, vielschichtigen Charakteren und fesselnden Dialogen, sondern auch mit einer völlig unerwarteten Wendung aufwarten konnte, die zum Nachdenken und erneuten Anschauen einiger Folgen anregte, war leider die letzte. Doch auch wenn man sowohl Paul als auch seine Patienten mittlerweile bereits so sehr ins Herz geschlossen hatte, dass man ihnen bessere, optimistischere Zukunftsaussichten gewünscht hätte, überwiegt die Freude darüber, dass man gleich drei Staffeln dieser außergewöhnlichen Serie miterleben durfte.

Paulina Banaszek - myFanbase

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