Das Konzertjahr 2010

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Im zweiten Teil unseres Rückblicks widmen wir uns einzig und allein der Live-Musik. Welche Künstler bereiteten unseren Autoren 2010 derart unvergessliche Konzerterlebnisse, dass sie selbst jetzt noch eine Gänsehaut bekommen, wenn sie daran denken? Wer brachte sein Publikum am meisten zum Jubeln, Tanzen, Lachen oder auch zum Weinen? Lest hier nach, welche Gigs und Festivals uns am meisten begeisterten und welche am bittersten enttäuschten, welche Vorbands ihrem Hauptact nahezu die Show stahlen und welche vielmehr völlig fehl am Platze waren.

Bestes Konzert

Stephanie Stummer meint:

Foto: Wolf Parade - Copyright: Sub Pop Records/Meqo Sam Cecil
Wolf Parade
© Sub Pop Records/Meqo Sam Cecil

#1 Wolf Parade (Rockhouse, Salzburg, 11.5.)
Ich hatte schon erwartet, dass Wolf Parade eine Band sind, die sich auf der Bühne so richtig reinhängt – aber diese Bühnenpräsenz, Spielfreude und Intensität haben meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Hier hat einfach alles gepasst: Die Dauer, die Mischung aus alten und neuen Songs, die Stimmung im Publikum – und natürlich die fulminante Zugabe.

#2 The Unthanks (Kino, Ebensee, 24.4.)
Ohne wirklich was von der Band zu kennen, war das Unthanks-Konzert wohl so eine Art "Blind Date" – ein höchst erfolgreiches: Die Schwestern Rachel und Becky Unthank überzeugten mit lupenreinen Folksongs, charmantem britischen Akzent und unterhaltsamen Steptanz-Einlagen.

#3 The Coral (Szene, Wien, 29.10.)
Die Briten sorgten mit "Butterfly House" für eine der Überraschungen des Jahres. So perfekt inszeniert ihr 60s Rock auf Platte ist, so perfekt wurde er auch live präsentiert – ohne langes Herumlabern, dafür gab's das komplette neue Album und ein paar der alten Hits. Fein!


Paulina Banaszek meint:

Foto: Edward Sharpe & The Magnetic Zeros im Commodore Ballroom, Vancouver - Copyright: myFanbase/Paulina Banaszek
Edward Sharpe & The Magnetic Zeros im Commodore Ballroom, Vancouver
© myFanbase/Paulina Banaszek

#1 Edward Sharpe & The Magnetic Zeros (Commodore Ballroom, Vancouver, 31.5.)
Man muss kein Haschisch rauchender Hippie sein, um von Edward Sharpe & The Magnetic Zeros in einen tranceartigen Zustand versetzt zu werden. Denn die Kalifornier strahlen auf der Bühne einfach so viel Energie, Talent, Natürlichkeit, Charisma und, so doof es auch klingt, Liebe aus, dass man schon nach wenigen Minuten Live-Genuss in einen regelrechten Endorphinrausch verfällt. Spätestens wenn sich Sänger Alex Ebert immer mehr in "Come in Please" hineinsteigert oder mit Kollegin Jade in "Home" improvisiert während die Menge mitsingt, -klatscht, -pfeift und -johlt, will man den Mann mit Jesusbart, -frisur und -outfit einfach bloß drücken und umarmen. Und so manch einer darf das am Schluss sogar, denn für die letzte Zugabe teilt er sich die Bühne brüderlich mit so vielen Fans wie im Schneidersitz drauf passen und gibt als Abschiedsgeschenk für die 2000 am Boden kauernden Menschen im Saal noch eine wunderwunderschöne Version von "Brother" zum Besten, die tief berührt und nachhaltig beeindruckt. Und zwar so sehr, dass man den Song selbst eine halbe Stunde später und fünf Blocks weiter noch leise vor sich hin summt. Genauso wie der Unbekannte, der neben einem an der Ampel steht.

#2 Yeasayer (Le National, Montreal, 2.5.)
Es war eines dieser Konzerte, bei denen man am Ende der letzten Zugabe ganz woanders steht als noch zu Konzertbeginn, weil einen die euphorische Masse beim Tanzen quer durch den Saal getragen hat. Es war eines dieser Konzerte, bei denen man kein Wort dessen versteht, was die Band zwischen den Songs zum Publikum spricht, weil der ohrenbetäubende Jubel einfach keine Sekunde abreißen will, man aber trotzdem instinktiv weiß, dass es etwas irre Sympathisches sein muss. Und es war eines dieser Konzerte, nach denen man leicht debil grinsend und völlig betrunken vor Glück nach Hause torkelt. Denn es wurden alle Erwartungen erfüllt, alle Hits gespielt, alle Herzen in Brand gesetzt.

#3 Trombone Shorty (Enjoy Jazz, Karlstorbahnhof, Heidelberg, 27.10.)
Kein Wunder, dass David Simon ihn gleich für vier Episoden der ersten Staffel seiner HBO-Serie "Treme" verpflichtet hat. Denn was der Mann auf der Bühne macht, ist der Wahnsinn. Mit den Entertainerqualitäten und dem Elan, Soul und Herzblut eines James Brown spielt der gerade mal 24jährige Posaunist und Trompeter Troy Andrews aus New Orleans mit seiner Band selbsternannten Supafunkrock, der live so höllisch kracht, groovt und scheppert, dass ihm nicht nur jeder Einzelne im (kochenden!) Saal aus der Hand frisst, sondern er sogar immens starke Live-Bands wie The Antlers, Menomena und Caribou, deren aktuelle Alben ich weitaus mehr schätze als "Backatown", hier souverän vom Treppchen stößt. Einfach nur Wahnsinn.


Willi S. meint:

#1 Dum Dum Girls & Scout Niblett (Arena, Wien, 24.5.)
Bei gefühlten 45 °C auf engstem Raum zusammengepfercht, wurde den Konzertbesuchern an diesem Abend eine derartig überzeugende Performance geboten, dass die alles andere als perfekten Bedingungen schlagartig vergessen waren. Beide Acts präsentierten eine unschlagbare Mischung aus dreckigem E-Gitarren-Sound und eingängigen Melodien, die einem auch noch lange nach Verklingen des letzten Tons im Kopf herumspukte. Aufgrund zigfach übertroffener Erwartungen gebührt diesem Gig ganz klar der Thron in dieser Kategorie.

Foto: Amanda Palmer in der Arena, Wien - Copyright: myFanbase/Willi S.
Amanda Palmer in der Arena, Wien
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#2 Amanda Palmer (Arena, Wien, 31.1.)
Viel zu lange hat es gedauert, bis ich die weibliche Hälfte der Dresden Dolls endlich einmal live erleben durfte. Das Warten hat sich aber auf jeden Fall gelohnt. Im Rahmen eines von drei speziellen Konzerten außerhalb des regulären Tourprogramms überließ Amanda Palmer die Zusammenstellung der Setlist fast ausnahmslos dem Publikum. Das Ergebnis dieses Experiments war ein zweistündiges Wunschkonzert, das nicht nur alle Dolls- und Solo-Highlights umfasste, sondern auch eine Vielzahl großartiger Coverversionen, von Jacksons "Billie Jean" über Cohens "Hallelujah" und Grauzones "Eisbär" bis hin zu Heintjes "Ich bau dir ein Schloss". Diese Frau ist zweifellos für die Bühne geboren.

#3 The Antlers (Il Motore, Montreal, 17.2.)
Mit "Hospice" gelang den Antlers 2009 ein solch fulminanter Wurf, dass ich mich als begeisterter Hörer zwangsläufig mit dem mulmigen Gefühl aufs Konzert begab, dass die Live-Umsetzung womöglich nicht mit den Studioaufnahmen mithalten kann. Um genau diesem Effekt entgegenzusteuern, versuchten Peter Silberman und seine Kollegen wohl gar nicht erst, die Intimität ihres Albums auf der Bühne nachzukonstruieren. Stattdessen entschieden sie sich für eine überraschend laute, nahezu noisige Interpretation ihrer Songs. Ein völlig unerwartetes Erlebnis! Unerwartet großartig, wohlgemerkt.


Christian Finck meint:

Foto: Dave Matthews Band im Tempodrom, Berlin - Copyright: myFanbase/Christian Finck
Dave Matthews Band im Tempodrom, Berlin
© myFanbase/Christian Finck

#1 Dave Matthews Band (Tempodrom, Berlin, 17.2.)
Nach langer, langer Zeit besuchte die vermutlich beste Live-Band des Planeten mal wieder deutsche Gefilde. Im Gepäck hatte die Dave Matthews Band noch immer ihr aktuelles Album "Big Whiskey And The GrooGrux King". Doch zu einem unvergesslichen Erlebnis und dem vermutlich besten Konzert auf dem ich je war wurde es erst, als Klassiker wie "Two Step" und "You Might Die Trying" die schmucke Location zum Schwitzen brachten.

#2 Shakira (O2 World, Berlin, 09.12.)
Mein letztes Konzert in diesem Jahr, war zugleich auch eines der besten. Wer Shakiras Konzert-DVDs kennt, weiß worauf er sich freuen kann. Ihre neue Show ist etwas bunter als die früheren, konnte aber dennoch begeistern. Viele spanische Songs, eine tolle Stimme, super Musiker und ein interessantes Show-Konzept ließ das Konzert in meinem Ranking sogar noch über die ebenfalls überragende Lady Gaga-Show steigen.

#3 The Gaslight Anthem (C-Halle, Berlin, 05.11.)
Etwas kleiner, aber nicht weniger laut und verschwitzt wurde es im Berliner C-Club als Bruce Springsteens Söhne The Gaslight Anthem vor knapp 2500-3000 Zuschauern die Bühne betraten. Es folgte ein rasantes und emotionales Set, das am Ende jeden noch so anspruchsvollen Fan glücklich machen konnte. Solche Rockmusiker werden leider immer rarer im Musikgeschäft.


Micha S. meint:

#1 Cae Gauntt (FeG Geisweid, Siegen, 13.3.)
Obwohl nur in Begleitung eines Pianisten, musikalisch höchst anspruchsvoll und dazu unterhaltend. Warum? Ganz einfach: Weil die zwei absolute Könner ihres Fachs sind. Cae hat seit Jahrzehnten berührende und ehrliche Liedtexte in ihrem Repertoire und präsentiert diese jedes Mal wieder neu einfühlsam und authentisch. Ihr Pianist Florian Sitzmann schneidert ihr seit Jahren mitreißende Melodien und/oder kurzweilige Arrangements auf den Leib. Die gute Chemie des Duos und Caes charmante, wunderbar zwischen Witz und Ernsthaftigkeit balancierende amerikanische Art sind zudem mehr als das i-Tüpfelchen, wenn Lieder wie "Refugee", "Seele, was ermüdst du dich" oder "Bridge over Troubled Water" vorgetragen werden.


Maria Gruber meint:

Foto: The Tallest Man on Earth im 59:1, München - Copyright: myFanbase/Maria Gruber
The Tallest Man on Earth im 59:1, München
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#1 The Tallest Man on Earth (59:1, München, 9.8.)
Wenn Kristian Matsson alias The Tallest Man on Earth auf die Bühne tritt, so ist man für einen Moment erstmal erstaunt, dass der angeblich größte Mann der Welt eigentlich gar nicht so groß ist. Doch die wahre Größe dieses schwedischen Künstlers ist sein unleugbares Musikgenie. Gesegnet mit einer einzigartigen Stimme und dem lyrischen Talent eines Vollblutpoeten performte Matsson an einem warmen Augustabend im kleinen Münchner Venue 59:1 seine besten Songs und sorgte für einen wundervollen Konzertabend. Gänsehaut pur.

#2 John Mayer (Mall of Asia, Manila, 1.10.)
Wie es während der Regenzeit auf den Philippinen so üblich ist, schüttete es wie aus Eimern am 1. Oktober 2010, als John Mayer sein erstes Konzert im südostasiatischen Inselstaat gab. Trotz Regenschirm und nassen Füßen sorgte der begnadete Gitarrist und Sänger für zwei großartige Stunden und spielte sowohl Songs aus seiner aktuellen Platte "Battle Studies", als auch Klassiker wie "Stop This Train" und natürlich "Your Body Is a Wonderland". Pitschnasses Vergnügen.

#3 Angus & Julia Stone (Backstage, München, 14.11.)
Das australische Geschwister-Duo beehrte München im Jahr 2010 gleich zwei Mal. Während sie beim ersten Mal noch im kleineren Venue des Atomic Cafés auftraten, füllte sich im Oktober das komplette Backstage. Situiert auf einer wundervoll dekorierten Bühne gaben Angus und Julia ihre schönsten Lieder zum Besten, manchmal zusammen, manchmal solo, aber immer in perfekter Harmonie.

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