Das Konzertjahr 2010

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Bestes Festival

War ein Festival früher das höchste der Gefühle für mich, so würde ich es jetzt fast als Verbrechen empfinden, so viele tolle Bands auf eine Spielzeit von einer Stunde oder weniger zu reduzieren. Und die paar Festivals, die mich noch interessieren würden, wie das Haldern, sind zu weit weg. Also verzichte ich lieber gleich. | Stephanie Stummer

Foto: Nina Nastasia im Porgy & Bess, Wien - Copyright: myFanbase/Willi S.
Nina Nastasia im Porgy & Bess, Wien
© myFanbase/Willi S.

Enjoy Jazz (Heidelberg/Mannheim/Ludwigshafen, 2.10. - 19.11.)
Weil in sieben Wochen zum Genießen einfach viel mehr Zeit bleibt als an einem einzigen Wochenende. Weil den Künstlern Aufmerksamkeit geschenkt und Raum geboten wird. Und weil für fast jeden Musikgeschmack immer das Richtige dabei ist. | Paulina Banaszek

Blue Bird Festival (Porgy & Bess, Wien, 25. - 27.11.)
Nachdem meine Blue-Bird-Premiere im Vorjahr ein voller Erfolg war, stand das dreitägige Festival der Vienna Songwriting Association im Jazzclub Porgy & Bess auch heuer wieder als Pflichttermin auf meinem Konzertprogramm. Highlights gab es viele, aber längerfristig in Erinnerung bleiben wird mir wohl nichts so sehr wie die emotional aufwühlende Darbietung von Auftakt-Act James Vincent McMorrow und der nicht minder eindrucksvolle Auftritt der Grande Dame des Folk Noir, Nina Nastasia. So viele talentierte und zum Teil sträflich unterbewertete Musiker auf einen Haufen gibt es leider viel zu selten zu sehen. | Willi S.


Bester Support Act

Jonny Kearney & Lucy Farrell (vor The Unthanks)
Gesang und nur eine Gitarre, die gelungene Version: Mit ihrer schüchternen, aber äußersten charmanten Art waren Jonny und Lucy die perfekte Einstimmung für das folgende Konzert der Unthanks. Ihre Songs spielten sie mit solcher Hingabe und Unschuld, dass man sie vom ersten Moment an einfach ins Herz schließen musste. | Stephanie Stummer

Male Bonding (vor Crystal Castles)
Als willkommene Abwechslung zu den stets gesitteten Singer/Songwriter-Konzerten hinterließ der Auftritt des Londoner Noise-Rock-Trios Male Bonding im Vorprogramm von Crystal Castles einen bleibenden Eindruck bei mir. Mit punkigem Gitarrengeschrammel und scheppernden Drum-Beats versprühten die Jungs dermaßen viel Energie auf der Bühne, dass selbst der größte Bewegungsmuffel im Publikum nicht ruhig stehen bleiben konnte. Auf ein Wiedersehen in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft - dann aber bitte mit einer etwas längeren Setlist - freue ich mich jetzt schon. | Willi S.

Foto: The Antlers im Il Motore, Montreal - Copyright: myFanbase/Willi S.
The Antlers im Il Motore, Montreal
© myFanbase/Willi S.

The Antlers (vor The National)
Würde man die Qualität einer Vorband allein daran messen wie sehr sie es vermag, den Hauptact des Abends alt aussehen zu lassen, müssten hier eigentlich die Kanadier von Silver Starling stehen, spielten sie ihre an sich hochtalentierten Folkpop-Kollegen Ohbijou im Frühjahr 2010 doch regelrecht an die Wand. Absolut betrachtet steht der Titel "Bester Support Act" jedoch zweifellos der Band zu, die mein persönliches Album des Jahres 2009 zu verantworten hatte und dieses auch derart berührend, fesselnd sowie überraschend laut und dynamisch auf der Bühne umzusetzen weiß, dass selbst ein anfangs eher desinteressiertes The National-Publikum irgendwann andächtig die Ohren spitzt. | Paulina Banaszek

Alberta Cross (vor Dave Matthews Band)
Mir war die Band Alberta Cross vor dem Konzert der Dave Matthews Band gänzlich unbekannt. Doch bereits nach wenigen Minuten Präsenz auf der Bühne wusste ich, dass in der Band eine Menge Talent steckt. Besonders die Gitarrenarbeit hat mir sehr gut gefallen. Musikalisch orientieren sich Alberta Cross nicht ungewollt an den größten Rockbands aller Zeiten, wie Led Zeppelin. Dementsprechend würde ich mir die Band auch als Headliner anschauen. | Christian Finck

Sweet Baboo (vor Johnny Flynn)
Auf einmal stand da ein unscheinbarer kleiner Mann auf der Bühne und stellte sich mit dem ulkigen Namen Sweet Baboo vor. Dann packte er seine Gitarre hervor und begann über das Gerede der Konzertbesucher hinweg seine Lieder zu spielen. Anstatt sich dem Publikum zu widmen, widmete sich Sweet Baboo lieber seiner Musik und machte seine Sache richtig gut. Auch wenn der Brite überaus schüchtern wirkte, man seinen Namen kaum mitbekam und er nicht viel mehr als ein paar Thank Yous in Richtung Publikum flüsterte, blieb seine schöne Musik – eine Mischung aus Folk, Country und Gospel – im Ohr und bot eine gelungene Überleitung zum Hauptact Johnny Flynn. | Maria Gruber


Schlimmster Support Act

Neville Skelly (vor The Coral)
Gesang und nur eine Gitarre, die miese Version: Ein schlecht gelaunt wirkender Typ klimpert sich lustlos durch drei (oder waren es sogar vier?) typische, nichtssagende Gitarrennummern und verschwindet erleichtert wieder von der Bühne. Kaum jemand dürfte ihn überhaupt bemerkt haben. | Stephanie Stummer

Talking Pets (vor Frightened Rabbit)
Wenn eine Band krampfhaft versucht, kumpelhaft und witzig rüberzukommen, anstatt sich einfach mal aufs Spielen zu konzentrieren, kann nichts Anständiges dabei herauskommen. Insbesondere wenn sie in ihren Anbiederungsversuchen auch noch so kläglich scheitert wie die musikalisch leidlich mittelprächtigen Münchner von Talking Pets. | Paulina Banaszek

Diamond Rings (vor Owen Pallett)
Für mich gibt es auf Konzerten kaum Schlimmeres als Künstler, die meinen, krampfhaft irgendwelche zuvor einstudierten Choreographien darbieten zu müssen. Schlichtweg unerträglich wird das Herumgetanze jedoch, wenn es zum experimentellen Ausdruckstanz ausartet, bei dem jedes im Songtext auftauchende Substantiv mit einer entsprechenden Handbewegung symbolisiert wird. Demzufolge war der Auftritt des mir damals noch gänzlich unbekannten John O'Regan, alias Diamond Rings, die reinste Qual für mich. Hätte ich davor schon einmal sein damals aktuelles Video zu "Wait & See" gesehen, wäre ich an dem Abend wohl erst rechtzeitig zum (erwartungsgemäß großartigen) Hauptact, Owen Pallett, erschienen. | Willi S.

Semi Precious Weapons (vor Lady Gaga)
Mir haben die Worte gefehlt. Ich habe selten eine musikalisch so anspruchslose und unfähige Band gesehen wie Semi Precious Weapons, die Lady Gaga auf ihrer Tour supportet haben. Mir fällt auch heute kein Grund ein, mir dieses Debakel länger als ein paar Sekunden anzusehen. | Christian Finck


Größte Live-Enttäuschung

Gibt's dieses Jahr eigentlich keine zu vermelden. Dass ich mich bei Pavement nicht so ganz wohl in meiner Haut fühlte, lag eher daran, dass ich zur falschen Generation gehöre, aber nicht an der Qualität des Auftritts selbst. | Stephanie Stummer

The Tallest Man on Earth w/ Nurses (Local 552, Calgary, 15.5.)
Nein, nicht etwa, weil das Konzert dieser beiden grandiosen Acts schlecht gewesen wäre, sondern weil es bereits Wochen vorher restlos ausverkauft war. Aber das kommt nunmal davon, wenn man mit dem Ticketkauf so lange wartet, bis die potentielle Begleitung sich endlich entschieden hat, ob sie mit will oder nicht. | Paulina Banaszek

Foto: Tiny Vipers im Cabaret Fledermaus, Wien - Copyright: myFanbase/Willi S.
Tiny Vipers im Cabaret Fledermaus, Wien
© myFanbase/Willi S.

Tiny Vipers (Cabaret Fledermaus, Wien, 17.3.)
Wer Jesy "Tiny Vipers" Fortino schon einmal live erlebt hat, wird über ihre Erwähnung in ausgerechnet dieser Kategorie vermutlich ein wenig überrascht sein. Rein musikalisch gibt es in der Tat keinen triftigen Grund, die junge Dame als Enttäuschung abzustempeln. Das Problem bei ihrem diesjährigen Gastspiel in Wien lag auch vielmehr in ihrer generellen Stimmung und/oder den akustischen Gegebenheiten vor Ort. Obwohl in den Ohren der Zuhörer eigentlich alles ganz wunderbar klang, brach die Sängerin ihren Auftritt nach knapp einer halben Stunde mit der Begründung, es höre sich irgendwie alles falsch an, ab. Schade um diesen an sich sehr vielversprechenden Konzertabend. | Willi S.

30 Seconds To Mars (Arena, Berlin, 17.3.)
Es war mit Sicherheit kein schlechtes Konzert, das die Band um Schauspieler Jared Leto in Berlin gegeben hat. Aber es war das Konzert, das am wenigsten gut war. Hauptgrund dafür war die pathetische und streng durchgeplante Show der Amerikaner. Zuweilen dachten einige Fans wohl, dass sie auf einem U2-Konzert gelandet waren. Wäre ja nicht schlimm, doch leider kann man Jared Leto die Rolle des Bono in keiner Weise abkaufen. | Christian Finck

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