Bewertung

Review: #1.03 Es heißt Whiskey

Foto: Mike Colter, Marvel's Jessica Jones  - Copyright: Myles Aronowitz/Netflix
Mike Colter, Marvel's Jessica Jones
© Myles Aronowitz/Netflix

Mit der dritten Folge übernimmt zum ersten Mal ein neuer Regisseur das Zepter bei "Jessica Jones", nachdem bisher die Serie fest in der Hand von S.J. Clarkson lag. Und es ist spürbar, dass sich hier auch die Stimmung und Optik innerhalb dieser Folge im Vergleich zu den Vorgängern ändert. Los geht es mit einem überraschend lockeren Episodendrittel, in dem Jessica auf ihre Art und Weise wortwitzig, schlagfertig und vielleicht sogar ein wenig glücklich ist. Bis diese Stimmung dann zum Ende der Episode ins ganze Gegenteil umschlägt, dieses Ende ist dann schon fast wie aus einem Horrorfilm importiert. Damit treibt man die düstere Atmosphäre noch einmal weiter, als wir das bisher gewohnt sind. Interessanterweise geschieht dies in optischer Hinsicht aber in völliger Helligkeit, was besonders im Gegensatz zur im Piloten etablierten Noir-Atmosphäre, die manchmal sogar direkt die Comic-Optik der Vorlage imitierte, steht. Dort fand das Geschehen vor allem im Dunklen statt, geprägt von düsteren Farben, während wir hier den Horror am helllichten Tage, in einer nahezu farblosen Umgebung, erleben müssen.

Aber widmen wir uns erst einmal dem leichteren Teil dieser Episode. Nachdem Jessica und Luke sich gegenseitig ihre Fähigkeiten demonstrierten, fallen sie im wörtlichen Sinne übereinander her. Die sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen ist nicht von der Hand zu weisen und sie verbringen eine erstaunlich entspannte Nacht miteinander. Es ist vor allem deshalb schön mit anzusehen, weil Jessica bei ihren Gesprächen dazwischen ehrlich entspannt und eben fast schon glücklich wirkt. Sie macht Scherze, sie ist forsch-flirtend und man muss sich nicht viele Gedanken machen, ob sich Luke gerade in sie verliebt. Wie könnte er auch anders? Was mich an den Sex-Szenen der Serie bisher so beeindruckt, ist die Tatsache, dass sie so offensichtlich lustvoll sind. Sie zeigen damit auch viel über Jessicas Charakter, darüber wie sie sich mit Luke während des Sex gibt, aber auch über Luke lernen wir an seiner Lust an Jessicas Stärke viel. Zwar kann man den Sex der beiden nicht unbedingt als realistisch bezeichnen, dafür ist einfach die Nacktheit zu strategisch verteilt (beziehungsweise die Körperteile verhüllt), der Sex-Akt besteht immer aus dem puren Pimpern, von Vorspiel sieht man nicht viel. Aber unter diesen Einschränkungen, gelingt es dennoch, den einvernehmlichen Sex nicht nur als weitere Zutat einer düsteren, erwachsenen Serie einzubauen, sondern ihn eben auch zur Charakterarbeit zu nutzen.

Es scheint, als würde Jessica während ihrer Zeit mit Luke kurz ihr düsteres Alltagsleben vergessen können, was ihr aber natürlich nicht lange gelingt. Bis dahin erfahren wir aus ihrem Gespräch mit Luke doch einige Fetzen ihrer Vergangenheit – dass sie ihre Fähigkeiten einem Unfall verdankt, dass sie dank ihrer Stärke auch fliegen kann, dass sie sich sogar einmal als Heldin betätigt hatte – bis sie sich doch wieder dem gruseligen Fall um Killgrave widmet. Überhaupt werden wir in dieser Episode geradezu mit Informationen über Jessicas Vergangenheit überschüttet, meist nebenbei eingearbeitet in ihre Dialoge. Denn auch aus einem Gespräch mit Trish erfahren wir, dass sie einmal bei ihr gewohnt hat und dass Trishs Mutter zur Gewalttätigkeit neigt.

Der größte Informationsfetzen, den wir als Zuschauer erfhalten, ist aber die Wahrheit darüber, warum Jessica überhaupt auf Lukes Spur kam. Diese Wahrheit ist natürlich herzzerreißend, und auch wenn ich kein Freund von künstlich heraus gezögerten Geheimnissen in Serien bin, dass Jessica ihm hier nicht alles erzählen kann, ist mehr als verständlich. Denn Jessica selbst hat, unter dem Einfluss von Kilgrave, Lukes Frau getötet. Dies ist unmittelbar vor dem ominösen Busunfall passiert und war der Auslöser für Jessica, sich aus Kilgraves Bann zu lösen, aber für Lukes Frau kam diese Befreiung eben zu spät. Wir erfahren dies alles in einem Flashback, der sich entfaltet, als Jessica und Kilgrave zum ersten Mal wieder persönlich aufeinandertreffen. Dieser Moment ist dem Anlass würdig und sowohl Krysten Ritter als auch David Tennant lassen uns allein durch ihre Blicke atemlos zurück. Und nachdem sich beide kurz gegenüberstehen, findet sich Jessica in einem Alptraum wieder, in dem sie von unschuldigen Menschen angegriffen wird, die von Kilgrave auf sie gehetzt wurden. Dabei kann sie gegen diese nicht mit voller Kraft kämpfen, denn sie will diese Menschen, die ja nichts für ihre Taten können, nicht mehr verletzten, als das unbedingt notwendig ist. So erscheint Kilgrave geradezu als übermächtiger Gegner und man fragt sich, ob er nicht so fast zu mächtig scheint. Wie soll sich Jessica jemals gegen ihn durchsetzen können?

Ein weiterer Kollateralschaden aus dem Schachspiel zwischen Jessica und Kilgrave ist der Polizist Will Simpson, den Kilgrave hier nach Trish schickt. Die hatte Kilgrave zuvor in ihrer Radiosendung herausgefordert und provoziert, worauf dieser auch prompt eingeht. Aber damit, dass er so vorhersehbar auf diese Provokation reagiert, zeigt Kilgrave auch zum ersten Mal Schwäche. Denn er ist offensichtlich durchaus sehr eitel und von sich überzeigt und kann deshalb Trishs Worte nicht auf sich sitzen lassen. Dass sich dieses Verhalten Kilgraves auf lange Sicht wohl noch als Vorteil für seine Feinde herausstellen könnte, wird Trish im direkten Moment nach ihrem Nahtoderlebnis nur schwer wahrnehmen können. Aber auch wenn es einerseits sehr unvorsichtig von ihr war, ihn so zu provozieren, muss ich doch vor ihr den Hut ziehen. Ihre ganze Art, sich nicht vor der Gefahr zu verstecken, diese aber auch als solche anzuerkennen und sich darauf vorzubereiten, hat mich schwer beeindruckt. Trish entwickelt sich immer mehr zu einer großartigen Figur, die ein wunderbares Pendant zu Jessica bildet. Zumal die Beziehung der beiden auch weiter auf interessante Art und Weise ausgebaut und entwickelt wird.

#1.03 Es heißt Whiskey ist aber auf inhaltlicher Ebene eine klassische Übergangsfolge. Die Jagd nach Kilgrave wird mit Jessicas Suche nach dem richtigen Anästhetikum vorangebracht und sie trifft zum ersten Mal nach langer Zeit wieder auf ihren Erzfeind. Die wirkliche Konfrontation zwischen ihnen steht aber wohl noch bevor und der Kampf hier ist nur ein kurzes Intermezzo innerhalb ihres Katz und Maus Spieles. Wichtiger ist dabei für Jessica die Erkenntnis, dass Kilgrave sie schon lange aus direkter Nähe beobachten lässt und Fotos dieser Überwachung nun sammelt. Die Szene, als Jessica die Überwachungsbilder, inklusive riesiger Porträts von Jessica, findet, inmitten eines Raumes, in dem gespenstischer Weise gerade noch der Drucker letzte Bilder von ihr auswirft, ist natürlich ein Klassiker des Thriller-Genres. Das ist mir dann schon fast wieder zu klischeehaft und kam für mich nicht an den Gruselfaktor der Jagd durch die Wohnung kurz zuvor heran.

Darüber hinaus hat die Folge aber auch weitere Aspekte der Serienwelt genauer etabliert, wir lernen Jeris Ehefrau Wendy (gespielt von der großartigen Robin Weigert) kennen, und auch Jessicas Nachbarn treten etwas näher in den Vordergrund. Allerdings beschleicht mich bei Ruben das Gefühl, dass er (oder seine Schwester?) Kilgraves Spitzel sein könnte und Malcolm sollte sich wohl schon innerlich darauf vorbereiten, später in der Staffel als Kilgraves Lockvogel für Jessica zu dienen.

Cindy Scholz - myFanbase

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