Bewertung

Review: #4.02 Islamabad

Teil 2 der Doppelfolge zum Auftakt bringt uns wieder auf amerikanisches Terrain, denn es soll für Schadensbegrenzung gesorgt werden. Doch die Probleme sind vielfältig und liegen im Kern in den USA selbst.

"Look at it this way, you get to spend time with your kid."

Carrie Mathison und Peter Quinn reisen nach Hause, weil sie Andrew Lockhart den Allerwertesten retten sollen. Das passt zu Lockhart, weil er machtbesessen ist und die Figuren sehr gerne so hinschiebt, wie er sie gerade braucht. Für ihn ist das wohl eher eine Art Schachspiel, bei dem er, der König, sich möglichst wenig bewegen soll und nicht angreifbar sein darf. Doch seine Verteidigung bröckelt nun und man ahnt, dass hier Saul Berenson wieder ins Spiel kommen wird, auch wenn dies in Hinblick auf seine Beziehung zu Mira mehr als nur dämlich und ungerecht ist. Ich mag Mira Berenson, aber eigentlich hat sie es nicht verdient, noch weiter in der Serie aufzutauchen, weil sie eh nur unter Saul zu leiden hat. Die Entwicklungen in dieser Episode machen nicht den Eindruck, dass sich das ändern könnte.

Carrie leidet auch, denn sie soll in den USA bleiben, für immer. Was Schlimmeres konnte ihr gar nicht passieren, denn es ist sehr schnell deutlich gewesen, dass Carrie unter ihrer Tochter leidet und sich nichts Schöneres vorstellen kann, als möglichst weit von ihr weg zu sein. Da kann sie sich noch so sehr einreden, dass sie es schade findet, ihre Tochter beim Skype-Termin zu verpassen. Schon ein leichtes Geschrei bringt sie aus der Fassung. Muttergefühle hat sie jedenfalls nicht wirklich und ihr fehlt natürlich auch vollkommen das Verständnis dafür, wie man sich als Mutter verhalten muss, wenn man beispielsweise die Nanny allein lässt. Aber der organisatorische Aufwand wäre eh nichts für sie.

"This is not what we agreed. […] You bring a life into this world, you take responsibility.

Carrie darf aber einen Tag mit ihrer Tochter verbringen, nachdem ihre wirklich viele Opfer bringende Schwester Maggie Mathison Tacheles geredet hat. Ich bin ja perplex gewesen, wie unkompliziert und ruhig die Kleine gewesen ist, immerhin ist Carrie ja doch in erster Linie eine Fremde, aber vielleicht macht da Körpergeruch und vertraute Stimme etc. doch viel aus. Die Mutter-Tochter-Szenen waren jedenfalls unheimlich intensiv. Schon vor Nicholas Brodys Haus konnte Claire Danes glänzen und auf faszinierende Art und Weise in einem Monolog darstellen, wie sie noch immer unter der Liebe zu Brody leidet. Dass ihre Tochter ihr diesen Schmerz nur immer wieder bewusst macht, liegt auf der Hand. Umso verwunderlicher ist es eigentlich, dass man Carrie mit ihrer Krankheitsgeschichte und den aktuellen Belastungen einen ganzen Tag ohne Kontrolle mit ihrem Kind allein lässt. Natürlich mag Maggie mal froh sein, ihr Ding machen zu können, aber sie muss doch als Ärztin wissen, dass man so etwas nicht machen sollte.

Dass es zu der nächsten Szene beim Baden des Babys kommt, hätte ich dennoch nicht erwartet. Ich dachte eher, dass Carrie vom generellen Alltag überfordert ist und sich so anstellt, dass sie ihr Kind versehentlich in Gefahr bringt. Dass sie aber aus dem Zufall heraus tatsächlich mit dem Gedanken spielt, ihre Tochter einfach zu töten, war wirklich schockierend. Nicht nur das die gesamte Szene bedrohlich und intensiv wirkte und alleine schon die kurzen Perspektivenwechsel aus der Sicht des Kindes mindestens jeden Elternteil an die Nieren gegangen sein muss, so war das Schockierendste doch, dass man den Gedankengang tatsächlich nachempfinden konnte. Und wie Claire Danes dann auch noch den eigenen Schreck Carries über diese Gedanken darstellte, als Carrie ihr Kind schnell aus der Wanne hob, war ganz großes Fernsehen. Es stockte einem wirklich der Atem und man fühlte sich mal wieder unheimlich nah dran. Das gelingt "Homeland" regelmäßig außergewöhnlich gut.

"Carrie, here is the thing. This is not about you!"

Ebenfalls zurück in den USA ist Quinn, doch dieser ist noch nicht so abgestumpft wie Carrie und hat mit den kürzlich erlebten Ereignissen zu kämpfen. Außerdem leidet er offensichtlich auch unter Carries Verhalten selbst, weil man immer wieder das Gefühl hat, dass er mehr für sie empfindet, als er ihr gegenüber zugibt. Jedenfalls hat Quinn ein ziemlich deutliches posttraumatisches Stresssyndrom, welches aber niemand ernst nimmt. Quinn muss selbst zurecht kommen, betrinkt sich und hat Sex mit einer auf den ersten Blick nicht für jedermann attraktiven Frau. Seine aggressive Überreaktion (auch wenn sie noch so richtig ist und ich mich gefreut hatte, dass diese Idioten eine ordentliche Abreibung bekommen haben) hätte eigentlich alle Alarmglocken läuten lassen müssen, doch man nutzt die Krankheit nur, um Quinn aus dem Gefängnis rauszuholen, nicht um zu hinterfragen, ob da was dran sein könnte. Auch hier finde ich es schade, dass man die psychologischen Auswirkungen zwar sehr intensiv betrachtet, aber irgendwie unglaubwürdig keinerlei psychologische Betreuung in Betracht zieht. Immerhin kann man festhalten, dass Quinn sehr selbstkritisch mit sich umgeht und Carrie schließlich klar machen kann, dass für ihn ein Weg zurück derzeit nicht in Frage kommt, vor allem nicht Carrie zuliebe. Ich hoffe, dass man diese Entwicklung noch weiter verfolgt.

"Tell me about the leak."

Inhaltlich passiert, was die Hauptthematik um den Anschlag angeht, eher wenig. Die Schadensbegrenzung fehlt noch und Carrie stößt vielmehr auf weitere Fragen. Sie erfährt, dass es eine Sicherheitslücke gibt, über die Lockhart informiert wurde, die dieser aber aufgrund der gefeierten Erfolge gutgeheißen hatte. Sandys Kontakt durfte also offenbar mit Informationen versorgt werden. Jetzt dreht sich der Spieß um. Carrie hat ihr aber nicht in erster Linie Gerechtigkeit im Sinn, sondern stellt ihre Flucht ins Ausland über das eigentlich richtige Handeln. Also erpresst sie Lockhart, um selbst wieder nach Islamabad zu können und dort die offenen Fragen zu klären. Es war zu erwarten, dass Carrie nicht in den USA bleiben wird, weil die erste Episode den Schwerpunkt nun mal ins Ausland gelegt hatte. Dieser Neuausrichtung gleich wieder den Rücken zu kehren, wäre ein fataler Fehler gewesen. Insofern hat diese Episode nur kurz die Situation im Inland dargestellt, damit man ein Bewusstsein dafür bekommt und quasi einen Background für alles andere hat. Die Ermittlungen können nun beginnen.

"The Americans are murderers, ok, but what we did to that man, how is that any different?"

Aayan hat es derweil zu ungewollter Popularität geschafft, weil sein "Freund" das Video veröffentlicht hat und auch die Presse nicht scheut. Bisher wird Aayan als sehr weitsichtiger, junger Mann dargestellt, der ein großes Opfer ist, aber scheinbar keine Rachegelüste hegt, sondern einfach nur möchte, dass sinnlose Gewalt keine Chance hat. Allerdings könnte das auch nur eine Fassade sein, um eben nicht aufzufallen. Die Tasche, die er bei Kiran versteckt, ist das erste Indiz dafür. Die nächtliche Drohung, nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, war da noch deutlicher. Bleibt die Frage, ob er eigene Absichten hat, oder in eine doppelte Opferrolle gerutscht ist, weil er nun auch von Al-Quida instrumentalisiert wird, vielleicht gegen seinen Willen. Hier darf man ebenfalls noch sehr gespannt sein, weil die Autoren es bisher immer gut hinbekommen haben, die Charaktere weder nur gut noch nur böse darzustellen, sondern immer beide Seiten der Medaille intensiv aufzeigten. Warum sollte das nun ausgerechnet bei Aayan anders sein. Bisher ist dieser Teil der Geschichte jedenfalls außerordentlich gut gelungen. Einzig Kirans eher peinlicher Wunsch, mit Aayan auszugehen, zu einem Zeitpunkt, wo er völlig aufgewühlt sein muss, war etwas seltsam. Als ersten Eindruck hatte ich Kiran da etwas empathischer empfunden.

Fazit

Eine bedrückende und sehr intensive Episode stellt die weiteren Weichen für diese Staffel, auf die man sich gewiss freuen kann, weil die Autoren auch weiterhin gewillt sind, jede erdenkliche Grauzone zu zeigen, leider auch auf Kosten des gesunden Menschenverstands, weil das Offensichtliche von den Charakteren nicht berücksichtigt wird. Daher kann es keine volle Punktzahl geben.

Emil Groth - myFanbase

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