Bewertung

Review: #11.21 Ein hoher Preis

Foto: Patrick Dempsey & Ellen Pompeo, Grey's Anatomy - Copyright: 2016 ABC Studios; ABC/Ron Tom
Patrick Dempsey & Ellen Pompeo, Grey's Anatomy
© 2016 ABC Studios; ABC/Ron Tom

Ich hatte es nicht geglaubt. Doch Shonda Rhimes hat es tatsächlich gewagt. Derek ist tatsächlich und unwiderruflich tot.

Das muss ich erst mal sacken lassen. So geht es sicherlich nicht nur mir, denn Derek wird trotz all seiner Fehler eine Lücke hinterlassen. Er war McDreamy, der typische Traummann, der für die Träumereien und Hoffnungen der Zuschauerinnen diente. Seine Operationen an hoffnungslosen Fällen lieferten oft großartige Szenen und ließen mitfiebern, wodurch er des Öfteren als typischer Stereotyp eines Gottes in Weiß diente. Und seine Liebesgeschichte mit Meredith ist eines der Kernstücke der gesamten Serie: Geprägt von etlichen Katastrophen, Ex-Partnern und anderen Hindernissen schlug sie die Zuschauer in ihren Bann und überzeugte durch eine einzigartige Chemie, durch die man nie die Hoffnung in dieses Paar verlor. Wie lange mussten wir warten, bis Meredith das Lichterhaus für Derek kreierte und die beiden endlich zusammenfanden? Wie lange mussten wir hoffen, dass den beiden der Wunsch nach Familie durch Zola erfüllt wurde? Wie lange wurden wir durch Streitereien und unnötige Konflikte hingehalten, die dem Glück der beiden im Weg standen? Im Nachhinein scheint so viel unnötige Zeit durch ihre Probleme verloren gegangen zu sein, was einfach nur schmerzt. Für Meredith ist dieser Verlust vielleicht das Schlimmste, was ihr je wiederfahren ist, etwas, was ihr Leben auf den Kopf stellt - Derek war die Konstante in ihrem Leben und ihre große Liebe. Dieses abrupte Ende für diese Liebesgeschichte, die über zehn Jahre lang begeisterte und berührte, so viele Krisen meisterte, ist damit auch schlichtweg enttäuschend.

Doch Tatsache ist, dass sich bereits seit einiger Zeit Gerüchte um Patrick Dempseys Ausstieg rankten - er machte Andeutungen in Interviews, seine Autorennkarriere stand immer mehr im Vordergrund und auch seine Ehe machte negative Schlagzeilen. Schließlich trat er auch in dieser Staffel für sechs Folgen nicht auf, während er bis dato in jeder einzelnen Episode erschien. Auch der Aufbau der letzten Folgen, der von mir oft als plump oder einfallslos bezeichnet wurde, ergibt nun Sinn - Derek musste irgendwie nach Seattle gebracht werden, damit er und Meredith sowie er und Amelia sich versöhnen und die offenen Handlungsstränge um ihn abgeschlossen werden konnten. Überzeugend ist das schlussendlich nicht wirklich, doch wie es scheint, musste man eine schnelle Lösung finden, um Dereks Abschied zu initiieren. Hierbei stellt sich für mich die Frage, ob es nicht einfach besser gewesen wäre, die Serie nach dieser 11. Staffel zu beenden und damit ein Happy End für Meredith und Derek zu gestalten, das jedem Fan viel bedeutet hätte. Wie lange will man "Grey's Anatomy - Die jungen Ärzte" noch auf Kosten von Figuren erhalten, die uns ans Herz wachsen und sich dann entweder negativ verändern (Stichwort Bailey) oder einen unbefriedigten Abschied erhalten müssen? Dereks Tod, ein weiterer eines wichtigen Charakters, ist einfach nur fragwürdig und stellt die komplette Serie in Frage - was muss noch alles geschehen, damit "Grey's Anatomy" beendet wird? Hat man jetzt mit Dereks Tod nicht den Zenit übertroffen und bewiesen, dass ein baldiges Ende eventuell vorzuziehen wäre? Man wird die Kuh wohl weiterhin melken, bis sie keine Milch mehr gibt - und lässt die Serie so lange laufen, bis sie vermutlich alles verliert, was sie einst ausgemacht hat. Vermutlich wird es aber bereits nach dieser Episode den einen oder anderen Zuschauer geben, bei dem nun die Grenze tatsächlich erreicht ist.

"It's a beautiful day to save lives."

Es gibt Elemente, die in dieser Folge großartig funktionieren. Da wäre die Tatsache, dass Derek sich noch zuletzt als herausragender Arzt beweist, den nichts aus der Ruhe bringt - sein Optimismus und seine Zuversicht, die ihn in seinen frühen Tagen stets ausmachten, kommen auch hier wieder zur Geltung. Man schafft es sogar hier Humor hineinfließen zu lassen, der mich zum Lachen gebracht hat - vor allem "Do you have a brother?" war ein witziger Oneliner. Die Unfallopfer waren echt sympathisch, insbesondere das kleine Mädchen Winnie hat hier echt brilliert, da sie Derek die ganze Zeit zur Seite steht. Wie sie Derek imitiert und seine hoffnungsvollen Botschaften wiederholt, war sehr schön inszeniert und ihr "It's a wonderful day to save lives" hat mich echt berührt.

Für Patrick Dempsey, der in den letzten Jahren kaum überzeugende Storylines hatte, war es sicherlich ein schönes Abschiedsgeschenk gewesen, diese Szenen zu spielen, denn er konnte wirklich stark aufspielen. Sein Voice-over während seiner eigenen Behandlung war eines der emotionalsten Elemente der Episode. Wie Derek die einzelnen Schritte vorhersah, seine Ärzte in Frage stellt und immer wieder das CT verlangt, schmerzt einfach: Er kann sich nicht mitteilen, muss hilflos mit ansehen, wie er in den OP gebracht wird, und verzweifelt immer mehr. Derek kommentiert seinen eigenen Tod, was wohl eine der eindrücklichsten Gestaltungen der Gesamtserie darstellt - es verstört, verängstig und katapultiert den Zuschauer in Dereks Gedanken, sodass wir, anders als sonst, den Tod eines Charakters wirklich aus dieser Sicht zu sehen bekommen. Bei Dereks "It's too late" haben wohl die meisten Zuschauer die Taschentücher gezückt.

Vor allem aber Ellen Pompeo zeigt in dieser Folge, dass all die Unterschätzung, die man ihrer Schauspielkunst entgegenbringt, völlig fehlerhaft ist. Nie zuvor konnte ich so mit Meredith mitfühlen, nie zuvor war ihr Schmerz, ihr Leiden so deutlich wie hier. Was Ellen Pompeo alleine durch Mimik und ihre Stimme darstellt, hat mir den Atem verschlagen und sollte so früh wie möglich mit einem Emmy ausgezeichnet werden. Gemein war auch die Szene, in der uns Derek zunächst lebendig gezeigt wird und wir Merediths und Dereks Wiedervereinigung sehen durften - es stellt sich nur als Merediths Fantasie heraus, eine Fantasie, von der ich mir gewünscht hätte, dass sie der Realität entspricht. Im Hintergrund hört man noch Lieder aus den früheren Staffeln, Lieder, wie "Chasing Cars", die Meredith und Dereks Geschichte untermalt haben und zahlreiche Erinnerungen hervorrufen. Die Flashbacks waren ebenfalls emotional gestaltet und daher so schmerzhaft: Meredith, die wieder das erste Trauma ihres Lebens, den Selbstmordversuch ihrer Mutter, durchlebt sowie Ellis' Worte "The Carousel never stops turning" in ihrem Kopf hört, was eine Anspielung an das Voice-over der ersten Folge dieser Staffel darstellt. Es zeichnet sich somit ein roter Faden in dieser Staffel ab, was mir persönlich sehr gut gefällt. Doch vor allem die Erinnerungen an Derek bereiten ihr Schmerzen - es sind die schönsten Momente von Meredith und Derek, Momente, die in jedes Fanvideo gehören und die jeder Fan von "Grey's Anatomy" zitieren könnte: All diese Momente gehören nun der Vergangenheit an und sind vorbei, die große Liebe von Meredith und Derek ist beendet. Ich gebe es z u- bei Merediths "It's okay. We'll be fine." habe ich Rotz und Wasser geheult.

Fragezeichen

Auf der anderen Seite hapert es einfach an der Logik in dieser Episode. Mehrmals saß ich völlig verdattert vor dem Bildschirm, weil das, was ich dort sah, absolut keinen Sinn ergab. Derek hat als Arzt keinen Erste-Hilfe-Kasten dabei?! Es gibt überhaupt kein Netz - bis Derek in seinem Auto sitzt und sein Handy plötzlich klingelt! In diesem Moment kommt auch natürlich ein LKW, der außer Kontrolle auf Derek zufährt! Genau auf der Straße, über die zuvor nicht ein einziges Auto gefahren ist und die Derek mehr als einmal rauf und runtergerannt ist! Und natürlich kommt Derek in kein gutes Krankenhaus, sondern in eines ohne Trauma Center, während der LKW-Fahrer, wie es scheint, in das Sloan Grey Memorial geliefert wird! Natürlich bekommt Derek schlecht ausgebildete Ärzte und die eine Ärztin, die richtigen Ansätze hat, wird geflissentlich ignoriert! Natürlich ist der Neurochirurg, der auf Bereitschaft ist, außer Haus und kommt Stunden später zu Dereks OP! All diese Zufälle, welche die Folge bestimmen, sind einfach enttäuschend. Das Drehbuch, übrigens von Shonda Rhimes persönlich verfasst, ist verdammt schlecht geschrieben und überzeugt auf der Inhaltsebene somit absolut nicht. Jedes andere lebensbedrohliche Szenario, in dem Derek sich jemals befunden hat (Amoklauf und Flugzeugabsturz!), hätte seinen Tod viel besser erklärt.

Zweifelhaft ist auch Merediths Verhalten - sie handelt eigenmächtig und trifft eine Entscheidung, ohne sich mit Amelia, Dereks Schwester, geschweige denn mit seinen anderen Schwestern und seiner Mutter abzusprechen? Es ist nachvollziehbar, warum sie persönlich denkt, dass es keine Hoffnung für Derek mehr gibt, doch dass sie seine Familie nicht einbindet, ist mehr als fragwürdig und wird sicherlich für einiges Drama sorgen. Insbesondere Amelia wird ihr schwer verzeihen können, dass sie sich nicht von Derek verabschieden durfte und wird ihr das Leben schwer machen. Auch die Szene mit der jungen Ärztin war eher nervend: Schön und gut, dass sie sich schlecht fühlt und sich entschuldigen möchte, doch Meredith damit zu belasten, ist absolut fehl am Platz. Merediths eigener Weg steht nun völlig in Frage - bis jetzt hat ihre ganze Storyline sich an Derek orientiert, ihre ganze Handlung war eng mit seiner verwoben. Wie wird sie nun mit dem Verlust umgehen? Wie wird sie sich verändern? Wird sie das alles überstehen können? Meredith selbst stellt dadurch das größte Fragezeichen für mich dar.

Fazit

Eine Bewertung dieser Folge ist eigentlich unmöglich - auf der einen Seite ist sie mehr als emotional und hat auch bei mir die Tränen in die Augen getrieben, auf der anderen Seite bin ich immer noch geschockt und seltsam beeindruckt von dem Mut, tatsächlich einen der zentralsten Charaktere sterben zu lassen, doch auch wütend wegen dieser oft schlecht geschriebenen Folge, bei der Zufälle und nicht die Charaktere die Handlung bestimmen. Die Folge stellt alles auf den Kopf, stellt die Gesamtserie in Frage und wird "Grey's Anatomy" unwiderruflich verändern - ob das eine gute oder schlechte Entscheidung war, wird sich wohl erst im Nachhinein beantworten lassen.

Lux H. - myFanbase

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