Bewertung

Review: #1.01 Ladies Night

Foto: Krysten Ritter, Marvel's Jessica Jones - Copyright: Marvel Television and ABC Studios
Krysten Ritter, Marvel's Jessica Jones
© Marvel Television and ABC Studios

Superhelden sind in der aktuellen Kulturlandschaft omnipräsent, ob es die "Avengers" im Kino sind oder die zahlreichen DC-Ableger im Fernsehen. Allein durch die Verbindung zu einer Comicvorlage hebt man sich momentan nicht mehr aus dem Einheitsbrei ab. Nichtsdestotrotz hat es die Kooperation vom Comic-Verlag Marvel mit dem Streaming-Anbieter Netflix bisher geschafft, mit bis dato zwei Serien zu überzeugen. Das liegt vor allem an der gelungenen Umsetzung der jeweiligen Thematik, ob es beim ersten Netflix-Marvel-Versuch "Daredevil" war, oder wie hier nun auch bei "Jessica Jones".

Diese zweite Serie ist thematisch klar mit ihrer Vorgängershow verbunden, sie spielt ebenfalls im New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen, die Atmosphäre ist ähnlich düster, wenn auch noch wesentlich deutlicher am Film Noir Genre angelehnt, und die Welt befindet sich in einer gewissen Kenntnis über die maskierten Helden, zu denen auch die Titelheldin Jessica Jones einmal zählte. Aber abgesehen davon steht "Jessica Jones" doch auf eigenen Füßen. Schon allein dadurch, dass man eine weibliche Heldin in den Fokus des Geschehens rückt, sticht man eben doch deutlich aus der Masse heraus. Zwar wird es in der TV-Season 2015/2016 neben Jessica Jones mit Peggy Carter und Supergirl plötzlich ganze drei weibliche Titelheldinnen von Comicserien geben, aber das Verhältnis zwischen Helden und Heldinnen hat man damit eben noch lange nicht ausgeglichen. Was nach den vielen Jahren der kompletten Abwesenheit der Heldinnen (die im Kino ja nun auch noch andauern wird), auch nicht anders sein kann. Im Gegensatz zu den beiden im Broadcast-TV tätigen Damen ist Jessica Jones aber auch keine reine Heldin, sie ist eine Überlebende, eine Kämpferin, die die Scherben der Existenz einer Heldin aufsammelt. Dabei hat sie sich zudem noch nicht entschieden, ob sie vor diesen Trümmern lieber davonlaufen oder diese doch wieder zu einem ganzen Bild zusammensetzen sollte.

Die Serie "Jessica Jones" funktioniert in dieser ersten Folge komplett über die Hauptfigur und steht und fällt damit natürlich mit ihrer Hautdarstellerin. Glücklicherweise hat Serienmacherin Melissa Rosenberg diese Figur mit Krysten Ritter absolut treffend besetzt, die die herausfordernde Aufgabe, Jessica Jones Stärke und Verletzlichkeit zugleich einzuhauen, mühelos meistert. Viele Aspekte dieses Piloten wären in den Händen einer weniger talentierten Darstellerin sicherlich viel zu Nahe am Klischee: Jessicas Voice-Over, die die Geschichte begleiten oder ihr selbstzerstörerisches Verhalten in Sachen Alkohol und Sex. Die Aufgabe, die Ritter meistern muss, erinnert an die von Kristen Bell in "Veronica Mars" - und die Serie hat mich an vielen Stellen auf emotionaler Ebene sehr an diesen Klassiker der Noir-Unterhaltung erinnert. Und mit der Beschreibung, "Jessica Jones" sei eine Neuauflage von "Veronica Mars" in einem erwachseneren Umfeld, spricht man ihr ein großes Kompliment aus. Auch thematisch lassen sich da einige Parallelen finden, auf die ich später noch näher eingehen werde.

"Jessica Jones" ist in dieser ersten Folge keine Serie für die gute Laune, auch wenn ein wenig Humor an manchen Stellen, dank Jessicas sarkastischer Lebenseinstellung, durchschimmert. Aber so wie sich die große Thematik für die Serie nach dieser Folge andeutet, wird es sicher auch in Zukunft nicht viel hoffnungsvoller zugehen.

Dies auch das große Fragezeichen, das sich in mir nach dieser ersten Folge noch auftut. Denn einerseits ist Jessica Jones die lang ersehnte Frau mit übermenschlichen Kräften, die im Mittelpunkt des Geschehens steht, aber "Jessica Jones" erzählt mit der Geschichte über Jessicas Vergangenheit, in der sie mit dem Superheldendasein gebrochen hat, eine leider allzu bekannte Variante des Missbrauchs und des Opferdaseins einer Frau. Es ist nur allzu beliebt, eine starke Frau durch einen sadistischen Mann zu brechen, um diese dann zum Heldentum zu motivieren. (Wenigstens dient Jessica Trauma nicht dazu, einen Mann anzutreiben.) Die Auswirkungen der Dinge, was ihr durch den Einfluss des mysteriösen Kilgrave geschehen ist (der hier aber nur als Stimme in Form von Erinnerungsfetzen auftaucht), sind der Mittelpunkt ihrer Geschichte. Und ich vertraue momentan noch darauf, dass man das heikle Thema, bei dem so viele Aspekte wie Missbrauch, Willensbruch, körperliche Selbstbestimmung und die Überwindung von moralischen Grenzen mitschwingen, mit Respekt und Vorsicht behandeln wird. Dies wird kein leichtes Unterfangen werden, bietet aber auch die Möglichkeiten, sich diesen Fragen, die gerade im modernen Feminismus und ganz besonders in Bezug auf die Darstellung von Frauen in der Popkultur immer wieder behandelt werden und auch behandelt werden müssen, ausführlich zu widmen. Denn die immer wieder auftretenden Probleme bei der Darstellung von Vergewaltigungen und der Überwindung der körperlichen Unversertheit von Frauen, aber auch von anderen zu Opfern degradierten Personen im Serienbereich zeigen, dass hier noch viel Arbeit in Sachen Aufklärung vor uns liegt. Wie sich die Serie "Jessica Jones", die einen Bösewicht, der Frauen per Gedankenkontrolle beeinflusst, in dem Mittelpunkt stellt, schlagen wird, wird erst die Zukunft zeigen. Ich persönlich wage mich mit einer neuen, ungetesteten Geschichte über ein derart sensibles Thema immer ein wenig unbekannte Gewässer, immer in Sorge, am Ende doch wieder in einer Gewalt verherrlichenden Darstellung ohne Substanz zu landen. Aber ich möchte diese Dinge immer wieder aufs Neue einmal richtig verarbeitet sehen. Die Tatsache, dass man hier mit dem derben Schockmoment am Ende der Folge eine Möglichkeit gefunden hat, die absolute Skrupellosigkeit von Kilgrave zu demonstrieren, ohne dabei zum Mittel der sexuellen Gewalt zu greifen, macht mir aber Hoffnung. Ebenso die oben angesprochenen Parallelen zu "Veronica Mars". Dort wurden ähnliche Themen mit viel Gefühl in den Mittelpunkt gestellt. Aber auch im allgemeinen Genre des Film Noirs gehört die Prämisse, dass der Held der Geschichte ein gebrochener Mann ist, dazu. Wunderbar daran ist eben auch, dass Luke Cage in dieser Version einer Detektivgeschichte den Part einnimt, der sonst eigentlich einer Femme Fatale mit vielen Geheimnissen zukommt, während sich Jessica Jones als Heldin ihrer Vergangenheit stellen muss. Allein diese Umkehr des üblichen Klischees macht die Geschichte doppelt interessant.

Neben diesem inhaltlichen Schwerpunkt der Folge, dient der Pilot aber auch dazu, uns Jessicas Welt vorzustellen. Dazu gehört ihre Auftraggeberin Jeri Hogarth, die Jessica immer wieder für ihre Anwaltskanzlei engagiert und von Carrie-Anne Moss dargestellt wird. Von ihr erfahren wir in dieser Folge eigentlich nur, dass sie lesbisch ist und ihre feste Freundin mit einer Kollegin betrügt. Außerdem hat Jessica eine seltsame Faszination für den attraktiven Barkeeper, von dem wir als informierte Zuschauer wissen, dass er Luke Cage heißt, dessen Name hier aber noch nicht gefallen ist. Luke Cage wird von Mike Colter gespielt und wer ihn als Lemond Bishop in "Good Wife" gesehen hat, weiß wie viel Charisma er verströmen kann, was er auch hier zu Genüge tut. Vervollständigt wird das Ensemble durch Jessicas drogenabhängigen Nachbarn Malcolm und ihre alte Freundin Trish (Rachael Taylor). Letztere lernen wir lediglich in einer Szene kennen, aber die Chemie zwischen Jessica und Trish ist sofort greifbar und deutet auf eine Frauenfreundschaft hin, von der ich mehr sehen möchte.

#1.01 Ladies Night ist ein gelungener Auftakt zu einer Serie, die sich bereits im Vorfeld vielversprechend angehört hat, und die nach dieser Folge noch mehr Appetit macht. Mich hat "Jessica Jones" in ihren Bann gezogen und besonders nach dem fiesen Ende der Episode kann ich kaum erwarten, wie es weitergeht.

Cindy Scholz - myFanbase

Die Serie "Marvel's Jessica Jones" ansehen:


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