Interview mit Walton Goggins

Walton Goggins ist ein ausgesprochen charismatischer Schauspieler und darüber hinaus, wie wir uns beim Telefoninterview am 20. Dezember 2011 überzeugen konnten, ein Gentleman. Sehr entgegenkommend und interessiert reagierte er auf unsere Fragen und beantwortete sie überlegt und wie jemand, der sich wirklich für die Figuren, die er spielt, interessiert und sich ausführlich mit ihrer Geschichte auseinandersetzt. Seine daraus resultierende beeindruckende Darstellung konnte man schon im Crime-Drama "The Shield" über Jahre verfolgen, wo er die Rolle des Shane Vendrell verkörperte. Im Interview unterhielten wir uns mit ihm aber vor allem auch über sein mit einer Emmynominierung ausgezeichnetes Portrait des komplexen Charakters Boyd Crowder im Kentucky-Drama "Justified". Außerdem gab uns Walton auch noch einen Einblick in seine Vorhaben und Ziele als Filmemacher.

Foto: Walton Goggins, Justified - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Walton Goggins, Justified
© Frank Ockenfels/FX

Hier könnt ihr das Originalinterview nachlesen. | Read the Originalinterview in English.

1. Was an Boyd Crowder hat dich so sehr interessiert, dass du die Rolle gerne spielen wolltest?

Es war nicht das, was am Anfang auf dem Papier stand. Vielmehr waren es die Gespräche darüber, was aus der Figur werden könnte, was mich dazu gebracht hat, Boyd spielen zu wollen. Ich bin ein Fan von Elmore Leonard und ein Fan der Filme, die man nach seinen Werken gemacht hat. Es ist eine Welt, die mich wirklich interessiert, eine Tonart, in der ich gerne spiele, und eine Komplexität, die im Fernsehen selten ist. Und diese Welt im Speziellen ist dörflich und provinziell, und diese Figur erschien mir extrem gewitzt. Es kommt nicht oft vor, dass man eine Person vom Lande zu spielen bekommt, die so intelligent und autodidaktisch ist, und mir war es daher sehr wichtig, ihn zum gerissensten Mann von allen zu machen. Sich der Sache aus dieser Richtung nähern zu können, ist einfach eine wirklich seltene Gelegenheit.

2. Als du ihn zu Beginn der zweiten Staffel spieltest, wusstest du da schon, ob es ihm ernst damit war, nicht mehr kriminell sein zu wollen?

Ich glaube, absolut. Am Ende der ersten Staffel wurden 18 seiner Männer von seinem Vater hingerichtet, und ich denke, er war wie in einem Boot, das ohne Anker auf dem Meer treibt. Er wollte sich einfach emotional und körperlich so tief wie möglich vergraben, und anstatt sich das Leben zu nehmen, entschied er sich, in den Tiefen eines Berwerks zu arbeiten. Ich glaube, er tat das, um einfach eine Art neue Perspektive für sein Leben zu finden und wirklich eine neue Seite aufzuschlagen. Boyd ist kein Mensch, der in der Mitte leben kann, er lebt in Extremen und ich denke, seine Reise in Staffel 2 dreht sich darum, das erste Mal Grenzen in seinem Leben zu finden.

3. Was macht deiner Meinung nach diese einzigartige Freundschaft zwischen Raylan und Boyd aus?

Foto: Copyright: Sony Pictures Television
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Die Vorgeschichte! Wenn man seine Kindheit zusammen verbracht oder in diesem Fall zusammen in einem Kohlenbergwerk gearbeitet hat oder beim Friedenscorps, oder auch wenn zwei Freunde zusammen in der Armee gedient haben oder worauf auch immer die Verbindung zwischen zwei Menschen beruht, man kann die gemeinsame Vergangenheit durch nichts ungeschehen machen. Und vor allem, wenn man sich mit dieser Person philosophisch gesehen nicht einig ist, wird die Beziehung besonders komplex, wenn man sich weiterentwickelt, weil man einerseits Differenzen hat, auf der anderen Seite aber eine Gemeinsamkeit aus der Vergangenheit mitbringt, die jedes Gespräch sehr bunt macht. Das ist es zumindest, was Tim [Olyphant] und ich versuchen, darzustellen und immer im Hinterkopf zu behalten, wenn wir zusammen eine Szene haben. Es ist wirklich was besonderes. Er ist so ein guter Schauspieler. Tim ist ein Schauspieler, der in seinen Szenen voll aufgeht, und wir haben wirklich eine gute Zeit mit diesen beiden unzertrennlichen Figuren.

4. Setzt ihr euch mit den Autoren hin und sprecht eure Szenen und Handlungsstränge gemeinsam durch?

Ja, sowohl ich als auch Tim unabhängig voneinander und dann manchmal noch zusammen. In "Justified" geht es um eins und zwar ausschließlich um eins: Es geht um die Charaktere und darum, ihnen Worte einzuflößen, die nichts anderes sind als alternative Poesie. Ich würde sagen, so ist Elmore Leonards Art, und es ist ein Drahtseilakt. Manchmal braucht es ein ganzes Dorf, um eine Szene zu erschaffen, und sowohl Tim als auch ich wurden dazu eingeladen, an diesem Prozess teilzunehmen, und wir nutzen diesen Vorteil.

5. Zu den Frauen in der Serie, was erhoffst du dir für Ava und ihre Beziehung zu Boyd, sollte sie überleben?

Foto: Copyright: Sony Pictures Television
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Oh, ok... wisst ihr, es ist so interessant, es gab einen Satz, den wir beinahe in der vorletzten Episode der Staffel untergebracht hätten, da schaut Boyd Ava an und sagt [nimmt Boyds Kentucky-Akzent an] "Würden wir heiraten, müsstest du deinen Nachnamen gar nicht ändern." Wenn man also bedenkt, dass Boyd und Ava verschwägert sind, und wie Boyds Bruder, Avas Ehemann, starb, dann bietet die Tatsache, dass sie nun zusammen sind, eine so gehaltvolle Struktur und so viele Möglichkeiten für Drama. Sie sind zwei Leute, die gerade erst herausfinden, wer sie sind, und für Boyd geht es darum, einen Mittelweg für sich zu entdecken. Wenn ihm nun Liebe zuteil wird, wäre das seine endgültige Rettung. Und für Ava ging es darum zu verstehen, dass sie eine Frau ist, die einen Bad Boy mag und sich damit auch noch wohlfühlt. Sie muss erst damit zurecht kommen, eine Beziehung mit jemandem zu führen, der sie liebt und sie so akzeptiert, wie sie ist. Ich wünsche mir für die beiden, dass sie weiterhin erforschen, um was es in ihrer einzigartigen Liebe geht.

6. Wie ging der Entwicklungprozess bei deiner Figur Shane Vendrell in "The Shield" über die Jahre vor sich? Wusstest du im voraus, was er tun würde?

Bei "The Shield" war es etwas anders. Shawn Ryan hatte einen Masterplan, dieser änderte sich aber mittendrin immer mal wieder. Wie ein Fluss die Richtung wechselt, tat es auch Shawn basierend darauf, was er von Woche zu Woche, von Episode zu Episode sah. Shane war einer der Täter der ursprünglichen Sünde der Serie, dem Mord an einem Polizisten mit Vic Mackey. Damit begann seine Reise, die ihn zu der ultimativen Tat führte. Aber anfangs war er noch in der Lage, Dinge richtig zu verpacken. Shane war zu Beginn echt witzig - düster und pessimistisch, aber wirklich witzig. Aber dann wollte er sich Vic Mackey nicht mehr unterordnen, sondern seinen eigenen Mann stehen, wobei er die Vater-Sohn-Beziehung, die sie hatten, gleichzeitig aber auch vermisste. Es endete, wie es endete, da diese beiden Männern eine Richtung eingeschlagen hatten, aus der es keinen Ausweg mehr gab, keine Fluchtwege.

Foto: Walton Goggins, Justified - Copyright: Sony Pictures Television
Walton Goggins, Justified
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7. Wie schwierig ist es, einen Menschen, der so grausame Dinge getan hat, so zu spielen, dass die Zuschauer ihn trotzdem ins Herz schließen können?

Wenn man in allem nach der Wahrheit sucht, dann findet man bei jedem etwas, was man mögen kann. Jeder ist im Laufe des Tages irgendwann mal liebenswert, sei es nach der ersten Tasse Kaffee oder auch nach einem Glas Wein und einem schönen Abendessen. Ich habe einfach versucht, Aufrichtigkeit in Shane zu finden, seinen Schmerz nachzuempfinden und eine Moral - seine Moral - in den Entscheidungen auszumachen, die er fällte.

Shane war eine tragische Figur, er war ein Mitläufer, Boyd dagegen ist ein Anführer. Shane dachte nicht vorher darüber nach, was er tat, Boyd denkt ausführlich nach, bevor er etwas tut. Ich glaube, wenn man nur versucht, die Menschlichkeit herauszuarbeiten, dann sieht das Publikum deine Bemühungen und geht mit dir auf diese Reise. Es ist gleichzeitig mein Segen und mein Fluch, Charaktere spielen zu können, die man auf dem Papier durch die Bank ablehnen sollte, sie dann aber so rüberzubringen, das man mit ihnen mitfühlt und sie mag. Dafür bin ich sehr dankbar.

8. In deiner Filmographie stehst du als FBI-Agent im "Veronica Mars" Staffel-4-Piloten, der niemals ausgestrahlt wurde. Weißt du irgendwas darüber, was passiert wäre?

[Lacht.] Ich habe keine Ahnung. Der Macher dieser Serie war ein Freund von mir, Rob Thomas, und ich in meinen frühen Zwanzigern spielte ich mal in einem seiner Piloten mit. Er fragte mich also einfach, ob ich ihm den Gefallen täte und bei einer Geschichte mitmache, die nie gelaufen ist. Insofern weiß ich nichts, ich habe keinen Schimmer. Was ich nur weiß, ist, dass ich eine brave Frisur hatte.

9. Kannst du uns ein wenig über deine Arbeit als Filmemacher erzählen? Wie suchst du eine Geschichte aus und näherst dich ihr, um ihr auf dem Bildschirm Leben einzuhauchen?

Mein Partner, Ray McKinnon, hat das meiste unseres Materials ausgewählt. Wir haben vier Filme gemacht und alle vier haben ihre Wurzeln im Süden. Sie sind dennoch alle sehr unterschiedlich, es sind Komödien und Dramen dabei. Wir haben einfach geschrieben und Filme über Dinge gemacht, die uns interessieren. Der letzte Film, den wir gemacht haben, war der erste, den wir bisher für einen anderen Filmemacher produziert haben, und es ging um einen Achtzigjährigen (Hal Holbrook in "That Evening Sun"). Ich bin mit alten Leuten aufgewachsen und liebe alte Leute. Ich mag es, alte Leute um mich zu haben. Die dünnhäutige Natur in dieser Phase des Lebens ist etwas, was mir sehr wichtig ist, und auch meinem Filmpartner ist sie sehr wichtig. Es war die Möglichkeit, eine Geschichte über einen Mann zu erzählen, der ein Wein im Winter ist, am Ende seiner Reise. Ein Mann, der nicht "Auf Wiedersehen" sagen will und sich durchkämpft, und all die Anstrengung, die unser Leben bestimmen kann, wenn man diese Einstellung hat.

Wir suchen einfach nach Themen, die uns etwas bedeuten. Ich arbeite gerade unabhängig an ein paar TV-Sendungen, die auf meinen Reisen basieren, und ich bin an der Welt interessiert. Ich habe eine Serie vor Augen, die im amerikanischen Fernsehen laufen kann, die sowohl die Welt als auch eine andere Kultur erforscht und zeitweise zweisprachig ist. Es geht alles darauf zurück, wofür einer von uns eine Leidenschaft hat.

10. myFanbase ist ein Online-Magazin, das sich Fernsehserien widmet. Hast du eine Lieblingsserie?

Ich liebe "Boardwalk Empire", da ist alles so gut ausgearbeitet, finde ich. Ich bin ein großer Fan von "Mad Men" wie jeder andere auch, und "Sons of Anarchy" auf FX ist eine sehr gute TV-Serie, und "Parks & Recreation".

Vielen, vielen Dank, Walton!

Danke euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, dies übers Telefon zu machen, das weiß ich wirklich zu schätzen. Und ich hoffe, die nächste Staffel wird euch gefallen!

Nicole Oebel & Annika Leichner - myFanbase


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