Bewertung

Review: #2.08 Abflug

'Bonnie & Clyde' oder auch 'Carrie und Brody gegen den Rest der Welt' - so oder so ähnlich hätte der Untertitel zumindest für die erste Hälfte von #2.08 Abflug lauten können. Die beiden verscherzten es sich nämlich mit so ziemlich jedem, bevor, während oder nachdem sie ihren ungeplanten 'Ausflug' mit gewissen 'Freizeitaktivitäten' unternahmen. Und auch Dana kommt sich in ihrem Bemühen das Richtige zu tun mittlerweile so vor, als würde sie gegen Windmühlen kämpfen.

"We're supposed to pretend like it never happened? Because I can't."

Dana hat nach wie vor an der Fahrerflucht zu knabbern. Nachdem sie in der letzten Folge von Brody enttäuscht wurde, als dieser nicht mit ihr zur Polizei gehen konnte, steht sie nun bei Mike vor der Tür. Dass hier ein gewisses Verhaltensmuster der Brody-Frauen zu erkennen ist, kommt nicht von ungefähr. Auch Jessica wendet sich immer dann an Mike, wenn Brody nicht so für sie da ist, wie sie sich das wünscht. Und Mike eilt gern zur Hilfe. Aus seiner Sicht auch absolut nachvollziehbar, da er während Brodys Kriegsgefangenschaft quasi dessen Platz in der Familie eingenommen hat. Dass es nicht gerade das Einfachste für ihn gewesen sein muss, diesen Platz von heute auf morgen ohne einen Mucks zu räumen, gibt er gegenüber Dana in dieser Episode selbst zu. Dass die Autoren ihn seit Beginn dieser Staffel wieder ganz langsam mehr und mehr in die Familie integrieren und auch seine Beziehung zu Jessica immer wieder mal in kleinen Randbemerkungen thematisiert wird, legt die Vermutung nahe, dass er in naher Zukunft nochmal eine wichtigere Rolle einnehmen könnte.

Im Falle von Dana fährt er sie zur Tochter des Unfallopfers. Dana will sich entschuldigen, ihr Gewissen erleichtern, irgendetwas tun, um für ihren Fehler einzustehen und Verantwortung zu übernehmen. Nur lässt sie niemand. Finn nicht, dessen Eltern nicht, Brody nicht – und jetzt nicht mal die Tochter der Verstorbenen. Die will einfach nur, dass Dana ihren Mund hält. Der Grund? Die Tochter hat sich auf einen Deal mit Waldens Gefolgsleuten eingelassen: Wenn sie (und auch sonst niemand) kein Sterbenswort über den Unfall verliert, erhält sie eine entsprechende finanzielle Entschädigung. Schweigegeld, wenn man so will. Dana erlebt hier am eigenen Leib, was Jessica und Brody in der letzten Episode bereits zu spüren bekamen: Solche Dinge kehrt man in Waldens Kreisen unter den Teppich. Sie sind unschön, könnten dem Ansehen schaden. Image ist alles, moralisches Handeln ist Nebensache. Hauptsache man erreicht sein Ziel. Zur Not auch, wenn man dabei – wortwörtlich – über Leichen gehen muss. Dana kommt damit nicht zurecht. Ihre Schuldgefühle fressen sie auf, da sie sich verantwortlich für den Tod eines anderen Menschen fühlt. Letztlich lässt sie sich aber doch auf den Wunsch der Tochter ein und verzichtet darauf zur Polizei zu gehen, auch wenn das bedeutet, dass sie selbst (vorerst) keinen richtigen Abschluss finden kann.

Dass man diesen Weg gewählt hat, um diese Storyline zu einem Ende zu führen (es scheint zumindest, als würde diese nun abgeschlossen sein), wirkt erstmal glaubwürdig. Die Beweggründe aller Beteiligten sind relativ plausibel dargestellt. Auch wenn man sich natürlich fragt, in welchen extremen finanziellen Nöten die Tochter schweben muss, wenn ihr Geld wichtiger ist als Gerechtigkeit. Aus ethischer Sicht ein höchstfragwürdiger Umgang mit dem Tod der eigenen Mutter. Wäre diese Geschichte aber anders erzählt worden, wäre Dana also tatsächlich zur Polizei gegangen, hätte das Ganze Ausmaße angenommen, die mit dem eigentlichen Kern von "Homeland" wahrscheinlich wirklich nicht mehr viel gemein gehabt hätten. So bleibt natürlich die Frage, wozu dieser Handlungsstrang überhaupt gut gewesen ist? In Bezug auf den Hauptfokus von "Homeland" rund um Brodys terroristische Verwicklungen zu nicht sehr viel. Gezeigt hat er allerdings, dass Dana, Jessica und Brody irgendwie nicht so richtig in Waldens Welt passen. Und er gab Morgan Saylor eine tolle Möglichkeit, ihr schauspielerisches Können unter Beweis zu stellen. Vor allem aber diente er wohl dazu, in Brodys separater Geschichte das Zünglein an der Waage zu spielen.

"Everything is falling apart. This is a nightmare."

Als sich Brody darauf eingelassen hat, mit der CIA gemeinsame Sache zu machen, hätte man denken können, seine Situation würde sich etwas entschärfen. Falsch gedacht. Ganz offensichtlich ist das nicht der Fall. Schon in den letzten Episoden war zu merken, dass Brody sein doppeltes Spiel nicht so leicht von der Hand geht, wie man vielleicht von ihm erwartet hätte. Zu groß scheint seine Angst, Roya könnte ihn durchschauen. Dass ihm früher oder später alles über den Kopf wachsen würde, war demnach nur eine Frage der Zeit. In dieser Episode passiert also, was passieren muss: Brody kann nicht mehr. Doch wer hätte gedacht, dass nun ausgerechnet Dana oder vielmehr der Umstand, dass er ihr nicht helfen kann, das Fass zum Überlaufen bringt? Er hat schließlich schon ganz andere Dinge durchgestanden. Doch vermutlich war bei all dem Druck, dem er zunehmend ausgesetzt war, bereits ein vergleichsweise kleiner Auslöser wie dieser genug, um einfach nicht mehr weiter zu wissen. Von allen Seiten wird an ihm gezerrt, alle haben Erwartungen an ihn, die er einfach nicht erfüllen kann. Dass er sich auf Nazir eingelassen hat, zieht also immer größere Kreise und ihm gleitet nach und nach alles aus den Händen. Offenbar reicht es ihm nun. Er zieht sich zurück, will nicht mehr. Carrie ist diejenige, die, wie auch schon in ähnlichen, früheren Momenten, zu ihm durchdringen kann. Denkt man jedenfalls. Was man nicht für möglich hält: Brody ist immer noch völlig neben der Spur, als er sich mit Roya trifft. Absolut unerwartet sagt er ihr, dass er nicht länger für sie arbeiten wird. Virgil, der genau wie Carrie und Quinn die Unterhaltung mithört, spricht dem Zuschauer in diesem Moment aus der Seele: "What the hell was that?" Jap, genau das fragt man sich.

So derart neben sich stehend hat man Brody noch nie gesehen. Sich so wenig, oder besser gesagt, überhaupt nicht im Griff zu haben, ist vollkommen untypisch für ihn. Bislang ahnte Roya nichts von seinem Doppelleben. Dass sie jetzt misstrauisch wird, ist also kein Wunder. Und Brody hat das ganz allein, ohne wirklichen Grund, zu verschulden. Im Prinzip kann man also gar nicht anders, als sich zu fragen, was das bitte sollte? Dieses überaus unvorsichtige Handeln passt so gar nicht zu ihm – insbesondere, da es bislang immer seine größte Sorge zu sein schien, dass Roya ihm auf die Schliche kommt. Und jetzt hat er selbst dazu am meisten beigetragen. Jetzt auf einmal sollen ihm also jegliche Konsequenzen egal sein? Hm… Naja… Wenn die Autoren meinen…

Auf jeden Fall löst Brodys Verhalten eine paar nette Kettenreaktionen aus.

Um Brody vor Schlimmerem zu bewahren, beispielsweise davor, dass ihm und der CIA die ganze Operation um die Ohren fliegt, 'flieht' Carrie mit ihm in ein Motel, in dem sie (vermeintlich) unter sich sind. Wieder ein Muster, das sich, wie schon die gelegentlichen Berührungen, durch ihre Beziehung zieht. Damit Brody sich ihr anvertraut, müssen sie allein sein - so wie in der Hütte, so wie im Verhörraum. Carrie weiß das und hat auch dieses Mal Erfolg damit:

Brody: "I was thinking I've finally done it."

Carrie: "What?"

Brody: "Burned every bridge. With Abu Nazir. With the CIA. With my family. I'm more alone now than I ever was in that hole in Iraq."

Carrie: "Whatever damage you think you've done, the only way to make it mean something is to stay in the game against Nazir."

Brody: "No. That's over." (…) "I'm done. Let the CIA do what they want. At least I'll finally be able to stop lying to everybody."

Was für eine Wandlung. Man hatte ja immer den Eindruck, die Lügen würden Brody relativ leicht über die Lippen gehen. Oft war das auch so. Zumindest in der ersten Staffel. Aber dass ihn die vielen Lügen im Verlauf der Zeit doch sehr zermürbt haben müssen, ist hier unmissverständlich. Carrie macht ihm nochmals klar, dass er mit all dem nicht allein ist. Dass sie für ihn da ist. Sie glaubt, dass es für beide von ihnen ein Abschluss und in gewisser Form auch ein Neubeginn sein würde, wenn sie Abu Nazir zu Fall bringen. Dass Brody dann wirklich ein Held wäre und all die negativen Dinge, die er in der Vergangenheit getan hat, im Vergleich dazu verblassen würden. Dass auch ihre (Liebes-)Beziehung dadurch eine neue Chance erhalten würde.

Ihr Motel-Aufenthalt führt dazu, dass sich beide ein weiteres Stück näherkommen. Zweifelte Brody in #2.07 Ein Tag am Fenster noch an der Aufrichtigkeit von Carries Gefühlen und misstraute ihren wahren Beweggründen, so lässt er sich jetzt voll und ganz darauf ein. Von welcher Dauer diese neu gewonnene Nähe zwischen den beiden jedoch ist, werden erst die nächsten Episoden zeigen.

Was Carrie und Brody (noch) nicht wissen: Ihrem kurzen Liebes-Intermezzo dürfen/müssen mehr Menschen beiwohnen, als allen Beteiligten lieb ist. Die CIA hat sie längst gefunden und kann ihre Unterhaltung (und alle sonstigen Dinge) mitanhören. Wie eh und je ist Saul dabei der einzige, der Carrie vertraut. Er mag ihre Methoden vielleicht nicht befürworten. Doch er ist davon überzeugt, dass Carrie im Sinne der CIA handelt und ihr 'Ausflug' nur Mittel zum Zweck ist; dass sie Brody auf diese Weise auf die richtige Spur zurückführen wird. Quinn und Estes sind da offenbar anderer Meinung und haben nachvollziehbarer Weise große Zweifel an ihrer Motivation. Woher sollen sie auch wissen, was Carrie im Schilde führt? Es sieht schließlich alles danach aus, als wäre sie drauf und dran mit Brody durchzubrennen. Da sie durchaus zu impulsivem Verhalten neigt, wäre das auch nicht unbedingt weit hergeholt. Dass Quinn, vor allem aber Estes, sich permanent von Carrie auf der Nase herumtanzen lässt, ist schon ein wenig fragwürdig. Gerade Estes sollte sich durchzusetzen wissen. Dass Carrie mit ihren Aktionen immer irgendwie durchkommt, ist dabei vor allem Saul zu verdanken, der sie vor anderen uneingeschränkt in Schutz nimmt. Selbst ist er sich seiner Sache aber gar nicht so sicher:

Saul: "Are you getting too close?"

Carrie: "He was running off the rails. I did what I had to do."

Saul: "So, that's all that was?"

Carrie: "I'm not even gonna answer that."

Saul: "Well, not too many months ago you told me you were in love with him."

Carrie: "Yeah. And I was more than a little unstable then."

Saul: "It's okay now?"

Carrie: "Have I lost it again? Is that what you're asking?"

Saul: "I'm saying, if you're back there again, in that place with Brody…"

Carrie: "What?"

Saul: "It ended badly last time. For you. For everyone."

Carrie: "I'm not your daughter, Saul. I don't need you telling me what to do."

Carrie macht sich hier eindeutig selbst etwas vor. Klar, sie hat Erfolg mit ihren unkonventionellen Methoden. Aber sie denkt doch nicht ernsthaft, dass sie in Bezug auf Brody wirklich nur ihren Job erledigt? Dass Saul, Estes und Quinn ihr ihre Vorgehensweise bis jetzt durchgehen ließen, liegt einzig und allein daran, dass sie letztlich zum gewünschten Ziel geführt hat. Doch wie viele Alleingänge darf sich Carrie bei der CIA eigentlich noch erlauben? Im wahren Leben wäre sie längst von diesem Fall abgezogen worden. Im wahren Leben hätte sie mit diesem Fall aber schon von Anfang an nichts zu tun gehabt. "Homeland" ist eben Fiktion – und da sind solche Dinge (zum Glück) möglich.

"She knows."

Am nächsten Tag sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Nie hätte ein Sprichwort treffender sein können als hier. Brody ist wieder der alte. Carrie hatte offensichtlich einen positiven Einfluss auf ihn - in welcher Form auch immer... Er ruft Roya an und entschuldigt sich. Die zeigt sich froh über seinen Sinneswandel. Als Zuschauer ahnt man bereits, dass Brody doch sicher nicht so einfach davonkommen wird. Roya ist ganz bestimmt niemand, der sich für dumm verkaufen lässt. Und so ist es dann auch: Roya fängt ihn ab, macht ihn (und den Zuschauer) mit ihren Fragen immer nervöser und fährt mit Brody auf eine verlassene Landstraße. Sie treffen dort auf Royas noch immer namenlosen Komplizen. Irgendetwas ist also im Gange – und der Zuschauer tappt genauso im Dunkeln wie Brody, die CIA und Carrie, die Brody und Roya verfolgt hat. Dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist eindeutig. Noch eindeutiger wird es, als plötzlich ein Hubschrauber auftaucht und mit Roya, Brody und Mr. X davonfliegt. Und nochmal eindeutiger, als Brody in eine dunkle Lagerhalle geführt wird und plötzlich Abu Nazir höchstpersönlich vor ihm steht! ABU NAZIR! WOW!!! In diesem Moment klebt man förmlich vor dem Fernseher und ärgert sich, dass ausgerechnet JETZT die Folge endet! Einen 'schlechteren' Zeitpunkt kann es aus Zuschauersicht ja wohl kaum geben. Mit jeder Minute, die diese Schlusssequenz andauert, vermehren sich die Fragezeichen im Zuschauerkopf exponentiell. Was passiert jetzt? Ist Brody in Gefahr? In ernsthafter Gefahr? Wollen sie ihn um die Ecke bringen? Weiß Roya etwa Bescheid? Oder noch schlimmer: Weiß Abu Nazir Bescheid??? Und warum in aller Welt ist Nazir auf einmal in Amerika? Warum steht er da vor Brody? Was passiert jetzt? Was passiert jetzt? WAS PASSIERT JETZT???

Nichts. Denn die Folge endet genau an dieser Stelle. 'Super'…

Fazit

Dass die Macher von "Homeland" wissen, wie man ordentlich Spannung erzeugt, war in dieser Folge wieder einmal zu merken. Dass sie wissen, wie ein ordentlicher Cliffhanger geht, ebenso. Ein spannenderes und in diesem Sinne leider auch unbefriedigenderes offenes Ende hätten sie sich fast nicht ausdenken können. Doch genauso muss diese Serie sein! Insgesamt ist #2.08 eine tolle Folge, die ein schönes Tempo vorlegt und einige neue Entwicklungen in Gang bringt, die in den kommenden Episoden mit Sicherheit noch für jede Menge Spannung sorgen werden. Ganz besonders aber dafür, dass man als Zuschauer auf jeden Fall auch die nächste Episode einschalten wird. Schon allein, um endlich diese ganzen Fragezeichen aus dem Kopf streichen zu können.

Franziska G. - myFanbase

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