Bewertung
Paul Thomas Anderson

Master, The

"If you figure out a way to live without a master, any master, be sure to let the rest of us know, for you would be the first in the history of the world."

Foto: Copyright: 2013 Senator Film
© 2013 Senator Film

Inhalt

Als Freddy Quell (Joaquin Phoenix), ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, wieder in das normale Leben zurückkehrt, muss er sich schnell eingestehen, dass er in diese Gesellschaft nicht mehr passt. Durch Zufall trifft Quell auf Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), den charismatischen Anführer einer philosophischen Bewegung namens "The Cause". Dodd sieht in Quell Potential und nimmt ihn auf. Quell vertritt fortan die fragwürdigen Lehren Dodds und begleitet ihn auf dessen Reisen durch die Ostküste der USA. Dodd hofft, den unberechenbaren Quell auf diese Weise beherrschen zu können, merkt jedoch schnell, welch eine Belastung Quell für die Bewegung und Dodds Familie ist.

Kritik

Der nach "Boogie Nights" und "Magnolia" kurzerhand zum Wunderkind gekürte Regisseur Paul Thomas Anderson ist nach fünf Jahren Schaffenspause mit seinem nunmehr sechsten Werk zurück. Bevor er sich nur augenscheinlich auf die faule Haut legte, trieb er in "There Will Be Blood" Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis zu dessen persönlicher Tour de Force (und das soll was heißen) und lieferte nebenher einen arg unbequemen und deshalb so faszinierenden Film ab, sodass die Erwartungen entsprechend groß waren. Nun hat Anderson Joaquin Phoenix nach dessen Mockumentary-Intermezzo und selbst auferlegten Pause zurückgeholt (in der er zahlreiche Drehbücher ablehnte), das fünfte Mal Philip Seymour Hoffman gecastet und nebenher auch noch die vielseitige Amy Adams mit ins Boot geholt. Oder, um es in Zahlen zu fassen: Der fünfmal für einen Oscar nominierte Wunderregisseur holt sich einen damals doppelt oscarnominierten Joaquin Phoenix, Oscargewinner Philip Seymour Hoffman und die dreifach für einen Academy Award in Frage kommende Amy Adams ins Boot, um die Geschichte rund um einen charismatischen Anführer einer philosophischen Bewegung zu erzählen, die bereits im Vorfeld stark an Robert L. Hubbard und Scientology erinnerte und diese Parallelen auch gar nicht verleugnen wollte.

Allein bei diesen Grundvoraussetzungen ist es kaum verwunderlich, dass alle drei Darsteller wenige Monate später jeweils eine weitere Oscarnominierung in ihre Vita aufnehmen können. Und wenn man nach knapp zweieinhalb Stunden auf die Leinwand starrt und sich fragt, welches Ungetüm von Film einen da eigentlich gerade überfahren hat, kommt man nicht umhin, Paul Thomas Anderson mindestens dieselbe Ehre zukommen lassen zu wollen. Doch die Academy sah dies offensichtlich anders. Es ist schlicht ärgerlich, dass eine derart herausragende Regiearbeit nicht mit einer überfälligen Oscarnominierung belohnt wird. Angefangen bei einer ungestümen, aber nie unfokussierten Inszenierung, die es erlaubt, den Zeitgeist der Nachkriegszeit in sich aufzunehmen, einer ansprechenden wie hintergründigen Handlung, die weitestgehend linear verläuft aber dennoch unberechenbar ist, und einer Plattform, um insbesondere Joaquin Phoenix zu einer Karrierehöchstleistung zu pushen, ist die Handschrift des Regisseurs selten so deutlich wie hier. Und sie gibt dem Film so unglaublich viel. Trotz seiner Länge ist keine Szene zu viel, dazu wirkt die Art und Weise, wie Anderson seine Geschichte erzählen will, so präzise und gleichzeitig subtil und geheimnisvoll, dass es kaum verwunderlich ist, dass "The Master" die Reaktion provoziert, sich den Film mindestens ein zweites Mal anzusehen, um auch tatsächlich alles mitzubekommen. Dazu kommt der Umstand, dass "The Master" auch noch so unverschämt gut aussieht (allein die Wasseraufnahmen sind ein reinster Genuss), nachdem es auf 70 mm gedreht und gezeigt wird im Gegensatz zu den üblichen 35 mm. Und da wäre auch noch der wahnsinnig gute Soundtrack von keinem geringeren als Jonny Greenwood, Mitglied der visionären Rockband Radiohead.

Dabei ist die Story im Grunde schnell erzählt, thematisiert sie doch die persönliche Reise eines gebrochenen Mannes, der nirgendwo so recht hinpasst, und – voll von einer Vielzahl angestauter Emotionen – in jedem Moment wie ein Vulkan auszubrechen vermag. "The Master" ist eben nicht die Biographie einer Person, die Robert L. Hubbard sehr ähnlich ist, sondern der Blick von einem wahren Außenseiter und einer gleichermaßen verlorenen Seele auf die mittlerweile nachgewiesene Entwicklung, dass nach Kriegen der Zuwachs religiöser und philosopischer Randgruppierungen groß ist wie nie. Um den gebrochenen und rastlosen Mann zu verkörpern, hat Anderson Joaquin Phoenix engagiert und damit genau die richtige Wahl getroffen. Phoenix ist in diesem Film schlichtweg eine Naturgewalt, derart voll von angestauten Gefühlen und sexueller Frustration, dass jede Kleinigkeit ihn zum Austicken bringen kann. Seine Rolle ist so nah am Wahnsinn konzipiert, dass es bereits eine Wunderleistung ist, als Schauspieler haarscharf an diesem Eindruck vorbei zu schrammen. Allein die Art und Weise, wie er seine Mimik – der angestrengte Blick mit den stechenden Augen, der hochgezogene Mundwinkel – und seine Gestik beherrscht, die offenbart, dass der immerwährende Versuch, sich und seine Taten zu kontrollieren, bevor eine Kraft von ihm Besitz ergreift, die alles und jeden um ihn zerstören kann, zwangsläufig schief gehen muss – atemberaubend. Joaquin Phoenix war bereits vorher ein herausragender Charakterdarsteller. Nun hat er wohl die beste schauspielerische Leistung, die man die letzten fünf bis zehn Jahre (!) genre- und darstellerübergreifend gesehen hat, abgeliefert.

Da ist es in der Tat bewundernswert, wenn die Nebendarsteller des Films, allen voran Philip Seymour Hoffman und Amy Adams, nicht durch Phoenix kurzerhand an die Wand geklatscht werden und komplett untergehen. Insbesondere Hoffman kann einmal wieder den Nachweis abliefern, warum er einer der aktuell Besten seines Fachs ist und gibt Lancaster Dodd auf der einen Seite durchaus charismatische und geradezu sympathische Züge, um in Schlüsselmomenten seine berechnende und aggressive Seite zu zeigen, wenn nicht alles nach seinem Plan läuft. Die Beziehung zwischen ihm und Freddie Quell ist hochfaszinierend und geprägt von tiefster Zuneigung, die teils sogar homoerotische Züge annimmt, und gleichzeitig von dem Versuch Dodds, Freddie zu vereinnahmen und zu benutzen, nur um zu merken, dass sich dieser nicht beherrschen lässt. Amy Adams als Lancasters Frau strahlt eine Stärke und wohltuende Distanz zu dem Wahnsinn aus, in den Freddie ihren Ehemann reinzieht und umgekehrt. Sie scheint die einzige zu sein, die voll und ganz hinter der Lehre von "The Cause" steht und die Schwierigkeit sieht, die mit einem Charakter wie Freddie einher geht.

Fazit

"The Master" ist anspruchsvoll und eine cineastische Herausforderung für sein Publikum. Wer aber an der zweifelsohne besten schauspielerischen Leistung in diesem Jahr (und wohl auch die darauf folgenden) teilhaben möchte, kommt an diesem schwer greifbaren Monstrum nicht vorbei. Für all diejenigen, die sich schnell von dem Gedanken verabschieden können, Handlung, Motivationen und Szenen mundgerecht und interpretationsfrei serviert zu bekommen, bietet das neueste Werk von Mastermind Paul Thomas Anderson große intellektuelle Unterhaltung.

Andreas K. - myFanbase
03.02.2013

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