Bewertung
Rowan Joffe

Brighton Rock

"Du bist gut, Rose, und ich bin böse. Wir sind füreinander bestimmt."

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Inhalt

Brighton im Jahr 1964. Der Konflikt zwischen den jungen Mods und den alternden Rockern droht vollends zu eskalieren und sorgt für bürgerkriegsähnliche Zustände. Inmitten des Chaos gelingt es dem Kleinganoven Pinkie (Sam Riley), in der Hierarchie der Mods nach oben zu klettern. Als er einem Kontrahenten lediglich Angst einjagen soll, ihn dabei jedoch tötet, steht er mit dem Rücken zur Wand. Denn die junge Kellnerin Rose (Andrea Riseborough) wird durch Zufall zur einzigen Zeugin dieser Tragödie, ohne sich dessen jedoch bewusst zu sein. Also versucht Pinkie, sich das Vertrauen von Rose zu erschmeicheln und beginnt eine Liebesbeziehung zu ihr. Rose' Chefin Ida (Helen Mirren) sieht Pinkies Avancen mit einer gehörigen Portion Argwohn, da sie schnell hinter seine Fassade sieht, und stellt eigenmächtig Ermittlungen an.

Kritik

"Brighton Rock" von Graham Greene aus dem Jahre 1938 - im Deutschen unter dem Titel "Am Abgrund des Lebens" bekannt – gilt heutzutage gemeinhin als Klassiker der Literatur. Bereits 1947 wurde der Roman zum ersten Mal verfilmt. Regie bei der Adaption führte John Boulting, mit niemand geringerem als Richard Attenborough in der Hauptrolle. Damals bestand die große Brisanz des Stoffes vor allem im Alter des Protagonisten. Pinkie war 17 Jahre alt und ging mit einer Brutalität vor, die mehr als ungewöhnlich für jemanden seines Alters war. Heute muss man schon zehn Jahre alt sein und mit seinem gleichaltrigen Kumpel ein zweijähriges Kind stundenlang foltern und schließlich töten, um noch zu schockieren, so wie es sich beim Fall James Bulger in England im Jahr 1993 zutrug.

Vielleicht hat Regisseur Rowan Joffe, der unter anderem die Drehbücher zu "28 Weeks Later" und unlängst "The American" verfasste, für seinen ersten Kinofilm deswegen die Handlung zeitlich weiter hinten, nämlich im Jahr 1964, angesiedelt. Er wollte den Film um einen weiteren Aspekt anreichern, nachdem die Schockwirkung durch die Mischung aus Gewalttätigkeit und Alter der Hauptfigur zusehends verpufft ist in den vergangenen Jahren. Dass er sich ausgerechnet für das Jahr 1964 entschied, liegt darin begründet, dass der schwelende Konflikt zwischen Mods und Rockern zu dieser Zeit im britischen Seebad Brighton seinen Höhepunkt fand und die Gewalt zwischen diesen zwei Gruppen eskalierte. Bilder von jungen Männern in Anzügen und wie sie auf Scootern durch die Stadt flitzten, gingen um die Welt. Man könnte Joffe in Anbetracht der Tatsache, dass er sich für eben jenes Jahr entschied, durchaus eine gewisse Portion Opportunismus vorwerfen, wenn man böse wäre. Denn wer an Brighton denkt, kommt um dieses historische Ereignis nicht herum, womit schließlich auch ein entsprechend breites Publikum angesprochen werden kann.

Nichtsdestotrotz sind Pinke und Rose auch in der zweiten Adaption der Romanvorlage offiziell 17, auch wenn man ihnen das schlichtweg nicht abnimmt. Dass Teenie-Serien eine traurige Berühmtheit dadurch erlangten, konsequent Darsteller aus dem Twen-Bereich zu rekrutieren und diese eher schlecht als recht jünger zu machen, ist hinlänglich bekannt. Aber wieso müssen ein heute 31-jähriger Sam Riley und eine 29-jährige Andrea Riseborough für die Hauptrollen gecastet werden, wenn doch so dermaßen offensichtlich ist, dass sie deutlich älter sind als die Figuren, die sie verkörpern sollen? Man könnte über schlechte Castingentscheidungen hinwegsehen, wenn die Darsteller sonst über jeden Zweifel erhaben wären. Aber das sind sie nicht. Sam Riley agiert derart distanziert und emotionslos, dass er nicht einmal annähernd an seine bravouröse Leistung im Ian-Curtis-Biopic "Control" anknüpfen kann, als er den Sänger der einflussreichen Band Joy Division mimte. Selbstverständlich verlangt die Rolle, dass er derart kühl wirkt und seine Gefühle lediglich bei cholerischen Ausbrüchen zeigt. Aber wenn er dadurch wie ein durch und durch unsympathischer Psychopath wirkt, mit dem man als Zuschauer nicht mitfühlen kann und dem man darüber hinaus auch nicht abkaufen kann, dass ein weibliches Wesen Gefallen an ihm finden kann, dann läuft etwas gehörig falsch.

Denn natürlich hat Pinkies mit Makeln behaftete Rolle auch Auswirkungen auf Rose, die schließlich eine Liebesbeziehung mit ihm beginnt. Man kann ihre Verliebtheit nicht nur nicht nachvollziehen, sie tut auch ihr Möglichstes, um in der Folge, als die Beziehung bereits voll im Gange ist, ihren Ruf als naives Dummchen zu festigen – so sehr, dass sich ein US-Kritiker dazu genötigt sah, "Brighton Rock" in Anlehnung an die bekannte Zeichentrickserie um zwei Labormäuse kurzerhand in "Pinkie and the No-Brain" umzubenennen. Nein, Andrea Riseborough, die in ihrem Heimatland England aufgrund ihrer Leistungen in "Happy-Go-Lucky" und "Alles, was wir geben mussten" als Ausnahmetalent gilt, hat sich mit der Rollenauswahl keinen Gefallen getan, auch wenn wenigstens ihr Emotionen zugestanden werden und sie durch ihre verletzliche Art durchaus zu überzeugen weiß. Wenn nur ihre Rolle mehr hergäbe... Dazu gesellen sich durchaus namhafte Nebendarsteller wie Oscar-Preisträgerin Helen Mirren, Schauspielveteran John Hurt oder Andy "Gollum" Serkis, die ihre Sache allesamt mitnichten schlecht machen, aber dennoch zu sehr ihr Standardrepertoire abspulen, um aus dem Film mehr herauszuholen.

Für die Kameraarbeit hat sich Joffe für John Mathieson entschieden, der mittlerweile so etwas wie der Stammkameramann für Sir Ridley Scott ist und sich unter anderem bereits für "Gladiator" und "Königreich der Himmel" verantwortlich zeigte. Was in ihn gefahren ist, für den Film mitunter die unpassendsten Kamerawinkel und -positionen zu wählen – sehr offensichtlich in einer Szene von Rose in der Kirche, als die Kamera auf Höhe des Kreuz Jesu auf sie hinunterblickt – wird wohl nur er beantworten können. Als ob das nicht genug wäre, werden seine Bilder von einem choralen Soundtrack begleitet, der in dieser Form maßlos übertrieben und überdramatisch wirkt. Letzten Endes kommt man so nicht umhin, dem Film "style over substance" zu attestieren.

Fazit

Rowan Joffe brachte in Interviews wiederholt zum Ausdruck, dass sich der Film aufgrund der grandiosen Buchvorlage vereinfacht ausgedrückt nahezu selbst gedreht hätte, da er aufgrund des talentierten Teams um ihn herum wusste, dass alles okay werden würde und er als Regisseur die wahrscheinlich unnötigste Person am Filmset gewesen sei. Wie sich im Fall von "Brighton Rock" jedoch herausstellt, führen schlechte Castingentscheidungen, eine misslungene Inszenierung und ein mittelmäßiges Drehbuch nun doch dazu, dass er dem Film im negativen Sinne seinen Stempel aufdrückte. Es ist ihm nur stellenweise gelungen, die faszinierende Story rund um den Jungkriminellen Pinkie und dessen Aufstieg dem Zuschauer näher zu bringen. Bleibt nur zu hoffen, dass er für seinen zweiten Kinofilm die richtigen Schlüsse daraus zieht, denn dass er ein zweifelsohne großes Talent ist, hat er als Drehbuchautor bereits bewiesen.

Andreas K. - myFanbase
01.10.2011

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