Bewertung
John Lee Hancock

Blind Side - Die große Chance

"If you so much as set foot downtown, you will be sorry. I'm in a prayer group with the D.A., I'm a member of the NRA and I'm always packing."

Foto: Copyright: 2010 Warner Bros. Ent.
© 2010 Warner Bros. Ent.

Inhalt

Über 17 Jahre lang war der gutmütige und schüchterne Michael Oher (Quinton Aaron) unter der Obhut stetig wechselnder Pflegeeltern. Jedes Mal, wenn er zu einer neuen Pflegefamilie kam, rannte er fort. Einer seiner Pflegeväter schafft es schließlich, "Big Mike" in einer christlichen Privatschule unterzubringen, nachdem er den dortigen Coach (Ray McKinnon) überreden konnte. Dieser wiederum überzeugt die Lehrerschaft, dass Michael nicht nur aufgrund seiner Physis von ihm ausgewählt wurde und Michael wird angenommen. Michael freundet sich dort mit S.J. Tuohoy (Jae Head) an und wird, als er nach einer Schulveranstaltung in eisiger Kälte nur leicht bekleidet die Straße entlang läuft, von dessen Mutter Leigh Anne (Sandra Bullock) mit zu ihrem Haus mitgenommen. Nachdem Michael auch über Thanksgiving bei den Tuohoys bleibt, entwickelt er sich zusehends zu einem Mitglied der Familie und dem Star der Footballmannschaft der Schule, natürlich nicht ohne zahlreiche Hürden in den Weg gestellt zu bekommen, die ihm das erhoffte Football-Stipendium an einer Universität immer streitig zu machen versuchen.

Kritik

"Blind Side" ist die Verfilmung des Buchs "The Blind Side: Evolution of a Game" aus dem Jahre 2006, das wiederum die wahre Geschichte des heute 22-jährigen Michael Oher wiedergibt, der seit 2009 für das NFL-Team der Baltimore Ravens als Offensive Lineman/Left Tackle spielt. Während sich das Buch auch darauf konzentriert, wie sich Offensivtaktiken im Football seit den 80er Jahren entwickelt haben, als Lawrence Taylor, der wohl beste Defensivspieler aller Zeiten, zur NFL kam, und über die zunehmende Bedeutung des so genannten Left Tackles, dem wichtigsten Schutzspieler des Quarterbacks, die Geschichte um Michael Oher erzählt, konzentriert sich der Film einzig und allein auf Oher. Obwohl man zahlreiche mehrstündige Filme mit taktischen Lehrstunden des nicht umsonst als "Rasenschach" bezeichneten, wohl am meisten strategielastigen Sport überhaupt füllen könnte, hat Regisseur und Drehbuchautor John Lee Hancock lieber voll und ganz auf eine der liebsten Stories von Publikum und Kritikern gesetzt: die Underdog-Story.

Denn auch bei "Blind Side" findet man alle typischen Zutaten für dieses mittlerweile schon fast eigene Filmgenre. Der Junge aus erbärmlichen Verhältnissen wird ein immerhin akzeptabler Schüler, dafür aber großartiger Footballspieler, und gewinnt Selbstvertrauen und Freunde. Zwischendrin dann noch die unvermeidlichen retardierenden Momente vor dem eigentlichen Höhepunkt, denn schließlich kann man den Hauptcharakter nicht einfach so den gesamten Film triumphieren lassen, ohne ihm auch nur irgendeine Hürde entgegen zu stellen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Film also höchstens geringfügig von den vielen Underdog-Stories der letzten Jahre, die besonders gern bei Sportdramen eingesetzt werden, denn nirgendwo kann man die positive Wandlung simplifizierter darstellen als auf dem Spielfeld, das dann immer wieder als Sinnbild für die jeweilige Lebenssituation herhalten muss.

Und dennoch hat "Blind Side" trotz all der Kalkulierbarkeit und der bedienten Klischees einen gewissen Reiz. Dieser liegt vor allem daran, dass der Beginn zwar recht melodramatisch ist, was er in Anbetracht der Beschreibung der persönlichen Situation von Michael wohl auch sein muss. Jedoch besinnt man sich glücklicherweise danach recht rasch darauf, dass Drama nur bedingt funktioniert bei all der Vorhersehbarkeit. Deswegen wird immer wieder hier und da Humor eingestreut, der aber nicht so offensichtlich ist, dass man dem Drama die Wirkung nimmt, sondern vielmehr die Gesamtstimmung des Films ein wenig auflockert. Für so manche witzige Szene sorgt dabei unter anderem auch Jae Head als halbwüchsiger komischer Sidekick S.J. Tuohoy. Leider scheint der Witz, den er hineinbringt, nur selten wirklich gut, sondern oft recht kalkuliert. Trotzdem stört der teils sehr offensichtliche Humor nur teilweise, ebenso wie die Tatsache, dass die gesamte Figur des S.J. Tuohoy einfach nur unglaubwürdig von hinten bis vorne ist. Da hat man sich ganz offensichtlich von dem realen Vorbild gelöst, um die Stimmung aufzulockern.

Ganz anders stellt sich das bei Sandra Bullock dar. Nicht nur, dass manche Szenen mit ihr als überfürsorgliche Mutter, die weiß was sie will, einfach zum Schießen sind. Sie überragt als Leigh Anne Tuohoy das Geschehen und jeden einzelnen Charakter und ist nicht umsonst mit einem Oscar ausgezeichnet worden. Das ist eine ihrer wenigen überzeugenden Rollen der letzten Jahre, denn obwohl sie immer wieder bewiesen hat, dass sie eine der Schauspielerinnen ist, die das größte Publikum anziehen kann (sie war unter anderem allein 2009 in drei höchst erfolgreichen Filmen in den USA zu sehen), war sie nur selten Teil von wirklich guten Filmen, denen sie zudem dann auch noch ihren Stempel aufdrücken konnte. In "Blind Side" nun überzeugt sie sowohl auf dramatischer als auch auf komödiantischer Eebene. Die Rolle des verwöhnten Rednecks mit Herz derart mitreißend zu spielen, dass man in der einen Sekunde herzlich loslachen und in der nächsten losweinen könnte, ist wahrlich nicht einfach. Doch sie schafft es.

Von Sandra Bullocks superber Leistung angeführt, entwickelt der Film eine Wirkung, die irgendwo zwischen Feel-Good-Movie und klassischer Underdog-Story anzusiedeln ist. Dem Film scheint also zum Glück bewusst zu sein, dass er allein mit dem einen nicht überzeugen kann. Und so erscheint auch die Laufzeit von gut zwei Stunden nur anfangs als etwas zu lang, denn mit der Zeit nimmt "Blind Side" ein ziemliches Tempo auf, sodass man sich wirklich nie langweilt. Auf der anderen Seite jedoch werden so gewisse Aspekte einfach ausgeblendet. Nicht nur der Aufstieg von Michael geht ein wenig schnell vonstatten, insbesondere die Auswirkungen des neuen Familienmitglieds auf die Tochter Collins (Lily Collins) werden nur sehr rudimentär beschrieben, was sehr schade ist, da anfangs noch Andeutungen gemacht werden, die darauf schließen lassen, dass eine eingehendere Thematisierung noch kommen würde.

Fazit

"Blind Side" ist eine recht gelungene Mischung aus Underdog-Drama mit etwas Feel-Good-Humor, die allerdings gnadenlos untergegangen wäre, wenn sie sich allein auf einen Aspekt gestützt hätte, da in beiden Fällen unübersehbare handwerkliche Fehler gemacht werden. Dennoch ist allein Sandra Bullock Grund genug, um trotz der vorhersehbaren Handlung dem Film dennoch eine Chance zu geben.

Andreas K. - myFanbase
02.01.2010

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