Trying - Review Staffel 4

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Um den richtigen Einstieg in die neue Staffel zu finden, habe ich mir noch einmal das Finale der dritten Staffel von "Trying" angesehen. Natürlich kommt man nicht umhin, einige Freudentränen zu verdrücken und einige Male laut loszulachen - die Serie lässt einen einfach immer eine Achterbahn der Gefühle durchleben. Umso fieser ist dann auch der Beginn der vierten Staffel. Wir wissen, dass sechs Jahre vergangen sind und in dieser Zeit kann alles Mögliche passiert sein. Wir sehen eine Todesanzeige, aber nicht für wen und so wird man doch einige Minuten lang auf die Folter gespannt, wer denn nun verstorben ist. Obwohl diese Sequenz wirklich nur die ersten fünf Minuten andauert, so schafft man es immer wieder Erleichterung und Anspannung aufzubauen und kann sich denken, welche Freude Autor Andy Wolton beim Schreiben hatte.

"Nearly Missed a Hug" | Clip aus Episode #4.01 Abschied von "Trying" (jetzt bei Apple TV+ streamen)

Foto: Esther Smith, Scarlett Rayner & Rafe Spall, Trying - Copyright: Apple TV+
Esther Smith, Scarlett Rayner & Rafe Spall, Trying
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Sechs Jahre sind also vergangenen und man sieht schon in den ersten Minuten der vierten Staffel, wie eng die kleine Familie inzwischen zusammen gewachsen ist. Mir gefällt der Umgang miteinander, dass sich die offensichtliche Liebe zwischen Nikki (Esther Smith) und Jason (Rafe Spall) auch auf die Kinder übertragen hat, die sich geborgen fühlen und sich auch trauen, offen mit ihren Adoptiveltern zu sprechen. Für die beiden sind sie Mom und Dad und auch wenn sie traurig oder angespannt sind, wissen sie, dass sie immer ein offenes Ohr oder eine dicke Umarmung bei ihnen finden. Besonders schön fand ich es auch, dass Princess (Scarlett Rayner) Jason dazu bringt, seinem Vater (Phil Davis) zu sagen, dass er ihn liebt, auch wenn die beiden Männer sich dabei übertrieben hilflos anstellen. Es ist schon witzig, wie steif doch die Beziehung von Jason zu seinen Eltern ist und war, was wohl dafür spricht, dass Nikki ihn innerhalb ihres kleinen Kreises dazu gebracht hat, sich zu öffnen. Obwohl also für die kleine vierköpfige Familie eigentlich alles perfekt zu sein scheint, nagt dann doch was an ihnen. Für Nikki ist es die Frage, die sich eigentlich schon seit der ersten Folge wie ein roter Faden durch die Serie zieht. "Bin ich dafür geeignet, eine Mutter zu sein?" Während sie anfangs eine Antwort auf die biologische Frage erhält, ist der Durchleuchtungsprozess seitens der Behörden im Rahmen des Adoptionsprozesses eine wiederkehrende Konfrontation damit. "Bin ich gut genug? Reiche ich aus?" Obwohl sie nun schon seit sechs Jahren die Eltern von Princess und Tyler (Cooper Turner) sind, hat Nikki immer noch die Sorge, dass etwas passieren könnte; dass man ihr die Kinder wieder wegnimmt... Und solange da draußen die leibliche Mutter von Princess und Tyler herumschwirrt, auch wenn sie nicht mal ihre eigene Mutter finden kann, ist diese Sorge vielleicht auch nicht unbegründet. Und auch für Princess, die selbst an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht, kommt die Frage nach dieser Frau, die ihr einst das Leben geschenkt hat, wieder auf - insbesondere als sie mit Erinnerungsstücken konfrontiert wird. Es ist also ein interessantes Spannungsfeld, in das uns die vierte Staffel schickt. Denn ich bin mir sicher, dass Princess ihre Mom nicht verletzen möchte. Aber es ist wohl ein Schritt, zu sich selbst zu finden, herauszufinden, wer ihre leibliche Mutter ist und was sie damals dazu bewegt hat, ihre Kinder aufzugeben.

Foto: Esther Smith & Rafe Spall, Trying - Copyright: Apple TV+
Esther Smith & Rafe Spall, Trying
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Doch diese Fragen schweben keineswegs wie eine dunkle Wolke über der Familie, auch wenn sie für die einzelnen Personen dauerhaft ein Thema bleiben. Auf amüsante Art und Weise präsentiert uns "Trying", auch wie sich Beziehungen weiterentwickeln und wie der Alltag mit Teenagern im Haushalt aussieht. Es ist schön zu sehen, dass Nikki und Jason die selben Probleme durchmachen wie andere Eltern auch. Dass sie sich unterschiedlich Sorgen darüber machen, ob sie als Paar noch ausreichend existieren oder nur noch als Elternfiguren wahrgenommen werden - auch vom jeweils anderen. Man hätte meinen können nach drei Staffeln kennen wir die Beziehung der beiden sehr gut, wir waren als Publikum immer wieder Zeuge von Höhen und Tiefen in ihrem gemeinsamen Leben, doch man schafft es hier erneut, noch mal eine Schippe draufzulegen. Wir erfahren von ihrem Kennenlernen, wieso sie sich ineinander verliebt haben und warum sie von der ersten Minute an wussten, dass sie füreinander geschaffen sind. Sowas erwärmt einem einfach das Herz. Und dann noch verbunden mit einem tollen Überraschungsgast, den ich hier nicht spoilern möchte, über den sich aber sicher einige Zuschauenden sehr gefreut haben dürften.

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Siân Brooke & Darren Boyd, Trying
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Den Nebenfiguren wurde in dieser Staffel noch einmal mehr Raum gegeben. Nikkis Schwester Karen (Siân Brooke) wird eine zentrale Stütze für Princess, die nicht weiß, wie sie ihrer Mom erklären soll, dass sie auf der Suche nach ihrer leiblichen Mutter ist. Scott (Darren Boyd), der in seinem Leben eigentlich nie so recht erfolgreich war, will vor seiner eigenen sechsjährigen Tochter Stevie (Matilda Flower), die immer mehr beginnt, die Welt um sich rum zu begreifen, nicht als Verlierer dastehen und nimmt sich vor, etwas für den Klimaschutz zu tun. Dass er dabei auf die fixe Idee kommt, mit einem Ruderboot den Atlantik zu überqueren, obwohl er weder Rudern noch Schwimmen (!) kann, ist mal wieder typisch für ihn. Dennoch geben seine Freunde nicht auf, ihn in der Verwirklichung seines Traums zu unterstützen. Und es ist wirklich schön mitanzusehen, dass er seine Tochter nicht enttäuschen will und wie stolz sie auf ihn ist, was ihn dazu bringt, seine Ängste zu überwinden. In dieser Staffel hat man es deshalb in meinen Augen das erste Mal geschafft, dass Scott nicht einfach nur einen nervigen Charakter spielt, sondern dass man sich für ihn freut und mit ihm mitfiebert. Und auch Jasons Vater Victor hat neben der oben angesprochenen Szene eine gewisse Entwicklung durchgemacht. Ich fand es überraschend, dass er sich in Episode #4.03 Murder at Slaugherbridge Manor gegenüber den Kindern öffnet, was ich völlig unerwartet und deshalb umso schöner fand. Zumal es gleichzeitig auch Tyler hilft, von einer ihm wichtigen Person Abschied zu nehmen. Dass man Victor im Laufe der Staffel nicht aus den Augen verliert und seinen Trauerprozess begleitet, hat mich sehr berührt, auch wenn die Darstellung des ganzen mal wieder urkomisch war. Gibt es eigentlich eine Szene, in der Victor kein Werkzeug in der Hand hat?

Foto: Scarlett Rayner, Trying - Copyright: Apple TV+
Scarlett Rayner, Trying
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Obwohl Jason in dieser Staffel eine sehr wichtige Rolle in Tylers Leben spielt und für ihn nach einer Möglichkeit sucht, sich anderen Kindern gegenüber mehr zu öffnen, liegt der Fokus meiner Meinung nach doch eindeutig auf Nikki und Princess. Als das Geheimnis irgendwann raus ist, dass Princess auf der Suche nach ihrer leiblichen Mutter ist, versteht man Nikkis erste Reaktion des Verletztseins und dieses Gefühls, dass die kleine neurotische Stimme im Hinterkopf scheinbar recht hatte, dass sie als Mutter nicht gut genug ist. Doch diese Reaktion bekommt nicht Princess ab, sondern ihre Schwester Karen. Für ihre Tochter schafft es Nikki über sich hinauszuwachsen. Diese Szenen, in denen sie wahrscheinlich am liebsten laut schreien würde, ihre Tochter aber stattdessen an der Hand oder in den Arm nimmt, zeigen, wie stark Nikki ist. Natürlich findet sie dabei auch Halt bei Jason, aber ganz viel von dieser Stärke kommt aus ihr selbst und das zeigt, wie sehr diese Figur in den vier Staffeln und neun (?) Jahren Handlung gereift ist. Sie zögert keinen Moment, Princesses Reise zu ihrer eigenen zu machen - im wahrsten Sinne des Wortes. Wie sie ihre Tochter unterstützen will, obwohl es ihr selbst das Herz brechen könnte, ist so bittersüß und genau das sind die Momente, für die man diese Serie so liebt.

"Is Everything Okay?" | Clip aus Episode #4.05 Muttertag von "Trying" (jetzt bei Apple TV+ streamen)

Zu guter letzt komme ich auch diesmal nicht umhin, erneut einige Worte zur Musik zu verlieren. Bereits bei den letzten Staffeln hatte ich den Soundtrack lobend erwähnt und so soll es auch diesmal sein. Die Musikerin BEKA hatte die Gelegenheit, den Soundtrack zur vierten Staffel von "Trying" zu produzieren und bereits bei der Schlusssequenz der ersten Folge merkt man erneut, wie hervorragend sie die Stimmung eingefangen hat. Auch dieser Soundtrack liefert also für alle "Trying"-Fans oder solche, die es noch werden wollen, einige Highlights.

Fazit

Trotz des Zeitsprungs zwischen Staffel 3 und 4 verliert "Trying" nicht an Schwung. Bereits ab den ersten Minuten springt man wieder auf die Gefühlsachterbahn auf und diese lässt einen über alle acht Episoden nicht mehr absteigen. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich laut loslache oder eine Träne aus dem Augenwinkel wische. Man findet in "Trying" genug Identifikationspotential, selbst wenn man selbst keine Kinder hat, übers Adoptieren nachdenkt oder adoptiert ist. Eine Comedyserie, bei deren Charakteren man sich trotz aller Fehlbarkeiten geborgen fühlt, wie oft gibt es das schon?

Verpasst nicht unser Interview mit Esther Smith und Rafe Spall über Staffel 4 von "Trying"!

Die Serie "Trying" ansehen:

Catherine Bühnsack - myFanbase

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