Lockerbie: A Search For Truth - Review der Miniserie

Nachdem die erste Folge von "Lockerbie: A Search for Truth" bereits einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen hat, komme ich nicht umhin nach dem Ende der Miniserie noch mal ein Fazit zu ziehen. In fünf Folgen erzählt die Produktion von Peacock und Sky die wahre Geschichte eines Mannes, der nach einem furchtbaren Terroranschlag über Jahrzehnte nicht zur Ruhe kommen kann.
Dr. Jim Swire (Colin Firth) wird genau wie der Rest seiner Familie von dem Tod seiner Tochter Flora (Rosanna Adams), die kurz vor Weihnachten 1988 bei einem Bombenattentat auf einen Pan-Am-Flug von London nach New York aus dem Leben gerissen wurde, eiskalt erwischt. Die erste Episode bleibt einem nicht nur wegen dieses Schocks, der in die Familie Swire fährt, in Erinnerung, sondern vor allem auch durch die bildliche Gestaltung und dem Fokus auf den Absturz. Jede*r Zuschauer*in soll verstehen, was für ein schreckliches Ereignis der Auslöser für diese Geschichte ist. Dass in dieser Episode der Absturz von Pan-Am-Flug 103 nicht nur durch die Explosion an Bord angedeutet wurde, sondern wir Zeug*innen werden, wie die Maschine über der schottischen Kleinstadt Lockerbie abstürzte, wie die Trümmerteile zu Boden fielen und damit zur Lebensgefahr für die Bevölkerung wurden, wie die Leichen der Passagiere oder Besatzungsmitglieder in der Stadt und auf den Feldern verteilt auftrafen und letztlich der Rest der Maschine einen ganzen Straßenzug in einem Feuerball verschluckte, diese Bilder versetzen einen in einen Schockzustand. Man fühlte sich hier stellenweise an die erste Episode der preisgekrönten Serie "Chernobyl" erinnert, wo man ebenfalls wusste, was passieren würde, aber man dennoch nicht wegschauen konnte. Ich kann absolut verstehen, dass einige Medien hier von "Tragedy Porn" sprechen und sich Angehörige der Opfer durch diese Episode retraumatisiert fühlen. Es ist sicher eine Sache auch nach so vielen Jahren noch immer keine klaren Antworten auf das "Warum?" dieser Tat zu haben, aber dieses Attentat so bildgewaltig noch mal vorgeführt zu bekommen, hinterlässt schon bei völlig Unbeteiligten einen Schauer, da möchte ich nicht wissen, wie es den Angehörigen geht, die nun auf diese Weise damit konfrontiert werden.
Bei aller Kritik daran, hilft es aber auch zu verstehen, warum dieser Absturz und wie es dazu kommen konnte, den Angehörigen keine Ruhe gelassen hat. Auch wenn man sich immer wieder daran erinnern muss (man wird auch zu Beginn jeder Folge schriftlich darauf hingewiesen), dass es sich hierbei um eine fiktionale Serie handelt, die auf wahren Begebenheiten beruht, und nicht um eine Dokumentation - dass es sich um die Erinnerungen und Aufzeichnungen eines Mannes handelt, die nicht zwingend die Meinungen und Eindrücke aller Hinterbliebenen widerspiegeln - und dass für die Fiktionalisieren des Stoffes evtl. auch Figuren hinzugedichtet wurden oder Dinge überdramatisiert wurden, um die Geschichte spannender zu gestalten - all das sollte man beim Schauen immer im Hinterkopf behalten. Dennoch sind die grundsätzlichen Fakten dieser Serie richtig und wurden schon zigfach beschrieben und in Dokumentationen dargestellt. Bis heute ist nicht klar, was die Hintergründe dieses Anschlags sind oder ob der bis heute einzige verurteilte Täter wirklich für den Anschlag verantwortlich war oder zum Sündenbock der Weltpolitik wurde. Dass auch nach über 35 Jahren immer noch nicht aufgeklärt werden konnte, was damals wirklich passiert ist, welche Beweise evtl. unter den Teppich gekehrt wurde, um politische Ziele zu erreichen, so dass die Gerichte nicht auf Basis aller Fakten entscheiden konnten, all das hinterlässt so ein wahnsinnig ungutes Bauchgefühl. Das ist der Nährboden für Verschwörungstheorien und für Zweifel an der Justiz. Und wer kann da nicht verstehen, dass ein Mann wie Dr. Swire auch über Jahrzehnte nicht zur Ruhe kommen kann, den Fall nicht zu den Akten legen kann, nicht endlich den Tod seiner Tochter verarbeiten kann...

© 2024 Carnival Film & Television Limited/Sky Studios Limited
Was ab Folge 2 dann noch mehr herausgearbeitet wird, ist diese wachsende Besessenheit Swires von der Analyse der Fakten und welche Auswirkungen das auf seine Familie hat. Während seine Ehefrau Jane (Catherine McCormack) mit Angstzuständen und Albträumen zu kämpfen hat, die er scheinbar gar nicht wahrnimmt oder mit denen er nicht umzugehen weiß, wird im Laufe der Miniserie auch deutlich, wie sehr eine Entfremdung zu seinen anderen beiden Kindern und den später dazukommenden Enkeln stattfindet. Jim Swire opfert sein Familienleben, um die Schuldigen für den Tod seiner Tochter Flora zu finden, und dabei vergisst er, dass er noch lebende Kinder hat, für die er in diesem Moment vielleicht auch gestorben ist, weil er danach nicht mehr der selbe, quasi nicht mehr erreichbar war. Dabei stand Jane anfangs noch hinter Jims Plänen, sich im Namen der Hinterbliebenen für die Aufklärung einzusetzen. Sie nimmt es sogar hin, dass er für Monate in den Niederlanden lebt, um dem Prozess gegen die beiden Hauptverdächtigen beizuwohnen. Wahrscheinlich hat sie immer gehofft, dass dies ein Teil des Trauerprozesses ihres Mannes ist und er das benötigt, um endlich abschließen zu können. Doch leider tut ihm das Gericht aus seiner Sicht nicht den Gefallen, ein eindeutiges oder faktenbasiertes Urteil zu fällen, so dass Swire diese Möglichkeit, den Tod seiner Tochter zu verarbeiten, verwehrt bleibt. Mit dem Gefühl, dass Beweise unter den Teppich gekehrt wurden, nicht alle Fakten richtig betrachtet wurden und das Urteil schon vor dem Prozess feststand, steigert er sich nur noch mehr in die Sache hinein und ab diesem Moment bemerkt man, wie Jane die Hoffnung verliert, je wieder zu einer Normalität in ihrem Leben zurückkehren zu können. Wenn ich ehrlich bin, hat es mich beeindruckt, dass sie ihn im Laufe der Jahre nie aufgibt und verlässt, bei all dem Schmerz, den er der Familie mit seinen unermüdlichen Recherchen zufügt.

© 2024 Carnival Film & Television Limited/Sky Studios Limited
Spätestens als Swire dann damit beginnt, sich für den verurteilten Terroristen Abdelbaset al-Megrahi (Ardalan Esmaili) einzusetzen, damit er einen fairen Wiederaufnahmeprozess erhält, hat er wohl die meisten Menschen verloren, die zuvor noch hinter ihm standen. Stand Swire zuvor dafür, dass die Behörden und Politiker angetrieben werden, ihre Arbeit zu machen und für Aufklärung zu sorgen, so konnten sicher viele nicht verstehen, warum er den Fall nicht ruhen lassen konnte, nachdem das Gericht in den Niederlanden jemanden für die Tat verurteilt hat. Die Serie schafft es aber, seine Perspektive zu transportieren. Er will keine Verurteilung, um des Urteils Willen, sondern er will, dass die Wahrheit über den Anschlag ans Licht kommt. Und in seinen Augen hat das Urteil diesen Maßstab nicht erfüllt. Zu viele Unstimmigkeiten ließen sich bei der Beweisaufnahme erkennen. Wie aus Jim Swire und Abdelbaset al-Megrahi dann sowas wie Freunde wurden, wurde aus meiner Perspektive sehr einfühlsam erzählt. Aus Sicht der Zuschauer*innen wirkt es absolut logisch, dass sich Jim für Baset einsetzt, denn mit der Wiederaufnahme des Falls würde vielleicht endlich die Wahrheit ans Licht kommen. Genau wie Swire beginnt man ihm zu glauben, dass er als Sündenbock auserwählt wurde, um die tatsächlichen Drahtzieher zu verschleiern. Dass dies nicht alle so sahen, wird durch Janes Vorwürfe und die Reaktion einiger anderer Hinterbliebenen der Terroropfer bei Gedenkveranstaltungen immer wieder deutlich. Deshalb fand ich es gut und wichtig, dass man diese Geschichte des unschuldigen Sündenbocks nicht bis zum Schluss aufrecht erhält, sondern auch immer wieder Zweifel säht. Da der Fall bis heute nicht abschließend aufgeklärt ist, sollte man sich nie von einer Seite der Geschichte einlullen lassen. Ob wir aber je wirklich Antworten erhalten werden, was 1988 tatsächlich der Grund für das Bombenattentat auf Pan-Am-Flug 103 war, bleibt wohl abzuwarten. In diesem Jahr soll ein weiterer Drahtzieher des Anschlags vor Gericht kommen - fast 37 Jahre nach der Tat. Wie lange Jim Swire den Ermittlungen noch folgen kann, ist ebenso unklar. Der gute Mann geht auf die 90 zu und ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob er vielleicht nur noch deswegen noch am Leben ist, um endlich die Wahrheit zu erfahren, warum seine Tochter Flora sterben musste.
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Fazit
"Lockerbie: A Search For Truth" basiert auf einem wahren Verbrechen und ist dennoch keine Dokumentation. Das muss man sich bei aller Faszination für das Ereignis und seine Folgen und bei allem Respekt für die Opfer und ihre Hinterbliebenen immer wieder vor Augen führen. Vielmehr ist es das Porträt eines Mannes, der nach einem schrecklichen Terroranschlag sein ganzes Leben opfert, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ob sich sein Kampf und all die Opfer, die er dafür bringen musste, gelohnt haben, wird nur die Zeit beantworten. Die Serie schafft es auf jeden Fall Verständnis für seine Geschichte zu erzeugen und damit den Wunsch, die Wahrheit ans Licht zu bringen, wie einen Funken in die Köpfe der Zuschauenden zu setzen.
Die Serie "Lockerbie: A Search for Truth" ansehen:
Catherine Bühnsack - myFanbase
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