Lockerbie: A Search for Truth - Review des Piloten

1988 ereignete sich der bisher größte Terroranschlag in der britischen Geschichte. Pan Am Flug 103 von Frankfurt nach Detroit, mit Zwischenlandungen in London und New York City, stürzte kurz nach dem Start in London Heathrow über der beschaulichen schottischen Kleinstadt Lockerbie ab, nachdem an Bord eine Bombe explodiert war. Dabei kamen nicht nur alle 243 Passagiere und 16 Crew-Mitglieder des Flugs ums Leben, sondern auch elf Personen am Boden, die durch Wrackteile getroffen wurden. Dr. Jim Swire und seine Ehefrau Jane verloren bei dem Anschlag ihre Tochter Flora, die an Bord des Flugzeugs war. Zusammen mit einer Gruppe von Angehörigen der britischen Opfer wollen sie nicht aufgeben, die wahren Hintergründe hinter dem Anschlag und das Versagen der Sicherheitsbehörden offenzulegen.

© Warner Bros. Discovery Inc.
"Lockerbie: A Search for Truth" basiert auf Swires Memoiren ("The Lockerbie Bombing: A Father's Search for Justice"), die er zusammen mit Peter Biddulph 2021 veröffentlicht hat, denn nicht nur die Geschichte des Anschlags ist eine wahre Begebenheit, sondern auch seine Ermittlungen. Genauso wie die Hindernisse, die dem Mediziner bspw. seitens der Behörden in den Weg gelegt wurden. Während einige Personen und Ereignisse für die fiktionalisierte Fassung dieser Geschichte vielleicht hinzuerfunden oder umgedichtet wurden, so ist man sich von Beginn an bewusst, dass man hier Zeuge oder Zeugin mehrerer furchtbarer Schicksale wird. Zum einen all jener Personen an Bord und der Opfer in Lockerbie, aber auch eines Mannes, der den Rest seines Lebens damit verbringt, zu versuchen zu verstehen, warum seine Tochter sterben musste, und der nicht lockerlassen wird, die ganzen Hintergründe aufzuklären und sei es das Letzte, was er tut. Denn schon die ersten Minuten zeigen Jim Swire als Besucher in einem Gefängnis im Jahr 2002, also fast 14 Jahre nach dem Absturz. Ob wir damit eine Vorschau auf das Ende seiner Ermittlungen bekommen haben, werden wohl erst die weiteren vier Folgen zeigen, aber wissend, dass sein Buch erst 2021 veröffentlicht wurde, sieht man, dass er auch über 30 Jahre nach dem Tod seiner Tochter diesen Fall nicht loslassen konnte. Inwieweit man diese weiteren Jahre wirklich noch ein Leben nennen kann und welche Auswirkungen seine jahrelangen Ermittlungen und damit das Nicht-Loslassen-Können auf seine Familie hatte, habe ich mich schon in dieser ersten Episode gefragt und frage mich, ob oder wie stark das im Laufe der Serie noch thematisiert wird.
Kann man in so einem Fall überhaupt loslassen? Nur wenige Stunden bevor Swire und seine Familie aus den Fernsehnachrichten von dem Absturz erfahren, waren alle noch glücklich vereint. Es sollte das erste Weihnachtsfest ohne ihre Tochter werden, die einen Urlaub in New York City geplant hatte. Und dann kommt die schreckliche Gewissheit in Form eines Anrufs von der Fluggesellschaft, dass ihre Tochter Flora tatsächlich auf der Passagierliste stand und somit an Bord des Fluges war. Entsetzen, Schock, Wut, Vorwürfe - allesamt verständliche Reaktionen, die einen Prozess der Trauer einleiten. Eine Woche später reisen die Eltern nach Lockerbie, um am Leichnam ihrer Tochter Abschied zu nehmen. Dass sie sie erstmal nicht für eine Beerdigung "zurückbekommen", erscheint ihnen wegen der laufenden Ermittlungen der Absturzumstände wahrscheinlich noch einleuchtend, doch dass sie ihr Kind nicht mal sehen dürfen, in ihre Nähe dürfen, lässt sie - und mich - verständnislos zurück. Swire findet einen Weg, Abschied zu nehmen und spätestens ab diesem Moment versteht man, warum man für diese Rolle einen so hochkarätigen Schauspieler wie Colin Firth gewinnen konnte. Er verkörpert zum einen die etwas stoisch-elitäre englische Upper-Class, die sich ihre Emotionen nicht anmerken lassen will und jede Gemütsregung mit ihrer berüchtigten "stiff upper lip" abschmettert. Doch der Moment, in dem Swire realisiert, dass dies alles nicht nur ein böser Traum ist, sondern seine Tochter tatsächlich tot vor ihm liegt - zusammen mit all den anderen geborgenen Opfern auf Paletten in der Eishalle der Stadt (Bilder, die mich sofort an die Anfänge der Corona-Pandemie erinnert haben) - da brechen all die unterdrückten Gefühle für einen Moment aus ihm raus. Diese Szene ist so unglaublich stark gespielt, das man Gänsehaut bekommt. Und dabei hatte diese erste Folge bis zu diesem Zeitpunkt schon einige Szenen, bei denen es einem kalt über den Rücken gelaufen ist. Vielleicht wäre dieser Moment für Swire die Möglichkeit gewesen, das Schicksal hinzunehmen, in die nächste Phase des Trauerprozesses einzutreten. Doch durch seinen Kontakt mit dem Journalisten Murray Guthrie (Sam Troughton) werden ihm Stück für Stück immer mehr Ungereimtheiten offensichtlich. Heutzutage würde man vielleicht gleich Alarmglocken wegen möglicher Verschwörungstheorien läuten hören, doch Guthrie kann einige seiner Spekulationen mit Beweisen belegen und damit wird der Stein ins Rollen gebracht, der uns letztendlich auch diese Serie beschert hat. Aber Achtung: Guthrie ist eine der fiktionalen Figuren in dieser Geschichte. Er hat in der Form nicht existiert und steht vielmehr für die verschiedenen Journalisten, die bei ihren Recherchen mehr über die Verschleierungen der Behörden offengelegt haben und Swire damit das Futter für seine Fragen und Kritik gaben.
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Zu sehen, wie diese kleine Gemeinde im Westen Schottlands von dieser Katastrophe heimgesucht wird, erinnerte auch von der ganzen Bildsprache her fast an die erste Episode von "Chernobyl". Man hört die Explosion am Nachthimmel, sieht einen leichten Flammenschein hinter den Wolken und plötzlich regnet es Trümmerteile... und Leichen. Mich haben diese Bilder wirklich mitgenommen und spätestens als dann noch echte Aufnahmen aus den TV-Archiven eingespielt wurden, man den zerstörten Straßenzug sah, konnte man wirklich nicht mehr die Augen davor verschließen, dass das alles wirklich passiert ist. Ich war damals noch zu jung, um das Ereignis mitzubekommen, geschweige denn zu verstehen. Ich weiß auch ehrlich gesagt gar nicht, wie groß die Berichterstattung hierzulande dazu war. Wie schon in meinem Beitrag zu den Vielversprechendsten Neustarts geschildert, bin ich vor einiger Zeit durch einen True-Crime-Podcast auf diese Geschichte aufmerksam geworden. Schon damals war klar, dass der ganze Fall nur schwer zu durchschauen war, weil so viele Parteien miteinander verstrickt waren und auch die Behörden an unterschiedlichen Stellen versagt haben. Von daher bin ich sehr gespannt, das Ganze nun auch bildlich noch mal aufgeschlüsselt zu bekommen. Folge 1 legt mit dem eigentlichen Anschlag und den ersten Unstimmigkeiten, auf die Swire und die anderen Hinterbliebenen durch die Recherchen von Journalisten stoßen, erstmal die Grundlage für die Geschichte und wie der kurze Flashforward ins Jahr 2002 zeigt, werden die Ermittlungen einige Zeit andauern und wohl auch noch zu verschiedenen Orten auf der Welt führen. Wir dürfen gespannt sein, was diese Miniserie noch bereit hält - bei allem Respekt für die Opfer und ihre Angehörigen. Wenn ich als völlig Unbeteiligte schon so eine Gänsehaut bekomme, möchte ich nicht wissen, wie re-traumatisierend eine solche Serie auf sie oder die Hinterbliebenen anderer Terroranschläge sein mag. Deshalb fand ich es gut und wichtig, dass "Lockerbie" sehr ruhig erzählt wird und es eigentlich keine Effekthascherei gab.
Fazit
"Lockerbie: A Search for Truth" ist eine Miniserie, die einen bereits in dieser ersten Episode in den Bann zieht, da sie auf einer wahren Geschichte basiert. Colin Firth spielt dabei eindrucksvoll den real existierenden Jim Swire, der nie aufgab, aufklären zu wollen, warum seine Tochter und 269 weitere Opfer bei dem Bombenanschlag auf Pan Am Flug 103 ums Leben kommen mussten. Man ahnt bereits, dass die Suche nach Antworten und der Kampf gegen die Behörden an Swire nagen, aber ihn nie brechen werden. Wie aber alles miteinander zusammen hängt und wer wann wovon wusste, das werden vermutlich die weiteren vier Episoden erzählen.
Die Serie "Lockerbie: A Search for Truth" ansehen:
Catherine Bühnsack - myFanbase
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