Bewertung
Chloe Domont

Fair Play

Foto: Fair Play - Copyright: 2023 Netflix, Inc.
Fair Play
© 2023 Netflix, Inc.

Inhalt

Das New Yorker Pärchen Emily (Phoebe Dynevor) und Luke (Alden Ehrenreich) haben sich gerade erst verlobt, doch das halten sie in ihrem Finanzunternehmen, wo sie gegen Firmenpolitik verstoßen würden, geheim. Als eine Beförderung im Raum steht und alles auf Luke hindeutet, bekommt aber Emily den Job und ihre Beziehung und die Dynamik untereinander ändert sich gravierend. Die beiden müssen sich der Frage stellen, was für sie als Paar und auch ganz individuell der Preis des Erfolgs ist und wie viel an Ambitionen ihr bisheriger Zusammenhalt erträgt.

Kritik

Am 10. Dezember 2023 wird in Stockholm traditionell der Nobelpreis verliehen, u. a. in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften an Claudia Goldin, für ihre Arbeit zur Thematik "Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt". Die Erkenntnisse, die sie dort gewonnen hat, da könnte man meinen, der neue Netflix-Film "Fair Play" ist auf dieser Grundlage geschrieben worden. Inhaltlich geht es nämlich um ein Pärchen der Finanzbranche, die eine geheime, aber dennoch sehr glückliche Beziehung führen, doch als die Frau dem Mann bei der Beförderung vorgezogen wird, da entwickelt sich diese Beziehung auf einmal von himmlisch zu höllisch. Denn die Rollenbilder prägen Privat- und Berufsleben auf einmal enorm. Der Film wurde mehrfach schon als Erotikthriller bezeichnet. Ja, es gibt einige explizite Szenen, die aber in meinen Augen nur eine weitere Ausdrucksebene sind, nicht aber DIE eine. Thriller ist da schon der bessere Hinweis, wobei ich es noch als Psychothriller konkretisieren würde, denn so schnell, wie beide Hauptfiguren sich auch verändern, wegen äußern Umständen und wegen einander, so bekommt man doch einen intensiven Einblick in die menschliche Psyche, die eben zu einem Großteil von Rollenbildern geprägt ist.

Für die Beziehung beginnt der Film fast schon märchenhaft, denn man merkt, dass sich Emily und Luke wohl miteinander fühlen und wirklich in der Beziehung miteinander aufgehen. Dass der Heiratsantrag spontan nach verunglückten Sex (Emily hat gerade ihre Periode bekommen) erfolgt, unterstreicht diesen Eindruck, da Enttabuisierung der Frau und ihrer Menstruation gesellschaftlich auch kein ausgestandenes Thema ist. Dass sie die Beziehung im Job geheim halten müssen, dass stört sie scheinbar auch gar nicht so sehr, denn ich hatte eher das Gefühl, dass sie diese vermeintliche Distanz als Kollegen auch als Rollenspiel wahrgenommen haben. Als dann in dem hart umkämpften Finanzwesen ein höherrangiger Kollege einen Ausbruch hat und gefeuert wird, da wird auf einmal eine Stelle frei und die Gerüchte besagen, dass Luke wohl der Auserwählte ist und Emily ganz als braves Frauchen freut sich mit ihm und man spürt, das ist ehrlich und nicht aufgesetzt. Doch in der Nacht dann der Gaudi, Emily wird zur unmöglichen Zeit von ihrem Boss (Eddie Marsan) zu einem Treffen gebeten und sie erhält den Job, nicht Luke. Ab da geht es dann gewaltig rund, denn auch wenn er ihr das erstmal zu gönnen scheint, schon alleine die Nachfrage, ob sich Campbell ihr aufgedrängt hat, zeigt im Kern schon, dass er nicht glaubt, dass sich seine Verlobte mit Leistung qualifiziert hat und dass der Boss dadurch Respekt für sie hat, sondern er unterstellt, dass Campell heiß auf Emily ist und die Frage ist nur noch, ob sie dem nachgegangen ist. Diese Unterstellungen hat Luke wohlgemerkt schon, bevor er das Büro am nächsten Tag betritt und dort seine Gedanken von den (Überraschung!) männlichen Kollegen gespiegelt bekommt.

Die Finanzbranche ist für so eine Geschichte natürlich bestens geeignet, was HBO schon mit "Industry" bewiesen hat. Es ist eine männerdominierte Welt, wo Frauen umso härter um ihren Platz kämpfen müssen. Es ist aber auch eine Welt der fehlenden moralischen Werte. Denn wo es darum geht, Menschen abzuzocken, um sich selbst und die eigene Firma ohne Gewissen zu bereichern, da passen dann auch diese Rollenbilder wunderbar rein und da ist der Sex dann auch schnell das Symbol für den Lustgewinn, sich über andere erheben zu können. Es ist also ein perfektes Brennglas für einen gesellschaftlichen Zustand, der im Weiteren dann an diesem einen Paar gezeigt weitergesponnen wird. Auch wenn die einzelnen Schritte alle erwartbar sind, denn wer hat eine solche Situation nicht schon längst selbst im echten Leben oder fiktiv verarbeitet gesehen?, kann man nicht wirklich wegsehen und es ist oft auch schmerzhaft, weil so ein Beispiel sich täglich zuhauf in der Welt ereignet. Es spricht aber auch für das Schauspiel von den beiden Hauptdarstellern, dass es so belastend beim Publikum ankommt.

Dennoch möchte ich auch hervorheben, dass es, weil von Frau geschrieben und auf dem Regiestuhl inszeniert, noch lange keine Abrechnung mit dem Geschlecht Mann ist. Es geht tatsächlich um beide Rollenbilder und damit oft auch die Problematik, dass sich Mann UND Frau da gerne auch mal bequem machen. Luke erniedrigt Emily immer mehr, um sich selbst wieder besser und über sie erhaben zu fühlen, aber sie umgekehrt hat zunächst nur den einen Gedanken, dass sie unbedingt dafür sorgen muss, dass ihr Männlein auch bald befördert wird, weil er das so unbedingt verdient hat. Hat er eben nicht. Es ist nicht nur die Einschätzung von Campbell, dass es Luke für eine Beförderung nicht drauf hat, sondern wir als Zuschauer*innen sehen es ja selbst. Wenn Emily ihn mit Analysen und dann Empfehlungen zu Geschäften betraut, er trifft konsequent die falsche Entscheidung. Doch sie sieht das nicht, denn zuhause muss wieder der Haussegen gerade gerückt werden und das geht eben nur, wenn er ihr mindestens gleichgestellt ist. Eine weitere Sache ist auch, dass Emily irgendwann auf eine Art zwar aufwacht und selbstbewusster ihre Position verteidigt und vertritt, aber gleichzeitig wird sie damit fast selbst zum männlichen Kollegen. Denn dann wird ein erfolgreicher Abschluss eben gefeiert, aber natürlich wo sonst? Im Stripclub. Und wer lässt die Scheine regnen? Emily. Erfolg als Frau, eine schwierige Kiste, denn hier wird angedeutet, dass ein Erfolg erst dann wirklich einer ist, wenn es von den Männern auf dieser Ebene anerkannt wird. Insgesamt zeigt der Film also deutlich, dass es Frauen genauso wie Männer fachlich drauf haben können, aber es ist eben auch der Frau antrainiert, das nicht einfach als natürlich zu akzeptieren. Natürlich sind das jeweils stereotype Endergebnisse, die der Film zeigt, weil es auch genug Männer und Frauen gibt, die in keinem Rollenbild stecken, aber wenn Stereotype nicht oft der Mehrheit entsprächen, dann müsste Frau Goldin nicht ausgezeichnet werden, denn dann wäre das ja Schnee von gestern.

Im letzten Viertel verlässt der Film dann zunehmend die allgemeinere Ebene und da sind es dann wirklich Luke und Emily als individuelle Menschen, die das hässlichste ineinander hervorholen und sich regelrecht gegenseitig zerstören. Auch hier ist es wahrlich nicht einseitig mit dem bösen Mann, aber es wird dann auch eine Tendenz aufgezeigt, dass die Frau eher am Aufwachen ist. Luke zeigt nämlich ein ungewöhnliches Talent dafür, sich niemals einen Fehler bei sich selbst einzugestehen und damit Emily als schuldig für alles darzustellen. Doch das lässt sie ihm am Ende nicht durchgehen. Für den Film passend werden noch einmal alle Hemmungen freigelassen, denn ein braves Ende, wo Emily einfach mit Luke Schluss macht und über den Dingen steht, das wäre es nicht gewesen. Am Ende darf sogar bezweifelt werden, dass Emily trotz ihres Sieges wirklich einen dauerhaften Triumph fühlen kann, denn er war hart erkauft und bewegt hat er im Grunde nichts. Der Film ist insgesamt also schon harte Kost, zumindest wenn man die einzelnen Nuancen wirklich verstehen will. Aber er ist inhaltlich wichtig.

Fazit

"Fair Play" ist mitreißend und schauspielerisch überzeugend von Chloe Domont inszeniert worden. Man kann den Film sicherlich auch einfach so gucken, weil ordentlich was passiert, aber der Film wird erst dann wirklich gut, wenn man den Kopf richtig anschaltet und versteht, was dort passiert. Wir alle stecken in Rollenbildern fest und wir alle können nicht oft genug mit reflexivem Bewusstsein konfrontiert werden, um uns auch selbst zu hinterfragen. Mit dieser Einstellung wird "Fair Play" nicht zur einfachen Kost, aber was ist im Leben schon einfach?

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Lena Donth - myFanbase
14.10.2023

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