Bewertung
Vicky Wight

Küssen und andere lebenswichtige Dinge

Foto: Luke Grimes & Ellie Kemper, Happiness For Beginners - Copyright: Barbara Nitke/Netflix
Luke Grimes & Ellie Kemper, Happiness For Beginners
© Barbara Nitke/Netflix

Inhalt

Ein Jahr nach der Finalisierung ihrer Scheidung lässt sich Helen Carpenter (Ellie Kemper) von ihrem jüngeren Bruder Duncan (Alexander Koch) überreden, dass sie an einer Wanderung durch die Wildnis teilnimmt. Sie hofft, dass es der Umschwung ist, ihr Leben endlich wieder in den Griff zu bekommen. Als aber auch Jake (Luke Grimes), der nervige beste Freund ihres Bruders ebenfalls Teil der Wandergruppe ist, befürchtet Helen eine Katastrophe.

Kritik

"Küssen und andere lebenswichtige Dinge" ist das beste Beispiel für fehlleitende deutsche Titelübersetzungen, die irgendwann ein deutscher Buchverlag gewagt hat, so dass die Adaption der Vorlage brav folgen muss. Während der Originaltitel "Happiness for Beginners" von Autorin Katherine Center wesentlich neutraler gehalten ist und meiner Meinung nach auch perfekt zur Essenz des Filmes (und damit wohl auch zum Buch) passt, hat sich Blanvalet 2016 da schon etwas weiter aus dem Fenster gewagt und "Küssen und andere lebenswichtige Dinge" gewählt, vermutlich um dem damaligen Phänomen von Chick lit-Literatur zu entsprechen, eine Genre-Einteilung über die gerne überheblich gelächelt wird. Angesichts mancher Titel ist das leider auch nicht verwunderlich. Dass es jetzt entscheidend um Küssen gegangen wäre, das ist mir jedenfalls nicht aufgefallen. Tatsächlich habe ich mit dem Film eine sehr bodenständige RomCom geboten bekommen, die alleine durch die Thematik einer Erlebniswanderung richtig tolle Landschaftsaufnahmen beschert, aber auch ansonsten ganz nah an der Natur ist. Damit ist der Hauptschwerpunkt des Films ganz klar die Botschaft, dass man in der Natur, fernab von Außeneinflüssen, gut zu sich selbst finden kann und damit ist der englische Titel wirklich perfekt, denn ein Stückchen vom Glück findet man dann ganz automatisch.

Dennoch muss ich zugegeben, dass es etwas anstrengend war, über die ersten 15 Minuten hinwegzukommen. Der Anfang war recht chaotisch gestaltet und wir bekommen in schnellen Sequenzen Eindrücke von Helens Leben präsentiert, ohne dass man die aber wirklich sortiert bekommt. Zumal Ehemann Mike (Aaron Roman Weiner) und späterer Ex so drüber wirkt, dass man sich sogleich fragt, liebe Helen, geht’s noch? Es ist nicht unbedingt der perfekte Start, nach dem man ihr als Hauptfigur ein Happy End wünscht. Aber wenn sich das Geschehen dann zum Wandertrip verlegt, dann wird es zusehends besser. Zwar ist die Wandergruppe auch voll von speziellen Charakteren, aber wo Komödien sonst auf diese Charaktere setzen, um immer einen Lacher parat zu haben, hatte ich den Eindruck, dass sich das Stereotype immer mehr aufgelöst hat und da wären wir eben bei der Magie, die die Nähe zur Natur auslösen kann. Die Figuren wachsen schnell zusammen und irgendwann sind gedrückte Sprüche dann auch ein Zeichen von Zuneigung. Nicht alle der Nebenfiguren haben gleich gut funktioniert. Mason (Esteban Benito) beispielsweise war zwar als Vorausläufer wichtig (denn wer kennt es nicht aus Wandergruppen, wenn einer unbedingt das Tempo machen muss, das aber keiner mithalten kann?), aber dass er dann doch nicht so beinhart war wie immer getan, hmm ja. Dass es Hugh (Nico Santos) überhaupt so weit bei der Wanderung geschafft hat, das ist die andere Überraschung. Santos war schon in "Superstore" für das Extreme da, das ist hier nicht anders, weswegen es mir auch nicht leid tat, als er schließlich ausgeschieden ist, denn ohne ihn war die Gruppe noch mehr an dem, was eigentlich ausgestrahlt wurde.

Ansonsten gab es aber nach und nach viel zum ins Herzen schließen. Ich bin auch überrascht, dass das mit Beckett (Ben Cook) geklappt hat, aber so streng er manchmal mit den Regeln wirkte, man hat immer deutlicher gemerkt, dass er eher ein Einzelgänger ist, der durch die Wandergruppen immer wieder Kontakte knüpft und miterlebt, wie extreme Verhältnisse und die Abhängigkeit von der Laune der Natur Bindungen knüpft, die mehr bedeuten. Zudem hatte Beckett einige Sprüche drauf, die echt herrlich waren. Letztlich war er auf seine seltsame Art und Weise aber auch ein guter Anführer, denn er wollte wirklich Homogenität stiften und er hätte niemanden zurückgelassen. Seine Strenge sollte nur dazu führen, dass eben gar nicht erst jemand in Gefahr gerät, zurückgelassen zu werden. Die anderen Figuren wie Windy (Shayvawn Webster), Sue (Julia Shiplett) und Kaylee (Gus Birney) waren dann die perfekten Charaktere, die sich leicht in eine Gruppe integrieren lassen und keine Unruhestifter sind, weswegen die Harmonie auch sofort geklappt hat. Auch wenn dann irgendwann Windy arglos von Luke schwärmt, die dadurch emotional angestoßene Helen zieht nicht erstmal ein Eifersuchtsdrama auf, stattdessen würde sie den beiden eher noch ihr Glück gönnen, als sich da kontraproduktiv einzumischen. In diese positiven Eindrücke hinein hat es auch geholfen, dass ich das Geschehen als sehr authentisch empfand. Als jemand, die als Kind eher widerwillig durch den Bayerischen Wald, Allgäu und die Eifel gestapft ist und erst mit zunehmendem Alter die Faszination des Wanderns erkannt hat, kam mir das ganze Geschehen sehr bekannt vor. Mal als Spatzwandern mit relativ unbedarften Erfahrungen gestartet, braucht es für ambitionierteres Wandern einfach eine gewisse Ausrüstung, weswegen ich Becketts ständige Hinweise wirklich nur bestätigen kann. Seien es der Umgang mit Blasen, sei es das richtige Anschnallen des Rucksacks, das war vertrautes Terrain, weswegen ich mich auch nochmal anders amüsieren konnte.

Aber es gibt natürlich auch eine Liebesgeschichte. Als Jake das erste Mal mit Helen in einer Szene gezeigt wird, ist schon klar, er ist in sie verschossen und das ganz schön lange. Er hat nur das Problem, dass er der beste Freund von Duncan ist und Duncan ist eben der nervige jüngere Bruder, ergo muss es der beste Freund wohl auch sein, oder? Da Helens Ansichten zu Männern durch ihre Ehemannauswahl mehr als fraglich ist, ist die Antwort eben bei ihr selbst zu suchen, weil sie das Leben so geprägt hat, dass sie glaubt, manche Dinge zu verdienen und zu brauchen. Das Spezielle zwischen ihr und Jake wurde nun dadurch erzeugt, dass wir als Zuschauer*innen wissen, dass er dem Trip nur wegen ihr zugesagt hat, offiziell aber eine ganz andere Version darlegt. Zudem behandelt er sie eben nicht wie seinen größten Schwärm, sondern er macht Scherze damit, sich ihren Namen nicht merken zu können und da zunächst niemand erfährt, dass sie sich kennen, kann er sie natürlich indirekt ganz ordentlich triezen. Ich habe gut verstanden, warum er diese Taktik gewählt hat, denn sie denkt eh schon nicht gut über ihn, aber alle um sie herum haben regelrecht von Jake geschwärmt, der mit allen in Gespräche kommen kann, der als Arzt immer auszuhelfen weiß und mehr und mehr wurde Helen so darauf aufmerksam gemacht, dass da was nicht stimmt. Dennoch war der erste Schritt aber, dass sie sich selbst wiederfindet und einige Erkenntnisse gewinnt. Am wichtigsten war da natürlich ihr Heldenmoment, denn während zunächst Helen diejenige war, die die Gruppe immer zurückzuhalten schien, musste eigentlich nur ein Schalter umgelegt werden. Helen weiß, was sie kann und was sie verdient, aber sie musste einfach nochmal erinnert werden, dass sie sich das auch wirklich nehmen kann. Ich fand es jedenfalls symbolisch sehr passend, dass sie und Jake sich erst danach wirklich öffnen konnten. Schade war letztlich nur, dass das Ende arg hastig abgeschlossen wurde. Auch weil Hugh dann gar keine Rolle mehr spielte, der immerhin als Erster wusste, wie Helen fühlt. Das Ende ist schön und macht glücklich, aber es hätte noch konsequenter gestaltet werden können.

Fazit

"Küssen und andere lebenswichtige Dinge" ist eingerahmt von einem schwachen Start und einem nicht ganz konsequenten Ende eine doch schön bodenständige RomCom geworden, die über die Verbindung zu Mutter Natur eine schöne Metapher hat. So wird gut unterstrichen, dass Selbstfindung der erste wichtige Schritt ist, andere lieben zu können. Und die Landschaftsaufnahmen sind eben auch der Knaller. Auf zum Appalachian Trail!

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Lena Donth - myFanbase
28.07.2023

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