Bewertung
Sean Durkin

Martha Marcy May Marlene

"How far are we?" - "From what?" - "From yesterday."

Foto: Copyright: 2012 Twentieth Century Fox Home Entertainment
© 2012 Twentieth Century Fox Home Entertainment

Inhalt

Martha (Elizabeth Olsen) gelingt die Flucht vor einem Kult und dessen charismatischem Anführer Patrick (John Hawkes). Im Ferienhaus ihrer älteren Schwester Lucy (Sarah Paulson) und deren Ehemann Ted (Hugh Dancy) versucht Martha, wieder ein normales Leben zu führen. Doch die Erinnerungen an die schreckliche Zeit dort und die Angst, von Mitgliedern der sektenähnlichen Kommune gefunden zu werden, suchen Martha heim und lassen bei ihr den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit verschwinden.

Kritik

Wenn jemand das Wort "Kommune" hört, so denkt er normalerweise zuerst an eine kauzige Hippie-Gemeinschaft, die zurückgezogen mitten in der schönsten Natur, die man sich vorstellen kann, nach ihren eigenen Regeln lebt. Doch manchmal verschwindet die Grenze zwischen einer Kommune (oder eines Kults) und einer gefährlichen Sekte, insbesondere dann, wenn deren Anführer durch eine geschickte Mischung aus Einschüchterung, Härte und gespielter Fürsorge seine Mitglieder in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis bringt, das sie unfähig macht, ihre eigenen Gedanken zu artikulieren. Mit dem Innenleben einer derartigen sektenähnlichen Kommune beschäftigt sich "Martha Marcy May Marlene", das beeindruckende Debüt von Regisseur und Drehbuchautor Sean Durkin.

Hierbei ist es ein großer Verdienst von Durkin und Darsteller John Hawkes, dass der Anführer Patrick eine nur schwer näher zu definierende Faszination ausstrahlt, die ihn glaubhaft als Verführer etabliert. Der Kontrast zwischen liebevollem Interesse an dem Leben des Anderen und die unerbittliche Härte bei allem, was der eigenen Anschauung widerspricht, wird bei Patrick besonders gut deutlich. Zudem darf bezweifelt werden, ob Patrick nur zufällig auch optisch an Charles Manson erinnert. So muss man sich einmal wieder fragen, ob es eigentlich die bewusste Entscheidung von John Hawkes ist, vornehmlich in Indie-Dramen zu glänzen. Denn er wäre sicherlich auch für Hauptrollen in großen Produktionen geeignet. Aber vielleicht ist es ja auch ganz gut so, denn nach seiner Rolle als Antagonist in "Winter's Bone", wo er erst durch seine Funktion als starker schauspielerischer Gegenpart einer gewissen Jennifer Lawrence zu Weltrum verhalf, ist seine Stellung in "Martha Marcy May Marlene" eine ganz ähnliche. Auch hier liefert eine junge Schauspielerin etwas ab, das man schlichtweg als herausragend und als Empfehlung für größere Aufgaben bezeichnen muss.

Elizabeth Olsen, die jüngere Schwester der berühmten Olsen-Schwestern Mary-Kate und Ashley, ist mit ihrer Leistung in "Martha Marcy May Marlene" das gelungen, was viele als karrierebestimmend bezeichnen würden. Ihr Schauspiel ist nicht weniger als eine Offenbarung und das Beste, was das Jahr 2012 in dieser Hinsicht bisher zu bieten hat - trotz durchaus namhafter Konkurrenz mit Tilda Swinton ("We Need to Talk About Kevin") oder Michelle Williams ("My Week with Marilyn"). Martha ist für ihre Schwester und ihren Schwager unergründlich, da sie nicht über ihre Erlebnisse und die zweijährige Abwesenheit reden möchte. Aber selbst für den Zuschauer, der anhand von Flashbacks einen Eindruck dessen erhält, was ihr in der Zeit im Kult geschehen ist, bleibt Martha geheimnisvoll.

Doch während Marthas Verhalten für Lucy und Ted insbesondere sehr seltsam wirkt, legt die Vielzahl an Emotionen, durch die sie geht, ein glaubwürdiges und insbesondere extrem eindrucksvolles Zeugnis darüber ab, wie sehr Patrick und die anderen in der Kommune ihr Sozialverhalten nachhaltig gestört haben - und welch eine großartige Karriere Elizabeth Olsen bevorsteht, die nicht umsonst aktuell eifrig für die interessantesten Filmprojekte (wie u.a. das "Oldboy"-US-Remake) gecastet wird. Es ist geradezu eine Frechheit, dass sie bei den diesjährigen Golden Globes und Oscars unberücksichtigt blieb und nicht einmal nominiert wurde. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden.

Obwohl Elizabeth Olsen das ist, an das sich alle erinnern werden, wenn sie an "Martha Marcy May Marlene" denken, so ist hier auch insbesondere die Inszenierung von Sean Durkin hervorzuheben. Durkin weiß, wie er die stete Unsicherheit, die Martha umgibt, auf den Zuschauer übertragen kann, und nimmt ihm aufgrund fehlender Hinweise nahezu jede Möglichkeit, zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen, zwischen denen gewechselt wird, sowie der Realität und der Traumvorstellungen von Martha, zu unterscheiden. So wird es zunehmend schwieriger, Wirklichkeit und Halluzinationen klar voneinander zu trennen. Dazu kommt, dass die Sichtweise Marthas die einer Frau ist, die in manchen Momenten schlicht derart unfähig ist, das aktuelle Geschehen zu verarbeiten, und dadurch zahlreiche Situationen falsch einschätzt und damit auch das Publikum mitreißt. Mit dem Ende des Films wird abermals dem Zuschauer der Boden unter den Füßen weggezogen.

Hier wird auch das alte Horrorfilm-Credo, dass immer das als furchteinflößender empfunden wird, was man nicht sieht, in Form von Marthas steter Angst, doch noch entdeckt zu werden, auf beeindruckende Art und Weise illustriert. Es ist wenig verwunderlich, dass jemand wie sie insbesondere jetzt die Sicherheit innerhalb der Familie sucht, nachdem ihre zwei Jahre lang als Ersatzfamilie fungierende Kult-Gemeinschaft sie mit Haut und Haaren fraß und eine junge Frau mit der Sozialkompetenz eines kleines Mädchens zurück ließ. Wie soll man auch ein Umfeld, in dem Sex-Orgien alltäglich waren, Frauen erst nach den Männern essen durften und Moral immer das war, was dem Anführer gerade in den Kram passt, auf eine halbwegs normale Umgebung übertragen?

Fazit

Die durch die starke Inszenierung erzeugte Spannung wird durch eine atemberaubend gute Hauptdarstellerin und einen abermals furchteinflößenden John Hawkes getragen. "Martha Marcy May Marlene" ist gleichermaßen die Geburtsstunde einer der talentiertesten Schauspielerinnen der vergangenen Jahre und die eines Regisseurs und Autors, auf den man in Zukunft achten sollte.

Andreas K. - myFanbase
03.11.2012

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