Review: #2.04 Ich bin Anne Frank (1)
Ein solches Jahrhundertverbrechen wie der Holocaust lässt sich selbst durch hunderte Bücher, Fotos und Filme kaum begreiflich machen, doch wenn es einen Namen gibt, der stellvertretend für all die vielen Millionen Juden steht, die während der Nazi-Herrschaft verfolgt, gequält und getötet wurden, und der als mahnendes Symbol dient, dann ist das Anne Frank. Das Tagebuch des jüdischen Mädchens aus Frankfurt, das sich mit ihrer Familie in Amsterdam vor den Nazis versteckte, aber schließlich doch in ein Konzentrationslager deportiert wurde und im Alter von 15 Jahren starb, ist eines der eindringlichsten Zeugnisse der damaligen Schrecken und leistet bis heute wichtige Aufklärungsarbeit.
Somit weiß auch in der Anstalt Briarcliff jeder etwas mit dem Namen Anne Frank anzufangen. Als eine neu eingelieferte Patientin behauptet, dieses bekannteste Holocaust-Opfer der Welt zu sein, kann und will ihr das natürlich niemand glauben. Doch an Plausibilität mangelt es ihrer Geschichte nicht und auch ihre schweren Vorwürfe gegen Dr. Arden passen zu den Eindrücken, die wir bisher von diesem Halbdämon in Weiß gewonnen haben.
Die neue Patientin
Ob ich glaube, dass sich die neue Patientin tatsächlich als Anne Frank entpuppt, die entgegen allen historischen Erkenntnissen das KZ überlebt hat und in die USA gekommen ist? Ich weiß es nicht. Ihre Geschichte klingt, wie gesagt, durchaus überzeugend, denn es gibt keine genauen Aufzeichnungen über Anne Franks Tod, da der Nationalsozialismus damals kurz vor dem Zusammenbruch stand, und wie viele Holocaust-Opfer wurde die junge Jüdin in einem anonymen Massengrab verscharrt. Auch die Argumente der Patientin, warum sie sich nicht zu Erkennen gegeben hat, nachdem das Tagebuch veröffentlicht wurde, kann man nachvollziehen. Trotzdem gibt es zu viele andere mögliche Erklärungen für die Identität bzw. das Verhalten der Patientin, um ihre Geschichte so einfach für bare Münze zu nehmen.
Aber selbst wenn die Patientin bezüglich ihrer eigenen Identität die Unwahrheit sagt, ob nun willentlich oder aufgrund einer psychischen Störung, können ihre Erzählungen über Dr. Arden natürlich trotzdem der Wahrheit entsprechen. Shelley würde auf Nachfragen sicher gerne bestätigen, dass Dr. Arden hervorragend in das Profil eines bestialischen Nazi-Arztes passt. Allem Anschein nach ist er gerade dabei, Shelley in eine der Kreaturen zu verwandeln, die er im Wald hält.
Dass sich Dr. Arden im KZ sehr für Zwillinge interessiert haben soll, erinnert wieder an Dr. Josef Mengele und dessen grausame Zwillingsforschung. Wenn es sich bei Dr. Arden nicht um Mengele handelt, dann doch vielleicht um einen früheren Mitarbeiter von diesem.
Grundsätzlich bin ich kein großer Fan davon, dass in amerikanischen Filmen und Serien immer wieder die Nazi-Thematik hervorgekramt wird, besonders, wenn die Handlung ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende spielt, aber in diesem Fall ist die Handlung zu einer Zeit angesiedelt, als es tatsächlich noch viele Überlebende des Zweiten Weltkriegs gab, flüchtige Kriegsverbrecher gejagt wurden und die Wunden noch ein Stück weit offener waren. Außerdem finde ich es gut, dass man für die Rolle der Patientin mit Franka Potente eine deutsche Schauspielerin gewählt hat. Somit steht auch nicht zu befürchten, dass wir grottenschlechtes Deutsch zu hören bekommen, wie in so vielen anderen US-Produktionen.
Aversionstherapie
Es fließt dabei kein Blut, es werden keine Körperteile abgetrennt und es stirbt niemand eines grausiges Todes, und doch ist die Aversionstherapie, die Dr. Thredson bei Lana durchführt, um diese von ihrer Homosexualität "zu heilen", absolut erschütternd. Es ist eine unglaublich intensive Szene, die uns eine Behandlungsmethode vor Augen führt, die selten zuvor, vielleicht noch nie, so deutlich im Fernsehen gezeigt wurde, aber früher tatsächlich sehr häufig zum Einsatz kam. Eine Behandlungsmethode, die unfassbar demütigend, verstörend und komplett absurd ist. Dass Dr. Thredson es - zumindest scheinbar - nur gut mit Lana meint und diese sich freiwillig auf die Therapie einlässt, um Briacliff verlassen zu können, macht die Sache sogar noch erschreckender, weil es zeigt, wie krank das ganze System ist, in dem sich die beiden befinden. Völlig gesunden Menschen wird vermittelt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt und sie sich behandeln lassen müssen, um durch diese so genannte Behandlung letztlich wirklich psychisch ruiniert zu werden.
Dr. Thredsons Einsatz für Lana erfüllt mich langsam mit Misstrauen. Er scheint ja bereit, viel zu riskieren, um sie aus Briarcliff herauszuholen. Wieso? Handelt er wirklich nur aus Anstand und der Überzeugung, dass sie es nicht verdient hat, an einem solchen Ort zu sein, oder steckt etwas anderes dahinter? Wenn man bedenkt, dass er auch versucht, Kit dazu zu bringen, sich und der Welt einzugestehen, Bloody Face zu sein, wäre es durchaus möglich, dass Thredson selbst der gefürchtete Frauenmörder ist und Lana sein nächstes Opfer werden soll. Mit jeder Sekunde, die ich darüber nachdenke, erscheint mir dies realistischer.
Verrückt oder nicht?
Kit beginnt langsam selbst zu glauben, dass er seine Frau und die anderen Opfer getötet hat. Bei seinem Zusammenbruch vor Schwester Jude wird seine ganze Verzweiflung deutlich, wobei natürlich auch Berechnung dahinter stecken könnte. Immerhin droht ihm und Grace die Zwangssterilisation (noch so ein grausames Prozedere, von dem man sich wünschen würde, es wäre nur Erfindung), das ist definitiv ein guter Grund, sich als reumütigen, verzweifelten Sünder, der auf Absolution hofft, zu geben.
Die Wahrheit über Grace
Grace hat die Morde, die ihr zur Last gelegt werden, tatsächlich begangen. Die liebenswert-undurchsichtige Grace ist eine Axtmörderin. Ihr Fall erinnert dabei sehr stark an einen realen, in den USA ausgesprochen bekannten Kriminalfall aus dem Jahr 1892. Damals war eine junge Frau namens Lizzie Borden die Hauptverdächtige in den Axtmorden an ihrem Vater und ihrer Stiefmutter - ganz genau wie Grace - wurde aber freigesprochen, obwohl alle Indizien gegen sie sprachen. Wie Lizzie Borden hat auch Grace noch eine (Stief-)Schwester. Wenn man zudem berücksichtigt, dass die Darstellerin der Grace den Namen Lizzy Brocheré trägt, muss man nicht mehr unbedingt an einen Zufall glauben.
Maret Hosemann - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: I Am Anne Frank (1)Erstausstrahlung (US): 07.11.2012
Erstausstrahlung (DE): 10.10.2013
Regie: Michael Uppendahl
Drehbuch: Jessica Sharzer
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