Tribes of Europa - Review Staffel 1

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Die Idee zur deutschen Serie "Tribes of Europa" entstand nach dem Referendum in Großbritannien, als die Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der Europäische Union stimmte. Showrunner Philip Koch hat dieses Ergebnis geschockt, aber gleichzeitig war es auch Initialzündung für die Vorstellung, was dafür sorgen könnte, dass Europa in einzelne Tribes zerfallen könnte und dass es statt Einigkeit nur noch Krieg gibt. Fast fünf Jahre später ist nun das Ergebnis dieser Idee mit "Tribes of Europa" bei Netflix erschienen. Ob das Referendum sich damals also doch gelohnt hat, zumindest als Ausgangspunkt einer guten Serie?

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Henriette Confurius, David Ali Rashed & Emilio Sakraya, Tribes of Europa
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In meinen Augen macht "Tribes of Europa" gleich zwei Fehler, die sich sehr früh herauskristallisieren. Das ist zum einen die Tatsache, dass die Serie bei zu vielen bekannten Produktionen abgeguckt hat, und das ist zum anderen, dass die Geschwister Liv (Henriette Confurius), Kiano (Emilio Sakraya) und Elja (David Ali Rashed), die das Herzstück der Serie bilden, schon nach der ersten Episode für die gesamte Staffel getrennt werden. Beide Kontraargumente könnte man aber auch zusammenführen, denn abgeguckt und Geschwister gleich zu Beginn getrennt führt uns schnell zum Fantasy-Epos "Game of Thrones", wo über viele Staffeln hinweg mitgefiebert wurde, dass die Stark-Geschwister sich mal wieder begegnen. Natürlich ist mir bewusst, dass die Trennung der Geschwister dabei hilft, dass die dargestellte Zukunftswelt viel breiter erkundet werden kann, aber die Dynamik untereinander war für mich nicht so erkundet worden, wie ich mir das gewünscht hätte. Gerade den Familienzusammenhalt, den Liv immer wieder beschwört, der besteht für mich nur auf dem Papier, richtig angekommen ist er emotional nicht. Deswegen verstehe ich bis jetzt noch nicht, warum Elja seine Leute einfach zurücklassen konnte. Nur weil seine verstorbene Mutter unbedingt Antworten zum Schwarzen Dezember wollte? Jedenfalls sollte argumentativ deutlich werden, warum die frühe Trennung der Geschwister kein Schachzug war, denn so hat die Orientierung innerhalb der Serie wegen enormer oberflächlicher Darstellung arg gelitten.

Kommen wir noch einmal zum Argument des Abguckens. Positiv könnte man es als Intertextualität bewerten, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass alles als Hommage gedacht war. Die Grundidee mag viele innovative Aspekte haben, aber das bleibt nicht hängen, stattdessen geht man im Kopf ständig durch: 'Woher kenne ich das nicht noch?' Spätestens wenn Liv bei einer großen Auswahl an Waffen zur Armbrust packt, war die Assoziation zu einer Katniss Everdeen nicht mehr zu leugnen. Die Welt der Crows erinnerte mich an zig Dystopien, in denen die Menschen in verschiedene Kategorien aufgeteilt sind und es immer die Gruppe der Exzentriker gibt. Als Beispiel sei hier die "Die Bestimmung"-Reihe zu nennen. Aber auch der mörderische Boj zur Unterhaltung des Volkes erinnert wieder an "Die Tribute von Panem". All das sind Entlehnungen aus eher düsteren Themenbereichen, da wirkt die Zusammenarbeit von Elja und dem deutlich älteren Moses (Oliver Masucci) stimmungstechnisch wie eine andere Welt. Die beiden haben eine besondere Dynamik und auch der Humor darf dank Moses' Wesen nicht zu kurz kommen. Aber auch diese Mentor-Mentée-Dynamik mitsamt Roadtrip ist nicht neu.

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Tribes of Europa
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Aufgrund dieser Aufzählungen ist zu erahnen, dass mein erster Eindruck sehr ernüchtert war. Dazu die oft typische hölzerne Art von deutschen Produktionen und ein Gedanke von Abbruch war geboren. Doch die Serie berappelt sich in der zweiten Staffelhälfte und man kann tatsächlich allen drei Perspektiven und damit allen drei Geschwistern etwas abgewinnen. Zwar sind einige logische Fehler nicht zu verbergen, aber es hat auch überraschende Wendungen gegeben. Gerade am Ende der ersten Staffel hat man sich als Zuschauer dann so ins Geschehen eingefunden, dass es wie eine eiskalte Dusche ist, dass es doch viel zu früh wieder vorbei war. Im Grunde war eine sechsteilige erste Staffel für diese komplexe Serienwelt auch viel zu wenig. Dementsprechend wäre eine ausbleibende Verlängerung um Staffel 2 ein herber Schlag.

Welches der Geschwister mich am meisten überzeugt hat, ist gar nicht einfach zu beantworten, was aber positiv ist, denn ich habe allen dreien bei ihren Abenteuern gerne beigewohnt. Am wenigsten gut kommt dennoch Elja weg, denn seine Abkehr von der Familie mutet bis zum Schluss fragwürdig an. Immerhin reflektiert er sein Verhalten zwischendurch. Dennoch merkt man ihm eine gewisse Naivität an, was es umso wichtiger macht, dass er jemanden wie Moses an der Seite hat. Dieser ist ein Betrüger durch und durch, aber Elja entfacht sein weiches Herz und die Mischung der beiden ist definitiv unterhaltsam. Unterhaltsam ist aber definitiv kein Ausdruck für Kianos Erlebnisse. Die Welt der Crows ist definitiv nichts für schwache Nerven und spätestens, wenn die Sexsklaven ins Spiel kommen, habe ich ein gewisses Unwohlsein verspürt. Mit Varvara (Melika Foroutan) versucht man einer der eigentlich widerlichsten Crows, eine greifbare Geschichte zu geben. Doch da ist noch genug Potenzial, denn in ihrem Verhalten ist sie zu widersprüchlich. Kiano ist da dringend benötigte Anker, denn sein unbändiger Stolz, sein Freiheitsdrang und sein Mut machen ihn zu einer Figur, der man dringend das Happy End wünscht. Liv wiederum ist eigentlich die typisch weibliche Figur, die man sich viel öfters wünschen würde, weil ihre Empathie, ihre Loyalität, ihre Raffinesse und ihr Kampfgeist eine unwiderstehliche Mischung darstellen. Manchmal wirkt sie nur zu gut, um wahr zu sein. Vielleicht wurde mit der idealen Frauenfigur also doch etwas übertrieben.

Foto: David Ali Rashed, Tribes of Europa - Copyright: Gordon Timpen
David Ali Rashed, Tribes of Europa
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Inhaltlich zeigt sich schnell, dass Eljas Geschichte zum Verständnis des Szenarios am wichtigsten ist. Er sucht nach Antworten und erhält nach und nach welche. Zudem ist er mit dem Cube unterwegs, der ohnehin das interessanteste Rätsel der Serie ist. Gerade das Ende aus seiner Sicht bietet so viele Möglichkeiten, dass wohl auch weiterhin hier das größte Potenzial vergraben ist. Die älteren Geschwister fungieren hier für die Darstellung von Überlebenskampf und um Gruppen wie die Crows und die Crimsons zu erklären, die sich erbittet entgegenstehen. Zur Lösung des Rätsels tragen sie aktiv aber nicht bei. Genau das würde ich mir für Staffel 2 anders wünschen. Ja, die Geschwister sollten keine acht Staffeln brauchen, um wiedervereint zu werden. Dann werden sie nicht mehr die sein, die sie waren, als sie sich zuletzt sahen, aber auch das dürfte sehr interessant in der Konfrontation werden.

Fazit

"Tribes of Europa" tut sich auf den ersten Blick sehr schwer. Eine interessante Idee kommt zunächst gar nicht zur Geltung, weil man sich als Zuschauer ständig an andere Produktionen erinnert fühlt, was aber gar nicht nötig gewesen wäre. In der zweiten Staffelhälfte zeigt sich bei der deutschen Serie nämlich, dass es geht, denn es werden drei sehr unterschiedliche Geschichten erzählt, die alle ihren Reiz entwickeln. Dennoch habe ich Verständnis, wenn bis dahin einige schon längst freiwillig ausgestiegen sind. Ich plädiere aber für eine zweite Chance, denn gerade eine mögliche zweite Staffel wird viele Möglichkeiten bieten.

Lena Donth - myFanbase

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