Deserteur & Belasco in Essen-Steele
Große Freude vermischte sich mit nicht wesentlich weniger Ungeduld, als ich vor einigen Wochen erfuhr, dass die wohl freundlichsten Menschen unter der Sonne den erneuten Weg über's Meer zu uns nach Deutschland antreten würden: Tim Brownlow, Bill Cartledge und Duff Battye kündigten sich an.
Mein erstes Konzert Belascos in glänzender Erinnerung habend, sah ich mich gezwungen, auch dem nun anstehenden beizuwohnen und wie aus einer Selbstverständlichkeit heraus stieg die Vorfreude mit jedem Augenblick. Der große Tag rückte immer näher und nachdem ich im Laufe der Woche diverse Klausuren hinter mich gebracht hatte, ging’s am Freitag Nachmittag zum Bahnhof in der Nachbarstadt. Ich war bereit! Es konnte losgehen!
Ging es aber nicht. Der Weg, der vor mir lag, wurde gleich zu Beginn mit fünfundzwanzig Minuten Verspätung angetreten. Was den Zeitplan nicht nur ein wenig aus dem Gleichgewicht brachte, sondern mich auch gleichermaßen aus dem Konzept, da ich in aller Eile natürlich die Wegbeschreibung des Austragungsortes zuhause auf dem Tisch hatte liegen lassen.
Unter freundlicher Mithilfe zweier Bahnmitarbeiter, eines jungen Mannes am Busbahnhof Essen-Steele, einer blonden Tankstellen-Angestellten sowie eines (direkt vor dem Grend stehenden) bereits ergrauten Taxifahrers kam ich gerade noch rechtzeitig ans Ziel, kramte hektisch in meiner Tasche nach der Karte (Die ich übrigens auch fast zuhause liegengelassen hätte.), zeigte sie, ließ mich mit einem "Ich Bin’s"-Schriftzug auf meiner rechten Hand versehen und hastete zu den Toiletten. Auf dem Weg dahin lief ich prompt Tim Brownlow zwar nicht in die Arme, schön wär’s gewesen, wohl aber in sein Blickfeld. Mit dem linken Bein angewinkelt an die Wand gelehnt wartete er. Ich hatte keine Zeit zu warten. Schließlich ging das Konzert bald los und im Gegensatz zu ihm musste ich mir noch einen guten Platz vor der Bühne sichern.
Was mir spielend gelingen sollte. Völlig zu Unrecht brach der ohnehin kleine Laden nicht aus allen Nähten und die überschaubare Menge Publikum hatte sich vorerst an der Theke versammelt. Die Tür ging auf, vier optisch nicht verkehrte junge Herren traten ein. Wen ich zunächst als Auch-Fans erachtete, stellte sich alsbald als Besetzung der Vorband heraus: Deserteur Populaire, eine Band, nach eigenen Angaben aus diversen Städten des Ruhrgebiets stammend, griffen um einundzwanzig Uhr pünktlich zu ihren Instrumenten und nahmen das Spiel auf.
Die Augen größtenteils (noch) nicht sehr emotionszeigefreudigen Menschen wurden Zeuge, wie sie ihre Songs spielten, deren Inhalte anfangs leider nicht allzu oft den Weg in meine Gehörgänge fanden: Zu laut die Instrumente, zu wenig konnte die Stimme des Sängers dagegenhalten. Was schade war, denn was sich im letzten Drittel des Auftrittes an Text durch die instrumentale Geräuschkulisse zu bahnen vermochte, konnte sich durchaus hören lassen. Die Gäste, denen sich der Sänger verpflichtet zu fühlen schien und sich mehrfach nach ihrem Wohlbefinden erkundigte, ließen es sich nur selten ansehen bzw. –hören, dass sie eigentlich doch ganz angetan waren von den Jungs, die da vorne auf der Bühne standen und anstatt es herauszuschreien, flüsterten sie es sich gegenseitig ins Ohr.
Nach einer knappen Stunde Spielzeit machten Deserteur Populaire Platz für Belasco. Mit einem Getränk in der Hand kehrte ich zurück auf mein inzwischen warm gestandenes Fleckchen Boden und brachte mich in Position. Während Sänger Tim noch den Klang der Boxen zu optimieren versuchte, rückten auch seine Bandkollegen nach und stimmten ihr Werkzeug. Und schon bald sollte es losgehen.
Dem aufmerksamen Beobachter war es nicht entgangen: Der Mann, der da am Bass auf der Bühne stand, war nicht Duff. Vielmehr handelte es sich, wie Sänger Tim einführend erklärte, um Jim, einen Freund der Band, der spontan für Duff eingesprungen war. Dieser war u.a. aufgrund einer gebrochenen Hand außer Gefecht gesetzt und in England geblieben. Im Vorfeld des Konzertes musste Jim innerhalb einer Woche dreizehn Lieder auswendig lernen, sonst wäre die Show ins Wasser gefallen. Jim hatte die Herausforderung nicht nur angenommen, sondern sie auch souverän gemeistert, was bei den Zuschauern mit Applaus und lächelnden Gesichtern anerkannt wurde. Ohne nennenswerte Vorfälle bewältigte er die besagten dreizehn angedachten Songs. Satte vier weitere wurden als Zugabe vorgetragen, welche nach dem regulären Programm beeindruckt gefordert wurde, und Jim hatte endlich Gelegenheit, sich nach getaner Arbeit zu entspannen.
Das kleine, aber inzwischen aufgetaute Publikum näher an die Bühne gelockt und selbiges mit dem energetischen "Joseph Conin" von der neuen Platte "61" gut eingestimmt, gingen Tim, Bill und Jim zu "Swallow" über, auf das ich live besonders gespannt gewesen war. Ebenso hart wie zart wurden die Leute durch den Song geleitet und unbeschadet bei "15 Seconds" und "Walk The Moon" abgesetzt.
Das nächste Lied auf der Setlist erinnerte Sänger Tim an den zuhause gebliebenen Duff, der "Butterflies" bereits in unserem Interview zu seinem Favoriten erklärt hatte. Der Song, der sich in seinem Verlauf mehr und mehr Raum schaffte und die anfängliche Leichtigkeit schnell abgelegt hatte, leitete ein Wechselspiel ein zwischen Laut und Leise, Wild und beinahe Weinerlich, jedoch im besten aller Sinne: An diesem Abend kommt der Facettenreichtum Belascos Songs bereits in der ihrer Zusammenstellung zum Tragen: "On A Wire" und "What If God" weichen einem bewegenden "Lawman", dem Tim Brownlow auf der Bühne gedankenverloren Leben einhaucht. Nach dem gut zuredenden "Hunter’s Song" und dem kraftvollen "The Earth" erwarten die Gäste drei Klassiker der Band, in deren Genuss ich bereits vor gut 1 1/2 Jahren in Köln (Konzertbericht) kommen durfte: "Something Between Us" (vom gleichnamigen Album) beginnt. Ähnlich wie zuvor "Butterflies" entfaltet sich der Song erst in seinen knapp vier Minuten vollkommen. Zur Ruhe kommen lassen Tim, Jim und Bill die Anwesenden nicht: Denn wenn der Lautstärkepegel sinkt, schlägt das Herz plötzlich umso lauter.
"Mask", das erneut vorletzte Lied, lässt es still werden im Saal. Und was zunächst nur an der Oberfläche berührt, geht mit jedem Wort tiefer unter die Haut.
In dem Moment, als Tim Brownlow das letzte Lied ankündigt, schiebt sich von rechts unten eine Konzertkarte vor sein Gesicht: Ein Konzertgast hat es eilig, muss sich vorzeitig verabschieden. Die Zeit, um seine Eintrittskarte signieren zu lassen, nimmt er sich trotzdem. Unter einem von Tim heraufbeschworenen und von unterstützenden Bandkollegen bekräftigten Applaus wird der erstaunte Mann von allen verabschiedet.
Dann: "Chloroform" wird angespielt: Wie beliebt der Song bei den Leuten ist, entgeht niemandem. Das Publikum, das mit sich machen lässt, was die Band will und ihnen vorgibt, nimmt jeden Ton und jeden Takt in sich auf: Tanzend, mit dem Fuß tippend, mitsingend.
Die Herren Brownlow, Cartledge und Jim, Nachname unbekannt, verließen unter Jubelsbekundungen die Bühne. Auf welcher sie allerdings nur wenig später wieder stehen sollten, denn die Zuschauer forderten: Mehr! Zunächst allein machte sich Tim auf den Weg zurück zu alter Wirkungsstätte, griff zur Akustischen und noch bevor er einen Akkord schlagen konnte, rief es aus der ersten Reihe "Roses"! Und Tim hat wie ihm befohlen.
Fasziniert davon, wie viel Emotion er aus dem Stehgreif in diesen Song zu legen vermochte, heftete ich meine Augen an seine Lippen. Inzwischen aus fünf Alben schöpfen könnend legte der Mann, der das Wort "Charme" zum wiederholten Male neu erfunden hatte, mit drei weiteren Stücken nach. Bevor Bill und Jim hinzu stießen und die drei mit "Finest Things" und "In The Garden" den Abend abrundeten und für jeden Einzelnen im Raum zu etwas Besonderem machte, ließen sie den seit bereits vier Jahren hoffnungslos weltverbesserischen "Man" gewähren und dieser machte jeden Schwarzmaler für zumindest vier Minuten zum Optimisten.
Gemäß meiner zugegebenermaßen hohen Erwartungen wurden selbige trotz meines nicht gespielten Lieblings "I Know" nicht enttäuscht. Im Gegenteil: Tim Brownlow, Bill Cartledge und Duff Battyes überaus sympathische Vertretung Jim schafften es einmal mehr, die anwesenden Gäste für einige Stunden zu ihrer Familie zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, jeder von ihnen sei willkommen und erwünscht. Gut aufgelegt unterhielten sie ihr Publikum on Stage mit kleinen Späßen und suchten auch hier schon das Gespräch. Diesmal zwar ohne Merchandise-Artikeln (Leider. In meiner inneren Euphorie hätte ich alles aufgekauft.), aber mit ganz viel Herzlichkeit nahmen sie sich hinterher Zeit zum Plaudern, tranken das eine oder andere Bierchen und verbreiteten gute Laune. Die drei Männer, die noch vor wenigen Minuten die Bühne rockten, signierten nun fleißig alles, was ihnen unter die Nase gehalten wurde und posierten in bester Stimmung für persönliche Fotos jeder Art.
Was bleibt ist die Erinnerung an ein beeindruckendes Konzerterlebnis und die Gewissheit, an diesem Abend genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein.
Setlist: Deserteur Populaire
Nicht bekannt.
Setlist: Belasco
Joseph Conin / Swallow / 15 Seconds / Walk The Moon / Butterflies / On A Wire / What If God / Lawman / Hunters Song / The Earth / Something Between Us / Mask / Chloroform / Roses / Man / Finest Things / In The Garden
Fotos: Aljana Pellny für myFanbase – Veröffentlichung nur mit vorheriger Genehmigung!
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Aljana Pellny - myFanbase
26.09.2007
Diskussion zu diesem Konzert
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Veröffentlichungsdatum (DE): 21.09.2007Aktuelle Kommentare
25.11.2025 19:51 von chili.vanilli
Malice: Malice
Hab die Serie jetzt beeendet und schon lange keinen so... mehr




28.11.2025 00:19 von Sonia
F.B.I.: F.B.I.
Es wird immer abstruser... Jetzt sehe ich, dass die FBI... mehr