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Taylor Swift

The Tortured Poets Department: The Anthology

In den zwei Monaten seit ihrer großen Ankündigung bei den Grammys 2024, dass am 19. April ein neues Album erscheinen würde, fragten sich nicht nur die eingefleischten Swifties: Wie wird die neue Platte von Taylor Swift wohl klingen? Und gibt es nicht vielleicht doch noch eine absolute Überraschung?

Foto: "The Tortured Poets Department" von Taylor Swift - Copyright: Universal Music
"The Tortured Poets Department" von Taylor Swift
© Universal Music

Da ist nun also, was viele Swifties schon für den Re-Release von "1989" (wer nicht weiß, was damit gemeint ist, lese bitte weiter, die Erklärung folgt) manifestiert haben: Ein Doppelalbum. Grund für Spekulationen gab es genug, zeigte Taylor Swift selbst nicht nur bei den Grammys häufig das Peace-Zeichen, sondern mannigfaltige Emojis und Wortspiele deuteten ebenfalls darauf hin, dass es nicht bei "The Tortured Poets Department" bleiben würde. So wurde es "The Tortured Poets Department: The Anthology". Doch wie klingen diese 31 neuen Songs?

Der erste Song und gleichzeitig die erste Single, "Fortnight" (feat. Post Malone), bleibt der Linie ihres letzten Albums "Midnights" treu. Ab ungefähr Mitte des ersten, ursprünglichen Teils macht "The Tortured Poets Department: The Anthology" aber musikalisch einen Knick und Taylor kehrt zu ihren Wurzeln zurück: Gitarrenmusik mit kraftvollen Popakzenten, dazwischen nur sie am Piano, wunderschön.

Aber zunächst der Reihe nach. Gleich die zweite Textzeile lautet "I was a functioning alcoholic" und ja, it gives "Anti-Hero". "Fortnight" (feat. Post Malone) als Single auszuwählen, zahlt in genau diesen Effekt des Hits rein: Ein ähnlicher Bop mit einem noch weniger radiotauglichen Text ("My husband is cheating, I wanna kill him"). Während sie in "Anti-Hero" ihre Essstörung anspricht, stellt sich hier die Frage, ob "Partygirl Taylor" uns etwas sagen möchte – oder eine Figur, die sie geschaffen hat. Denn "The Tortured Poets Department" scheint weniger eine gewisse Academia-Ästhetik aufzugreifen, als man im Vorfeld erwartet hatte. Mehr: Asylum, Nervenheilanstalt. Das düstere Musikvideo bestätigt das; was man schon mit einem Vorab-Videoteaser absehen konnte: Das "Lover"-Haus, das während der "Eras"-Tour auf der Bühnenleinwand erscheint, wurde abgebrannt. Der Weg aus diesem Haus führt in ein Krankenhaus, scheinbar für mental Ungesunde.

Dass Taylor darüber schreibt, betrogen worden zu sein, ist schon seit einigen Alben, eigentlich seit Anbeginn ihrer Beziehung mit ihrem Ex Joe Alwyn, ein wiederkehrendes Motiv. Was hier Fiktion und Realität ist, sei dahingestellt – die Schatten an Gerüchten und Theorien verfolgen sie. So spricht Taylor immer wieder das Thema Ehe an; laut der Klatschpresse sollen sie und Joe heimlich verheiratet gewesen sein. Eins ist klar: der Titeltrack "The Tortured Poets Department" ist zweifellos Joe gewidmet, immerhin führte er einen Gruppenchat mit demselben Namen. Der Song ist poppig und erinnert an frühere Songs der Künstlerin. Taylor wirkt deutlich cooler als am Boden zerstört ("You're not Dylan Thomas, I'm not Patti Smith, this ain't the Chelsea Hotel, we're modern idiots").

Einer der stärksten Songs des Albums ist "My Boy Only Breaks His Favorite Toys" mit Lorde-Beats und typischer Swift-Gesanglinie in der Bridge. "Down Bad" läuft auf einem leicht verlangsamten Melodieteppich von "Bejeweled" weiter und wagt bedeutend mehr als der Radiosong, in dem sie darüber singt, dass Diamanten scheinen müssen: "I might just die, it would make no difference". Zeilen, auf die man anhand der vielen Easter Eggs in den letzten Wochen gewartet hatte.

Nicht nur "Down Bad" referenziert das Thema Städte. Taylor schreibt viel über die Kleinstadt, aus der sie stammt (siehe auch der komplette Song "I Hate It Here" oder "Clara Bow": "No one in my small town thought I'd see the lights of Manhattan"), über New York, über London, über Orte, Gefängnisse, Käfige, Wohnungen. In diesem Sinne: "So Long London" ist wütend und das auf Synths und natürlich genauso wenig abstreitbar über den Engländer Joe wie der Titeltrack.

"But Daddy I Love Him" kommt wieder auf den "What a shame she's fucked in the head they say"-Ansatz von "Folklore" nebst passender Klänge zurück, es winkt aber auch "Reputation" von ganz nah. Denn der Song wird wütend ("People only raise you to cage you") und verlässt die "Folklore"-Anleihen mit starker Instrumentierung. Überhaupt, "Reputation", für viele ist Taylors neuester Streich eng verbunden mit dem Album, dessen Re-Release vermutlich als nächstes ansteht. Mit der Abrechnung dazu, wie man ihre Masteraufnahmen "stahl" (diese wurden ohne ihr Mitwissen und Einverständnis weiterverkauft) und sie deswegen ihre älteren Alben neu aufnehmen muss, um die Rechte dazu zu besitzen. "Reputation" selbst war ihr Comeback nach einer Zeit, in der sie die meistgehasste Person Amerikas war; als Kayne West einen guten Job gemacht hat, sie zu zerstören. Aber Taylor baute sich wieder auf.

Während sich "Fresh Out Of The Slammer" thematisch mit einer toxischen Beziehung beschäftigt und leichte Westernanklänge zeigt, ist "Florida!!!" (feat. Florence and the Machine) genau das, was man erwartet hat: Ein Song mit Florence and the Machine.

Es geht weiter mit der Dramatik: "Guilty as Sin? ", und noch viel mehr "Who Is Afraid Of Little Old Me?". Letzterer liefert mit voller Theatralik, Hinweisen auf "Reputation" und ja, der Verrückten, "Little Old Me" ("Is it a wonder I broke?") ab. Einfach nur traurig ist "Loml", wie eine Weiterführung von "You're Losing Me".

Und dann wäre da "I Can Do It With A Broken Heart", das passenderweise auf Spotify Liveszenen von der "Eras"-Tour zeigt, denn genau das beschreibt das Lied – mit zerschmettertem Herz so tun, als ob nichts wäre. Hier drängt der Pop durch den melancholischen Vorhang, um im Refrain durchgeknallte Rhythmen zu präsentieren.

"The Tortured Poets Department" zeigt, dass Taylor ihren Fans auf so vielen Ebenen Hinweisen gegeben hat. Das wissen diese nicht zuletzt durch den "Midnights"-Song "Mastermind", der in "The Alchemy" weiterlebt und gleichzeitig keine Fragen zu ihrer Power-Couple-Beziehung mit einem gewissen NFL-Spieler offenlässt.

"thanK you alMee" ist hingegen ein weiterer Hinweis darauf, wie wenig wertgeschätzt sie sich dafür in ihrer letzten Beziehung gefühlt hat, erneut mit jemand, der ihre Songs hasst (kennen wir ja schon von John Mayer) – und trotzdem sie als Trophäe besitzen wollte, wie das Lied "The Bolter" beweist. Eine Trophäe, die auch andere im Musikbusiness gerne besitzen. "imgonnagetyouback" ist ein Song in den Fahrwassern ihres Gassenhauers "Blank Space". Denn manchmal ist man eben gar nicht verrückt, sondern wird als Frau als solche geframet. Vielleicht ist man im Asylum, weil es das Patriachat ist. Oder um es mit "Cassandra" zu sagen: "So, they killed Cassandra first 'cause she feared the worst."

Als "Albatross" ist sie selbst da, um sich zu rächen, an den Männern, egal, ob als Feministin oder als Betrogene. Und mit "Peter" kehrt sie einmal mehr ins Niemandsland zurück. Ein weiterer Ort also, den Taylor gerne besingt. Und so passt "The Tortured Poets Department" perfekt in das mächtige Portfolio der Taylor Swift. Wir haben geweint, gelacht, geschrien, sogar ein wenig getanzt. Aber letzteres gerne das nächste Mal noch mehr.

Fazit

Laut Taylor ist mit Erscheinen des Albums ein gewisser Abschnitt ihres Lebens vorbei; der Prozess und die Phasen der Trauer durchgestanden. Insofern müssen die Aufnahmen für sie kathartisch gewesen sein. Hier und da hätte man aber kürzen können. Fans, die Banger suchen, werden sich mit etwas Länge konfrontiert fühlen – Fans, die sich aber genau in so einer Lebenssituation befinden, dankbar für den Soundtrack. "The Tortured Poets Department" ist eine Sammlung an Songs aus Taylors tiefstem Inneren, über eine toxische Beziehung mit Narzissmus, Gaslighting und Substanzen ("Chloe or Sam or Sophia or Marcus": "You needed me, but you needed drugs more") mit jemanden, der laut Taylor eine Gefängnisstrafe verdient. Wieviel Gefängnis für sie selbst die Zeit war, in der sie wegen der Skandale 2016 um ihre Person untertauchen musste und ein Jahr lang nicht gesehen wurde, zurückgezogen lebend in England, werden wir letztlich nie genau wissen. Und das macht die Schaffenskraft von Taylor so aus: Geschichten zu schreiben. Ihre eigenen; unseren.

Anspieltipps

  • Fortnight (feat. Post Malone)
  • The Tortured Poets Department
  • My Boy Only Breaks His Favorite Toys
  • Down Bad
  • Who Is Afraid Of Little Old Me
  • I Can Do It With A Broken Heart
  • imgonnagetyouback
  • So High School
  • Cassandra
  • The Manuscript

Tracks

1.Fortnightfeat. Post Malone
2.The Tortured Poets Department
3.My Boy Only Breaks His Favorite Toys
4.Down Bad
5.So Long London
6.But Daddy I Love Him
7.Fresh Out Of The Slammer
8.Florida!!!feat. Florence and the Machine
9.Guilty as Sin?
10.Who Is Afraid Of Little Old Me?
11.I Can Fix Him (No Really I Can)
12.Loml
13.I Can Do It With A Broken Heart
14.The smallest Man Who Ever Lived
15.The Alchemy
16.Clara Bow
17.The Black Dog
18.Imgonnagetyouback
19.The Albatross
20.Chloe or Sam or Sophia or Marcus
21.How Did It End?
22.So High School
23.I Hate It Here
24.thank you alMee
25.I Look in People's Windows
26.The Prophecy
27.Cassandra
28.Peter
29.The Bolter
30.Robin
31.The Manuscript

Simone Bauer - myFanbase
19.04.2024

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