Die griechische Tragödie in Bon Temps

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In der zweiten Staffel von "True Blood" sind es nicht mehr nur Vampire, die für Aufsehen sorgen. Kaum, dass die beiden Hauptcharaktere Sookie und Bill nach Dallas abgereist sind, wird ihre Heimatstadt Bon Temps von einer Mänade übernommen, die den kleinen Ort im Süden der USA zum Schauplatz einer griechischen Tragödie macht. Während jeder Mensch, sowohl unter den Protagonisten der Serie wie auch unter den Zuschauern, ziemlich genau weiß, was ein Vampir ist, sieht dies bei einer Mändade schon ganz anders aus. Was zum Teufel ist eine Mänade? Die vielen Elemente der griechischen Mythologie, die sich plötzlich in Bon Temps zeigen, verdienen definitiv eine kleine Aufarbeitung.

Dionysos und die Mänaden

Wein, Weib und Gesang, das sind die drei Hauptmerkmale von Dionysos, dem griechischen Gott des Weins, der Trauben, der Fruchtbarkeit, der Ekstase und der Verwandlung. Dionysos, auch unter dem lateinischen Namen Baccus bekannt, umgab sich der Sage nach mit Frauen, die er im wahrsten Sinne des Wortes rasend machte: die Mänaden. Sie umschwirrten den Gott in einem permanenten Rauschzustand, schrieen, sangen, tanzten, hatten Sex und zerrissen Tiere, um das rohe Fleisch zu verschlingen. In einigen Fällen zerfleischten sie auch Menschen, wie beispielsweise Orpheus, den berühmtesten Sänger der griechischen Mythologie. Genau diese Elemente zeigen sich nun plötzlich im amerikanischen Südstaatenkaff Bon Temps. Die Mänade Maryann versetzt die Einwohner des Ortes in einen Rausch, der einem Dionysos würdig wäre. Die Menschen lassen sich komplett gehen, tanzen unentwegt, haben überall Sex und stopfen hemmungslos Essen und Getränke in sich hinein. Sie sind so in dionysischer Ekstase, dass sie nicht einmal Schmerz aufhalten kann. In guter alter Mänaden-Tradition reißt Maryann nebenbei Menschen die Herzen raus und setzt sie den Leuten als Mahlzeit vor, wenn auch nicht roh. Während der großen Zeremonie, mit der Maryann den Gott Dionysos auf die Erde locken will, tragen viele der Einwohner Bon Temps traditionelle griechische Gewänder und Kränze.

Metamorphose

Dionysos wurde auch, wie bereits ausgeführt, als Gott der Verwandlung gepriesen. Er erschien den Mänaden häufig in der Gestalt eines Stiers. So verwendet auch die moderne Mänade Maryann bei ihren Riten einen Stierkopf und benennt Dionysos als den gehörnten Gott, was ihn in enge Verwandtschaft zum christlichen Satan rückt. Weiterhin benutzt Maryann Gestaltwandler für ihre Zwecke. Einer davon ist eine junge Frau namens Daphne Landry, die zumeist die Gestalt eines Schweins annimmt. Auch in der griechischen Mythologie gibt es eine Daphne, die ihre Gestalt verändert und in einer der bekanntesten Sagen mit dem Motiv der Metamorphose auftritt. Dieser Sage nach wurde Daphne, die Tochter eines Flussgottes, von dem verliebten Gott Apoll so hartnäckig verfolgt, dass sie sich in einen Lorbeerbaum verwandeln ließ, um ihm zu entkommen. Die Idee von Menschen, die die Gestalt von Schweinen annehmen, stammt ebenfalls aus der griechischen Mythologie. Die Gefährten des Helden Odysseus wurden von der Zauberin Kirke in Schweine verwandelt.

Schuld und Sühne

Um das Jahr 600 vor Christus herum wurde der Dionysoskult zur Staatsreligion Athens. Jedes Jahr fand zu Ehren des Weingottes ein mehrtägiges Fest, die Dionysien, statt, das aus rituellen Tänzen und Gesängen bestand. Aus diesen Riten entwickelte sich mit der Zeit die griechische Tragödie und damit einer der Grundsteine des Theaters. Das Hauptmotiv der griechischen Tragödie ist ein Protagonist, der ungewollt durch schicksalhafte Verstrickungen schwere Schuld auf sich lädt. Eben dieses Motiv findet sich auch in den Ereignissen, die rund um Maryann in Bon Temps stattfinden, vor allem durch den Charakter Benedict 'Eggs' Talley, der schuldlos zum Schuldigen wird. Immer wieder schlägt Maryann den ahnungslosen Eggs in ihren Bann und bringt ihn dazu, grauenvolle Morde zu begehen. Als Eggs bewusst wird, was er getan hat, zerbricht er daran. Er war nicht Herr seiner Sinne, als er die Bluttaten ausführte, aber dennoch haben seine Hände diese Leben beendet. So wie sich Ödipus, einer der berühmtesten Figuren der griechischen Tragödie, die Augen aussticht, als ihm klar wird, dass er unwissentlich seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet hat, will sich Egss der Polizei stellen. Jason missversteht Eggs Gestiken jedoch und erschießt ihn - das Ende einer griechischen Tragödie mitten in Louisiana.

Maret Hosemann - myFanbase