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2raumwohnung

Achtung fertig

Seit 13 Jahren gibt es sie, aktuell wird das neunte Album veröffentlicht und doch muss man 2raumwohnung manchen Leuten immer noch mit "die von '36 Grad'" erklären. Dabei waren fast alle ihre Platten in den Top10, "Besser geht’s nicht" ebenso ein Radiohit und auch die älteren Nummern "Sexy girl" und "2 von Millionen von Sternen" hört man im TV immer noch ständig. Nachdem "Lasso" weder an den Erfolg noch an das Hitpotential des Vorgängers anknüpfen konnte, melden Inga Humpe und Tommi Eckart sich nach vier Jahren Pause nun mit dem Ruf "Achtung fertig" zurück.

Foto: 2raumwohnung - "Achtung fertig" - Copyright: Vertigo Berlin
2raumwohnung - "Achtung fertig"
© Vertigo Berlin

Und sie beginnen zum ersten Mal ein Album mit einem Instrumental-Einspieler. Dem Hörer soll klar gemacht werden, was ihn erwartet: Viel Synthie, programmierte Song-Fundamente, Elektrospielereien, kaum akustische Instrumente. Dafür waren sie früher mal berühmt, da sind sie nun wieder angelangt. Das darauf folgende "Ich mag's genau so" zeigt dann, dass solche Musik nicht kalt und hart sondern menschlich und süß wirken kann. Warum? Weil Inga singt. Auch mit 57 gelebten Jahren hinter sich klingt sie wie ein junges, unschuldiges Mädchen. Ihr Gesang ist noch weicher und lieblicher als der von Nena und kann verruchter und charmanter sein als der von Annett Louisan. Trotz eines wunderbar dumpfen Staccato-Beats beherrscht die jüngere Schwester von Ich+Ich's Annette Humpe die Nummer und sorgt für einen der seltenen clubtauglichen Tracks, zu denen man irgendwie einen gefühlten Draht aufbaut. Ein ähnlich positiver Text wie "Besser geht's nicht" und "36 Grad" über Glück und Zufriedenheit tut sein Übriges dazu.

Die Ohrwurm-Single "Bei dir bin ich schön" - mit einem niedlichen Text über das Selbstbewusstsein-stärkende Verliebtsein - reduziert dagegen Drums und Bässe auf das Nötigste und ist damit ein Stück näher an Kalkbrenner oder Loreen ("Heal"). Und "Wunderbare Tage" und "Worte" sind so chillig-groovend, dass sie an Kosheen, Morcheeba und diverse Downtempo-Acts erinnern. Während "Worte" mit Zeilen wie "Sag mir Worte, die ich hören kann, wenn du nicht bei mir bist. Schick mir Blicke, die ich halten kann, falls du mich verlässt" noch von der unsicheren Sorge vor einer Trennung erzählt, ist diese in "Bye bye bye" schon geschehen. So pragmatisch wie die simple Wahrheit "Bye bye bye – ich werd dich vermissen. Bye bye bye – du wirst andere küssen" hier besungen wird, so klingt auch die Musik. All die Wiederholungen werden den Einen oder die Andere sicher nerven und P!nk-Fans werden sich stellenweise an ihr "Oh my god" erinnert fühlen.

Reminiszenzen an die Neue Deutsche Welle schaffen die zwei Veteranen in "Gut" und "Sie geht los". In ersterem Titel eher auf die punkige Art, in letzterem "klassisch" poppig-synthetisch. Der marschierende Beat passt zum Text über ökologische Wirtschaftsweise, der letztlich aber sehr dünn und oberflächlich bleibt. Ja, Inga und ihr sieben Jahre jüngerer Lebensgefährte sind keine Poeten, schreiben aber mit Herz und Charme. So auch in "Gut", wo die Sängerin sich aufgrund ihres Alters mit einer Kakerlake vergleicht, allerdings einer flotten, rosa Kakerlake.

Auf "Achtung fertig" sinnieren die seit 20 Jahren Liierten viel über die Hoch- und Tiefzeiten einer Beziehung und welchen Sinn man zum jeweiligen Zeitpunkt noch sieht – siehe "Freuqenzen": "Du, ich hab Angst / hab ich gesagt, obwohl ich wusste, dass du schläfst / Ich hab Angst, dass die Träume verschwinden / und ich nicht so werde, wie ich will / und dass ich ihn nicht finde, den Sinn des Lebens." Der Song bietet einen der eingängigsten Refrains der Scheibe. Schnell vergessen sind dagegen die Melodien von "Ein neues Gefühl" und dem poppigen "Was sagt das Universum".

Viel spannender ist da "Ich dich auch". Zu Gedanken über den Nutzen von Tapetenwechseln und der Aufhebung von Rollen in einer Beziehung wird ein unterkühlter Tocotronic-Beat eingesetzt. Dazu mit wummerndem Bass und knarzenden Drums ein großartiges Industrial-Ausklingen und verzerrte Stimmen – mehr 80er geht nicht. Schön, hier auch kurz Malakoff Kowalski zu hören, der 2005 als Jansen & Kowalski mit "Mamacita" eine lässige Nummer brachte. Durch verspielte Sounds kann man in "Wir waren fürchterlich" den besungenen Sonnenaufgang förmlich hören. Das Teil wirkt hypnotisch und ist deutlich in die Chillout/Lounge-Ecke einzuordnen. Auf "Achtung fertig" musizieren 2RMW zwischen Elektropop, NDW und Easy Listening und sind damit tanzbarer als Wir sind Helden, komplexer als Ich+Ich und cooler als Rosenstolz.

Fazit

2raumwohung waren in einer Lage, in die viele Künstler irgendwann kommen, und haben etwas geschafft, das nicht jeder packt: Sie machen das, in dem sie früher so gut waren, allerdings ohne nach Gestern oder nach Gewollt zu klingen. Weiterentwicklung, während man sich treu bleibt. Der Druck, der nach dem Erfolg mit "36 Grad" auf "Lasso" zu spüren war, ist weg und nun klingen zwei über 50jährige leichter als Mia und Juli mit ihrem Möchtegern-Elektropop. Leider nicht ohne Füllertrack, aber 2Raumwohung sind endlich wieder auf Spur. Aufmerksame Zuhörer können in all jener Mühelosigkeit tiefe Fragen zweier Menschen hören, die sich lieben, sich im Alltag der Jahre und der Veränderung der Welt aber immer wieder finden müssen. Sympathisch wie eh und je.

Anspieltipps

Ich mag's genau so

Ich dich auch

Sie geht los

Wir waren fürchterlich

Worte

Artistpage

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Tracks

1.Euphonia
2.Ich mag's genau so
3.Ein neues Gefühl
4.Bei dir bin ich schön
5.Bye bye bye
6.Ich dich auch
7.Sie geht los
8.Gut
9.Wir waren fürchterlich
10.Was sagt das Universum
11.Frequenzen
12.Wunderbare Tage
13.Worte

Micha S. - myFanbase
26.09.2013

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