Bewertung
Kate Bush

50 Words for Snow

Die ist schon eine Marke. Da hört man bis auf einen Beitrag zum Kinofilm "Der goldene Kompass" mal wieder jahrelang nichts von der Bush. Und nun veröffentlicht sie gleich zwei Alben in einem Jahr. Zuletzt tat sie dies 1978 in ihrem Debüt-Jahr – und da war sie gar nicht zufrieden mit der zweiten Platte. Sie fühlte sich von ihrem Label unter Druck gesetzt und hätte gerne viel mehr Zeit für die Produktion gehabt.

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Dem war dieses Jahr anders. Mittlerweile macht sie ja sowieso nur noch das, was sie will. Und genauso wie sie Lust hatte, altes Material neu aufzunehmen ("Director's Cut"), wollte sie gerne ein Weihnachtsalbum machen. Ob die Kritiker nun die sind, die Kates zehnte Veröffentlichung nun als zu hastig geschehen beurteilen, ist der Britin total egal. Für sie war es der richtige Zeitpunkt, für sie steckte in der Arbeit an "50 Words for Snow" unheimlich viel Herzblut und Leidenschaft. Und genau das hört man.

Was viele Fans an "Director's Cut" vermissten – nämlich ihre Experimentierfreudigkeit, mit der sie viele erst einmal vor den Kopf stößt -, kommt in den 65 Minuten dieses Albums nun an allen Ecken und Enden durch. Allein dass es bei einer solchen Spielzeit nur sieben Songs gibt, ist dafür ein großes äußerliches Indiz. Kein Titel dauert unter sechs Minuten (d.h. jeder ist länger als jedes Stück, das sie bisher herausgebracht hat), der längste läuft sogar über 13 Minuten. Viel Zeit für Frau Bush um die Lieder mit Einleitungen oder Klimaxen aufzubauen und durch ganz bewusste Instrumentierungen und Stimmenatmosphären zu schaffen. Vor allem an "Aerial", ihre letzte Platte mit vollkommen neuem Material, erinnert das, wobei "50 Words" noch diverse Schritte weitergeht.

Direkt der erste Titel "Snowflake" zeigt das: Kate wechselt sich hier mit ihrem 13-jährigen Sohn Bertie ab, um über den Weg einer Schneeflocke auf die Erde zu singen – ganz langsam eingespielt, sanft und hoch gesungen, spärlich mit Pianotupfern und zartem Bass instrumentiert. Das ist keine süße Hintergrundmusik für einen Weihnachtsfilm aus Hollywood, sondern will der Soundtrack für eine Winternacht sein, in der sich außer dem fallenden und wehenden Schnee nichts auf den Straßen bewegt. Genau in einem solchen Szenario mag das passen und in eine Winterstimmung einstimmen, wirkliche Musik zum Nebenbei- oder in Gesellschaft-Hören ist das aber nicht. Das darauf folgende "Lake Tahoe" ist mit noch langsamerem Tempo, dem hohen Gesang der Klassiktenöre Stefan Roberts und Michael Wood und der ihren Hund namens Snowflake rufenden Kate Bush noch gewöhnungsbedürftiger.

Durch seinen leicht angejazzten Sound und behutsame Streicher-Parts bietet "Misty", ein Lied über einen liebenden, aber schmelzenden Schneemann (ja, genau, der vom Coverbild, zu dem es übrigens auch 'nen kleinen Animationsfilm gibt), schon ein wenig mehr, an dem sich der Hörer festhalten kann. Ganze 34 Minuten braucht die Platte aber bis mit "Wild Man" ein Titel kommt, den man als "eingängig" beschreiben könnte. Daher ist er auch die erste und einzige (digitale) Singleauskopplung. Hier erinnert die 53-jährige Künstlerin genauso wie zwei Stücke später im Titeltrack tatsächlich an ihre Vor-"Aerial"-Zeit, also die der 80er und 90er, an die Zeiten mit Peter Gabriel und die als sie noch poppiger daher kam. Easy Listening oder ein Ohrwurm ist das natürlich auch nicht, dazu sind Kates Sprechgesang (über den Yeti) und Andy Fairweather Low quietschige Vocals im Refrain zu eigentümlich und exzentrisch.

In "Snowed in at Wheeler Street" überrascht Elton Johns Stimme – eine Kollaboration, die man nicht erwartet hätte und dennoch vollkommen logisch wirkt. Beides sind große (britische) Sänger und Songschreiber, beide halten sich im erwachsenen Pop ungern an Berechenbares und Vorhersehbarkeiten und beide haben die Fähigkeit, einen anspruchsvollen Text (hier über zwei Liebende, die sich an verschiedenen Orten immer wieder treffen und durch die Zeiten immer wieder verlieren) mit Ernst und Gefühl, aber ohne Bombast und Schmalz zu interpretieren.

"Among Angels" ist ein weiteres Feature, nämlich ein Duett zwischen Kate und ihrem Piano. Mehr nicht. Somit schließt das Konzeptalbum wieder im sinnlich-reinen und sphärischen Stil der ersten halben Stunde mit noch einer märchenhaften, tiefe Wahrheiten enthaltenden Geschichte über die Liebe und deren Wert und Vergänglichkeit. Klanggeschichten über Schneeflocken und -männer oder den Yeti und die Eskimo-Wörter für Schnee kann auch nur die Bush mit einer solchen berührende Poesie und Tiefgang schreiben und einsingen.

Fazit

Das ist eben Kate Bush. Diese Marke. Das ist ihre Musik, ihre Kunst, ihre Gesinnung. Das ist, was sie liebt. Und was sie kann – denn: Ja, das Ganze ist gut gemacht, leidet rein gar nicht unter gehetzter Produktion, im Gegenteil: hat Sinn und Bedeutung und auch Gefühl und Atmosphäre, ist allerdings keine leichte Kost und vermag zu irritieren. Somit kann ich ähnlich wie vor einem halben Jahr sagen: Jeder Hörer muss für sich selbst entscheiden, ob er diese Kate so annehmen kann, wann er sie hören mag und inwieweit er in sie hineinhorcht.

Anspieltipps

Snowflake

Wild Man

Snowed in at Wheeler Street

50 Words for Snow

Artistpage

KateBush.com

Tracks

1.Snowflakefeaturing Albert McIntosh
2.Lake Tahoe
3.Misty
4.Wild Manfeaturing Andy Fairweather Low
5.Snowed in at Wheeler Streetfeaturing Elton John
6.50 Words for Snowfeaturing Stephen Fry
7.Among Angels

Micha S. - myFanbase
14.12.2011

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