Bewertung
Julia Marcell

It Might Like You

Regina Spektor muss sich warm anziehen. Denn das Talent der Singer/Songwriterin Julia Marcell spricht sich langsam aber sicher herum. Nachdem wir euch die junge Polin Anfang des Jahres noch als Geheimtipp in unserem Soundcheck vorstellten, könnte die offizielle Veröffentlichung ihres Debütalbums "It Might Like You" in Deutschland, Österreich und der Schweiz ihr nun endlich die Aufmerksamkeit bescheren, die sie schon lange verdient hat. Und Frau Спектор vom Thron des quirligen Piano-Pop stoßen.

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Der polnische Putsch gegen die musikalische Vormachtstellung der verschrobenen US-Russin beginnt mit einem Intro, das den herrlich unpolierten und organischen Sound des Albums kaum besser verlautbaren könnte. Denn in "Put Your Headphones On" bahnt sich Julia Marcell gedankenverloren summend und mit scharrenden Schritten den Weg zum Piano, während im Hintergrund getuschelt wird und ein klingelndes Handy freudig den Empfang einer SMS verkündet. Solche Geräusch-Relikte der Studio-Aufnahmen treten immer mal wieder an die Oberfläche der erdig produzierten Songs und verleihen dem Album somit nicht nur sehr viel Atmosphäre, sondern vor allem auch die in der heutigen Popmusik oft so schmerzlich vermisste Authentizität.

In "Outer Space" kommen dann auch gleich die nächsten höchst charakteristischen Züge der Platte zur Geltung. Denn hier türmen und überschlagen sich förmlich die einnehmenden Piano-Melodien und sorgen, untermalt von ausgeklügelter Streicheruntermalung, für eine wundervolle Dynamik, die Julia Marcell durch ihren sehr verspielten Gesang sogar noch verstärkt. So trägt sie die scharfsinnigen Zeilen "the little lights in life, they're meant to show you where to go, but if you turn them up too bright, they'll blind you" gegen Ende des Songs mit so herrlich animierter, wenn auch gedämpfter, ja gar flüsternder Stimme vor, dass man sich direkt an die Zeit erinnert fühlt, als einem vor dem Schlafengehen noch Märchen vorgelesen wurden.

In "The Story" singt Julia Marcell einem dann auch tatsächlich eine Geschichte vor, nämlich "the story of a man sentenced to grief" nachdem seine Frau zum Tode verurteilt wurde und ihm zum ersten Mal so richtig bewusst wird, wie sehr er sie liebt. Gezupfte und vibrierende Streicher werden hier dramat(urg)isch äußerst gelungen eingesetzt und steuern ungewohnt zielstrebig auf das große, von Klavier und anschwellendem Gesang getragene, Finale zu.

Der folgende Song wird von einer kleinen Deutschstunde unter Bandkollegen eingeleitet, in der Julia Marcell die so überlebenswichtige Floskel "Ich liebe dich" lernt und mit unwiderstehlichem Akzent nachspricht. "Married to Life" greift diese verliebte Stimmung sogleich auf und beginnt mit entsprechend schwelgerischen Streichern und melancholischem Klavier sowie selig-verträumtem Seufzer. Doch dieser anfängliche Eindruck einer schmachtenden Ballade schwindet recht schnell, entpuppt sich der Song spätestens mit dem Geständnis "I think I'm in love with death" nämlich vielmehr als traurige Abrechnung mit dem scheinbar ach so perfekten Familienleben.

"Billy Elliot" hingegen handelt von dem kleinen Jungen mit großen Augen und dünnen Armen ganz nah an Julia Marcells Singer/Songwriter-Herz, der wie ein kleines Teufelchen auf sie einredet und von allem abhält, das nichts mit Musik zu tun hat. Mit unheimlich bildhaften und geistreichen Lyrics sowie Backgroundgesang, der ganz wunderbare Akzente setzt, schildert die junge Polin auf absolut hinreißende Art und Weise, wie jegliche Versuche, den Billy in ihr zum Schweigen zu bringen, gnadenlos scheitern, weil sich der vorlaute Kerl jedes Mal einfach die Ohren zuhält und "la la la" vor sich hin trällert. Wer da nicht unweigerlich schmunzeln muss, hat schlicht und ergreifend kein Herz. Denn an Charme und Liebenswürdigkeit überbietet der Song sogar den gleichnamigen Feelgood-Film von Stephen Daldry.

Nicht minder charmant kommt "Dancer" daher – ein Song, in dem Madame Marcell von ihrem imaginären früheren Leben als Tänzerin in einem Cabaret erzählt und dabei natürlich auch ihre zahlreichen Verehrer nicht vergisst zu erwähnen. Dabei tanzen ihre flinken Hände grazil übers Klavier und ein Paar Schuhe geben buchstäblich den Takt an. Und wieder muss man als Hörer breit grinsen, wenn sie auf die Avancen eines Künstlers, der sie unbedingt malen möchte, erst mit herrlich gezierter Bescheidenheit reagiert ("No! No... no way..."), nur um anschließend doch liebend gerne für ihn zu posieren ("Well...okay."). Zwar führt die Beziehung zu "my Henri" doch wieder nur zu bitteren Tränen und gebrochenem Herzen, aber selbst auf eine so düstere Erkenntnis wie "we are all prostitutes anyway" folgt am Ende noch quietschfideles Klavierspiel. Denn eines bleibt der jungen Tänzerin schließlich immer: die Kunst. ("I'll always have my art!")

Der Strom an pfiffigen Songideen reißt auch im raffinierten "Side Effects of Growing Up" noch nicht ab. Hier dient nämlich anstatt Tanzschuhen ein Klatschspiel zwischen zwei Bandkolleginnen als Percussion-Ersatz, das nicht nur zum Mitklatschen und -singen anregt, sondern insbesondere dem weiblichen Geschlecht auch ganz viel Identifikationspotential bietet. Schließlich kommt jede heranwachsende Frau doch irgendwann zu der deprimierenden Erkenntnis "Nothing shows up magically, no princes, no white horses".

Der Rest des Albums erscheint im Vergleich zu diesem überaus lebendigen Ohrwurm wieder etwas melancholischer. So besticht "Words Won't Save You" wieder durch ganz viel dramatische Spannung und großartige Lyrics ("My eyes, they dried out long ago from always wanting more than I could ever have"), während "Carousel" mit seinem treibenden Walzertakt und perlendem Klavier- und Glockenspiel tatsächlich etwas an eine Karussellfahrt erinnert und das fragile "Fear of Flying" sich als wunderschöne Metapher für die Angst, die eigenen Träume zu verwirklichen, offenbart.

Erst zum Schluss wird es in "Night of the Living Dead" und dem Bonustrack "Sixteen, Ten Years Later" wieder um einiges beschwingter, denn hier rücken sogar die bislang sehr zurückhaltenden Bläser und Drums mehr in den Vordergrund. Im Endeffekt zählt auf "It Might Like You" aber nie das Temperament der Songs selbst, sondern vielmehr die Leidenschaft, mit der Julia Marcell sie interpretiert. Und woher diese kommt, erklärt sie selbst so eloquent mit den Worten "Passion is something that likes to be conquered. Just like love, like life".

Fazit

Julia Marcells Debüt bietet erfrischenden Piano-Pop, der trotz seiner sehr reduzierten Instrumentierung niemals eintönig wird, sondern vielmehr voller liebevoll gestalteter Details und Überraschungen steckt, die einem ein Lächeln nach dem anderen ins Gesicht zaubern. Ergo: Anhören! You might like it.

Anspieltipps

Billy Elliott

Dancer

Side Effects of Growing Up

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JuliaMarcell.com

MySpace-Profil

Tracks

1.Put Your Headphones On
2.Outer Space
3.The Story
4.Married To Life
5.Billy Elliot
6.Dancer
7.Side Effects Of Growing Up
8.Words Won't Save You
9.Carousel
10.Fear Of Flying
11.Night Of The Living Dead
12.Sixteen, Ten Years Later(Bonustrack)

Paulina Banaszek - myFanbase
25.06.2009

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