Bewertung
Wanuri Kahiu

Look Both Ways

Foto: David Corenswet & Lili Reinhart, Look Both Ways - Copyright: 2022 Netflix, Inc.; Felicia Graham/Netflix
David Corenswet & Lili Reinhart, Look Both Ways
© 2022 Netflix, Inc.; Felicia Graham/Netflix

Inhalt

Am Abend ihres Collegeabschlusses macht Natalie (Lili Reinhart) einen Schwangerschaftstest und von dort aus entstehen zwei verschiedene Parallelversionen ihres Lebens. In der ersten Version ist es für Natalie nur eine Magenverstimmung und sie kann ihren Traum verfolgen, nach L.A. zu ziehen und sich dort als Zeichnerin für Animationsfilme zu etablieren. In der zweiten Version wird sie jung Mutter und muss sich mit dem Kindsvater Gabe (Danny Ramirez) arrangieren, der eigentlich ihr bester Freund war und für den sie doch plötzlich mehr empfindet, was ihr aber Angst bereitet. Zudem trauert sie ihrer verpassten beruflichen Chance nach. Doch beide Versionen zeigen, dass das Leben egal in welcher Realität, Auf und Abs bereit hält.

Kritik

Die "Was wäre, wenn…?"-Frage, die hat sich wohl jeder schon mal im Leben gestellt und das möglicherweise aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aber es ist durchaus ein faszinierender Gedanke, wie ein einziger kleiner Moment das Leben völlig auf den Kopf stellen kann und was wäre eben, wenn dieser Moment nie eingetreten wäre? Dieses Thema ist in fiktionalen Welten schon oft aufgegriffen worden. Welche langlebige Serie hat eigentlich nicht eine Episode diesem Thema gewidmet? Daran merkt man deutlich, dass die Frage die Menschheit bewegt. Ich war vor allem auch sehr gespannt darauf, wie der neue Netflix-Streich "Look Both Ways" dieses Thema angehen würde, denn wird eine Perspektive favorisiert? Wird eine Perspektive letztlich aufgelöst, die die 'Richtige' ist und was ist die Botschaft bei all dem? Erfahrt nachfolgend, was ich aus dem Film mitnehmen konnte.

Was mir an "Look Both Ways" besonders gut gefallen hat, das ist, dass der Film doch eine ernstere Erzählweise eingeschlagen hat. Es gab natürlich auch leichtere Momente, wo z. B. Nats Eltern Tina (Andrea Savage) und Rick (Luke Wilson) von der Schwangerschaft erfahren, da war richtig was los. Das war fast schon wieder zu übertrieben, aber das waren so Ansätze, die mal für eine Auflockerung gesorgt haben, während der Rest deutlich nüchterner gestaltet war und das hat hier eben unterstützt, dass diese Ko-Existenz der beiden Lebensversionen nicht ins Lächerliche gezogen wurde, sondern dass dem Thema eine Wichtigkeit zugewiesen wurde, die sicherlich nicht falsch ist. Natürlich hätte man es auch komplett in einer Komödie verpacken können, aber diese Gesamtkomposition hat mir gut gefallen, auch weil ich oft nachdenklich wurde und das ist eh nie verkehrt. Ich fand auch, dass der Film einen hohen Ästhetikanspruch hatte. Für die verschiedenen Realitäten ist zwar nicht optisch auf etwas Herausstechendes für die Unterscheidung zugegriffen worden, aber es wurden immer wieder andere Wege gesucht, um den Übergang zu erleichtern. Da es zudem eben auch nur zwei Perspektiven gibt, war immer deutlich angezeigt, dass es nun einen Wechsel gibt. Natürlich wurden bei den Figuren auch auf kleine Unterschiede gesetzt; Anker war vor allem Nat, die als junge Mutter kurze Haare und in L.A. lebend lange Haare hat. Aber es waren eben auch die Animationen, die einzelne Stationen darstellten und die natürlich sehr gut zu Nats Ambitionen als Künstlerin passten. Gleichzeitig war es auch super, wie die beiden Welten sich auch einen Bildschirm teilten, denn dadurch wurde visuell gut unterstrichen, dass es wirklich immer parallel ist und dass sich trotz völlig unterschiedlicher Lebensentwicklung dennoch die Wege immer noch kreuzen.

Reinhart hat für mich den Film sehr gut getragen. Für sie wird es sicherlich ein Geschenk sein, wenn im nächsten Jahr "Riverdale" zu Ende geht, denn dort verkauft sie sich zunehmend unter Wert. Sie hat die besonnene und stets strategisch ins Voraus denkende Nat wirklich warmherzig und nahbar dargestellt. Man konnte in beiden Perspektiven wirklich gut ihre Gefühle nachvollziehen, selbst wenn sie sie auch nicht immer verbal geäußert hat. Zudem fand ich es auch gut, dass man in beiden Versionen eine Nat erlebt hat. Sie war jetzt nicht einmal eine verhärmte Hausfrau und in der anderen das wilde Partygirl, sie war stets sie selbst, die eben andere Lebensentscheidungen zu bewältigen hatte. Diese Konsequenz in der Darstellung war wirklich gut gelungen. Dementsprechend kamen schließlich auch die ganzen Kreuzungen zusammen, denn uns sollte hier nicht verkauft werden, dass eine einzige Lebenssituation einen zu einem völlig anderen Menschen machen kann. Stattdessen ging es durchaus um charakterliche Beständigkeit, weil Nats Leben klar in Werten fußt. Zudem war die Botschaft des Films eben ganz deutlich, was sich bereits in der Synopsis des Films andeutet, dass wir die Highlights unseres Lebens immer im Paket mit Rückschlägen eingehen, denn niemandes Leben ist perfekt und wird es auch niemals sein. So verlockend manche Abzweigungen erscheinen mögen, sie garantieren nicht den Sieg auf ganzer Linie. Deswegen war es symbolisch gut gewählt, dass beide Nats schließlich zum selben Zeitpunkt bei dem Festival auftreten, um dort einen Teil ihrer Kunst mit Publikum zu teilen. Während man zunächst gedacht hätte, dass die sich in L.A. verwirklichende Nat viel eher berufliche Erfolge vorweisen würde, hat sich bei ihr tatsächlich viel verzögert, weil sie sich in ihrer Leidenschaft für Animationen mehr nach anderen gerichtet hat. Die junge Mutter Nat wiederum hat mit dem Zeichnen zunächst aufgehört, um dann durch ihr Baby ihre Inspiration für die Nachteule zu finden, so dass sie ohne große Anstrengung ihre ganz eigene Stimme finden konnte. In dem Fall ging es also ganz klar nicht darum, was besser oder schlechter ist und dementsprechend blieb es auch bis zum Schluss bei beiden Perspektiven, denn im Grunde hat jede*r von uns zig Parallelversionen von sich, doch keine davon ist besser oder schlechter, denn stets sind wir auf unserer Reise zu uns selbst.

Als Fan von Liebesgeschichten bin ich vielleicht etwas zu romantisch an den Film herangegangen, denn ich hätte mir vorgestellt, dass Nat in beiden Versionen mit demselben Mann an ihrer Seite endet. Doch dem ist nicht so. Hier war ich wahrscheinlich zu sehr bei bestimmt füreinander gefangen und ja, vielleicht wäre es auch zu kitschig geworden. Letztlich ist ihr Weg, einmal bei Gabe und einmal bei Jake (David Corenswet) zu landen, auch ein weiteres Argument für ihre Charakterbeständigkeit, denn wenn sie sich einmal verliebt, dann ist ihr Herz vergeben. Zudem fand ich auch beide Geschichten für sich individuell besser gemacht, wobei mir die kleine Familiengeschichte einen Ticken besser gefallen hat, weil sie mir realistischer erschien. Bei Jake war etwas schade, dass sie eine abweisende Haltung, als er einmal mit dem Dokumentationsteam unterwegs war, sich nicht so wirklich erklären wollte. Er hat am Ende mit seiner Brandrede zwar wieder das Ruder rumgerissen, aber hier hatte ich mehr den Eindruck, dass etwas Drama eingestreut werden musste, während die Entfremdung von Nat und Gabe aufgrund ihrer Ängste logischer erschien. Ich fand aber auch so kleinere Sequenzen wirklich sehr gut gemacht, denn als Nat schwanger in ihr Elternhaus zurückkehrt, ist es vor allem ihre Mutter Tina, die ihr mit jeder Geste bewusst macht, dass sie es sich nur ja nicht bequem machen soll. Natürlich verlieben die Großeltern sich letztlich Hals über Kopf in Baby Rosie. Aber in der anderen Version kehrt die vermeintlich beruflich gescheiterte Nat nach Hause zurück und wird dort begeistert von ihren Eltern empfangen, weil sie zu lange weg war. Hier haben die Perspektiven wirklich immer wieder intelligent und gut ineinander gespielt.

Fazit

Mir fiel es schwer, vorher eine konkrete Idee zu "Look Both Ways" zu entwickeln, da so ein Film zur "Was wäre, wenn…?"-Frage völlig unterschiedlich hätte gestaltet werden können. Mit dem Endergebnis bin ich aber sehr zufrieden, denn Reinhart trägt den Film in einer sympathischen Rolle, die in beiden Versionen sich als Person sehr treu ist und die auf unterschiedliche Art und Weise ihren Weg findet. Der Film hatte auch gute Botschaften und manches Mal war es auch clever, nicht den Weg zu gehen, den man vielleicht intuitiv vermutet hätte. So entsteht noch eine sehr individuelle Note.

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Lena Donth - myFanbase
19.08.2022

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