Bewertung
Nicolas Winding Refn

Drive

"You give me a time and a place, I give you a five-minute window. Anything happens in that five minutes and I'm yours, no matter what. Anything happens in either side of that, then you are on your own. Do you understand?"

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Inhalt

Der namenlose Fahrer (Ryan Gosling) arbeitet als Stuntfahrer in Hollywood, als Mechaniker und betätigt sich nebenher noch als Fluchtfahrer. Sein Manager Shannon (Bryan Cranston) verhilft ihm hierbei zu den lukrativen Jobs. Als er seine neue Nachbarin, die alleinerziehende Mutter Irene (Carey Mulligan), kennenlernt, verliebt er sich in sie. Ihr Mann Standard (Oscar Isaac) wird kurze Zeit später aus dem Gefängnis entlassen und bringt seine Probleme von dort mit zu Irene. Der Fahrer willigt ein, Standard zu helfen, indem er für einen letzten Raub den Fluchtwagen steuert, doch der Überfall geht schief, Standard wird getötet und sowohl der Fahrer als auch Irene müssen fortan um ihr Leben fürchten.

Kritik

Im Oktober fand eine Klage aus den USA ihren Weg ins Internet. Sarah Deming aus Michigan verklagte den US-Verleih FilmDistrict. Der Grund? Sie war kurz zuvor im Kino und hatte sich "Drive", das US-Debüt des Belgiers Nicolas Winding Refn ("Valhalla Rising", "Bronson"), angesehen. Was sich dort bot, hatte sie verwirrt und sogar regelrecht verärgert. Der Trailer habe laut ihrer Ansicht auf einen Auto-Actionkracher à la "The Fast and the Furious" hingedeutet, was sie letzten Endes aber bekam war ein Film, der den Konventionen des Genres derart widersprach, dass sie sich schlicht veräppelt fühlte, so ganz ohne halsbrecherische Stunts und eine Verfolgungsjagd nach der anderen. Ach ja, und antisemitisch sei der Film auch.

Leider ist noch nicht bekannt, ob Deming mit ihrem Unterfangen Erfolg hatte, aber wenigstens ist das US-Justizsystem um eine skurrile Klage reicher. Zudem zeigt sie, wie wenig sich "Drive" in einer Zeit, in der in den Kinosälen seit Jahren lediglich schnelle Autos und schnelle Schnitte, waghalsige Stunts, farbenfrohe Optik, oberflächlichste Charakterzeichnung und hölzernes Schauspiel präsentiert werden, darum schert, was Hollywood aktuell umtreibt. Auch wenn der Film in Los Angeles spielt und der von Ryan Gosling dargestellte namenlose Held als Stuntfahrer für die Traumfabrik arbeitet, sieht man die Stadt der Engel größtenteils nur bei Nacht, und dann vor allem in Form dunkler Straßen, die sich im Rückspiegel des Autos wiederfinden. Zudem ist auffällig, dass kaum neue Gebäude zu sehen sind, sondern vor allem welche, die man bereits in den 80er Jahren vorfand.

Dies ist in der Hinsicht interessant, als dass "Drive" wie kaum ein anderer Film eine Hommage an die 80er Jahre ist. Das beginnt bei den pinken Titeln am Anfang, erstreckt sich über den von Cliff Martinez komponierten Retro-Elektropop-Score, die Kleidung der Beteiligten, die Bösewichter, die allesamt so überzeichnet sind, wie dies in den 80er-Action-Streifen üblich war, und endet bei den abermals pinken Credits. Der Soundtrack besitzt hierbei echten Ohrwurmcharakter, siehe insbesondere "A Real Hero" von College feat. Electric Youth, das bei den Credits zum zweiten Mal erklingt und das Publikum ein paar Jahrzehnte zurückversetzt. Er ist aber oft eher als Sound Design einzustufen, mit den monotonen elektrischen Klängen, die die Spannung in einzelnen Szenen noch verstärken, weil sie eine Atmosphäre der konstanten Bedrohung herbei beschwören. Als Beispiel sei allein die Szene mit der ersten Fluchtfahrt von Goslings Figur angeführt, nach der auch der Zuschauer kaltgeschwitzt ist und deren Reiz insbesondere auch daher rührt, dass die Kamera sich nie aus dem Auto bewegt und alles aus Sicht des Hauptcharakters präsentiert.

Aber Refn hat es nicht nur auf die 80er Jahre abgesehen: Er bedient sich auch eifrig bei Elementen des Film Noir, gibt mit Bernie Rose und Nino zwei Antagonisten Namen, die denen von Trash-Regisseuren und Kostümdesignern entsprechen, die vor allem in den 90er Jahren in Erscheinung traten, und etabliert einen Hauptcharakter, der gut und gerne als die Reinkarnation des von Clint Eastwood dargestellten, ebenfalls namenlosen, Blonden aus dem legendären Western "Zwei glorreiche Halunken" angesehen werden kann.

Wie Eastwoods "Blondie" ist Goslings "Fahrer" äußerst wortkarg und auf den ersten Blick auch auffällig emotionslos. Der letzte Eindruck ändert sich aber mit zunehmender Screentime und Präsenz Goslings, denn was allein in seinem Gesicht vonstatten geht und durch simpelste und vermeintlich nebensächliche Gesten transportiert wird, ist sensationell. Da wird ein kleines Anheben der Mundwinkel bedeutungsvoller als so mancher Gefühlsausbruch von weniger talentierten Schauspielern in anderen Filmen. Und spätestens bei der Szene, als Goslings Charakter Nino anruft und in Anbetracht dessen, was er nur Sekunden zuvor getan hat, vor Adrenalin nur noch zittert, jedoch versucht, weiterhin cool zu wirken und seinen Körper still zu halten, ist evident, welch ein Glücksgriff er für "Drive" eigentlich ist. Dazu kommt der Umstand, dass er den Film komplett alleine trägt, was in Anbetracht von Schauspielgrößen wie Bryan Cranston ("Breaking Bad"), Carey Mulligan ("An Education"), Albert Brooks (Oscarnominierung für "Nachrichtenfieber"), Oscar Isaac ("Sucker Punch"), Christina Hendricks ("Mad Men") oder Ron Perlman ("Hellboy", "Sons of Anarchy"), die sich die Leinwand mit ihm teilen, alles andere als selbstverständlich ist.

Dabei ist es keineswegs so, als könnten die anderen Darsteller nicht überzeugen. Carey Mulligan spielt die alleinerziehende Mutter im Rahmen der Möglichkeiten, die ihr die Rolle gibt, wohltuend nuanciert und hat eine tolle Chemie mit Gosling. Albert Brooks in einer für ihn absolut untypischen Rolle als Gangsterboss ist einer gewissen Überzeichnung unterworfen, die er aber mit reichlich Leben füllt. Ron Perlman, der ausnahmsweise einmal Gespür bei der Auswahl eines Drehbuchs bewiesen hat und damit auch mal in etwas anderem als einem lieblos zusammengeschusterten B-Movie mitspielen kann (siehe "Conan", "Der letzte Tempelritter" und jüngst "The Scorpion King 3"), darf als Jude Nino ein wenig gefährlich wirken und rumpoltern, was ihm gut gelingt. Und Christina Hendricks, die zahlreiche Pornodarstellerinnen (!) ausstach, hat eine kleine, aber feine Rolle als undurchsichtige Gangsterbraut Blanche, die sie hoffentlich für weitere Filme empfiehlt.

Inwieweit es der bis dahin sehr atmosphärische und subtile Film nötig hatte, im letzten Drittel auf exzessive Gewalt und vergleichsweise typische Elemente aus dem Actiongenre zu setzen, sei dahingestellt, zumindest hat es einen gewissen Stilbruch eingeleitet. Den kann man konsequent und mutig finden, man kann aber ebenso der 80er-Jahre-Sentimentalität, die dadurch Minute für Minute dekonstruiert wird, sowie den ersten 60 Minuten, die in dieser Form eher hintergründig und weniger offensichtlich waren, nachtrauern.

Fazit

Angetrieben von einem Ryan Gosling in Höchstform, unterstützt durch einen hervorragenden Soundtrack, die sehr referenzielle Herangehensweise, die ihren Charme verströmt, sowie der atmosphärischen Inszenierung, ist "Drive" der Film, an dessen Qualität alle weiteren Werke des Jahres 2012 erst einmal herankommen müssen.

Andreas K. - myFanbase
29.12.2011

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