Bewertung
Tetsuya Nakashima

Geständnisse

"Auch wenn das Gesetz dich schützt, ich verzeihe dir nicht."

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Inhalt

Die Lehrerin Yuko Moriguchi (Takako Matsu) erzählt am letzten Schultag vor der versammelten Klasse vom gewaltsamen Tod ihrer vierjährigen Tochter Manami. Doch Yuko geht es nicht um Verständnis oder gar Mitleid, sondern um Rache. Denn Manami wurde von zwei Schülern Yukos ermordet. Weil beide erst 13 Jahre jung und damit nach japanischem Recht strafunmündig sind, hat sich Yuko einen perfiden Plan zurecht gelegt, um sie für ihre Taten büßen zu lassen. Der erste Akt besteht darin, dass sie den beiden vor ihrer Ansprache HIV-positives Blut in die Milch gemischt hat. Doch das ist nur der Anfang…

Kritik

In Japan war "Geständnisse" einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 2010, Gewinner diverser wichtiger asiatischer Filmpreise und der japanische Beitrag für den "Besten fremdsprachigen Film" der Oscars 2011. Der Grund dafür liegt darin, dass mit Tetsuya Nakashima ("Kamikaze Girls") einer der momentan spannendsten Regisseure Japans sich der nicht nur dort häufig diskutierten Thematik der Strafunmündigkeit japanischer Jugendlicher bis einschließlich ihres 13. Lebensjahres annahm und sein Oeuvre um eine schockierende und wendungsreiche Parabel um Rache und Sühne erweiterte.

Dabei beginnt Nakashimas neuestes Werk denkbar unspektakulär und dokumentiert minutiös das Verhalten einer Schulklasse und einer Lehrerin, die versucht, gegen eine Wand von Lärm und Desinteresse anzukommen – in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um den letzten Schultag handelt geradezu ein Ding der Unmöglichkeit. Der auffällig emotionslosen Lehrkraft gelingt es dennoch, dass innerhalb kürzester Zeit alle 37 Augenpaare auf sie gerichtet sind und an ihren Lippen hängen, was natürlich nicht unerheblich mit der Geschichte zusammen hängt, die sie im Begriff ist zu erzählen. Wie jeder einzelne Schüler, so befindet sich auch der Zuschauer schnell im Sog ihrer Worte, und so wirkt der Monolog, der folgt, nur umso kraftvoller.

Unterstützt wird ihre Geschichte durch die recht offensive Inszenierung Nakashimas, die mitunter auch mal zu viel des Guten ist. Ein nicht unerheblicher Teil von "Geständnisse" läuft in Zeitlupe ab und wird getragen von einem Soundtrack, der bis auf wenige Momente omnipräsent ist. Dadurch wirkt der Film manchmal eher wie ein langes Musikvideo, ist dabei optisch aber so herausragend, dass man sich darum nur bedingt stört. Spätestens in dem Moment, in dem die umtriebige japanische Drone-Metal-Band Boris oder auch Radiohead mit "Last Flowers to the Hospital" ertönen, ist man sich dann auch sicher, dass die musikalische Untermalung ohne jegliche Schwächen ist. Dennoch ist das Schema immer dasselbe: Monolog im Vordergrund, Soundtrack im Hintergrund, und auf der Leinwand Geschehen in Zeitlupe. Manchmal ist weniger einfach mehr, in dem Fall genau dann, wenn dadurch zu sehr von dem eigentlichen Plot abgelenkt wird.

Denn die Handlung ist durchweg spannend und mit zahlreichen unvorhersehbaren Wendungen ausgestattet. Dabei verirrt man sich zwar vereinzelt in kleinere Logiklöcher, die aber allesamt nicht groß genug sind, um das Sehvermögen nachhaltig zu schmälern. Allein die Grundidee, eine Lehrerin Rache an ihren Schülern üben zu lassen und damit das Tabu des verständnisvollen Wissensvermittlers, der das Wohl der Jugend als höchstes Gut ansieht, zu brechen, hat im Nachgang zu so manchen Kontroversen und hitzigen Debatten unter Publikum und Kritikern zugleich geführt. Aber auch die Art und Weise, wie versucht wird, eine Erklärung für bösartiges Verhalten bei Jugendlichen im Film zu positionieren, wird einige auch in Zukunft mitunter irritieren. Es ist selbstverständlich nicht möglich, in einem nicht einmal zweistündigen Spielfilm ein vollständig ausstaffiertes psychologisches und sozialanthropologisches Profil der einzelnen Figuren zu zeichnen und ihr Verhalten selbst in den drastischsten Situationen damit für jeden nachvollziehbar zu gestalten. Das bedeutet aber mitnichten, dass sie unglaubwürdig oder übertrieben agieren. Allein der Versuch, keine simple Lösung anzubieten, ist hierbei zu loben.

Die eigentliche Faszination geht ohnehin von den guten schauspielerischen Leistungen, insbesondere der Jungdarsteller Yukito Nishii und Kaoru Fujiwara, sowie der drastischen Art und Weise, wie Nakashima sie in ihre eigenen Abgründe führt, aus. Da fällt eine etwas weit hergeholte bis unplausible Grundprämisse gar nicht so sehr auf. Bis zum bitteren Ende ist "Geständnisse" von einem nicht zu unterschätzenden Einfallsreichtum geprägt und wiegt weder seine Charaktere noch den Zuschauer in Sicherheit, sodass insbesondere in der letzten halben Stunde aus dem Drama ein waschechter Thriller wird.

Fazit

Vielleicht ist "Geständnisse" in Anbetracht einer Inszenierung, die gelegentlich das eigentlich Wichtige aus dem Auge verliert, nicht der Kultfilm, den viele allzu gern bereits jetzt aus ihm machen möchten. Nichtsdestotrotz offenbart Nakashimas neuestes Werk, dass kontroverse Filmideen drastisch dargestellt und dennoch nicht plump umgesetzt wirken können.

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Andreas K. - myFanbase
23.07.2011

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