Bewertung
Andrea Arnold

Fish Tank

"Life's a bitch and then you die; that's why we get high / 'Cause you never know when you're gonna go."

Foto:

Inhalt

"Fish Tank" erzählt die Geschichte von Mia (Katie Jarvis), einer rastlosen 15-Jährigen, die sich immer wieder selbst in Schwierigkeiten bringt und die sowohl von der Schule als auch von ihren Freunden ausgeschlossen wurde. Sie lebt gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Tyler (Rebecca Griffith) und ihrer Mutter (Kierston Wareing), die lieber Partys feiert als sich um ihre Kinder zu kümmern, in einer Sozialwohnung im englischen Essex. An einem heißen Sommertag bringt ihre Mutter schließlich einen mysteriösen Fremden (Michael Fassbender) als ihren neuen Freund nach Hause, der verspricht, alles zu ändern und Liebe in das Leben der Familie zu bringen.

Kritik

Eigentlich ist es eine Erfolgsgeschichte, die sonst nur Hollywood schreiben kann: Hauptdarstellerin Katie Jarvis wurde durch Zufall von einem Castingagenten entdeckt, als sie sich lautstark an einem Bahnhof mit ihrem damaligen Freund stritt. Natürlich glaubte Jarvis zunächst nicht, dass es der Agent ernst meinte und weigerte sich sogar, ihm ihre Telefonnummer zu geben. Doch schließlich ließ sie sich von ihm die Nummer geben und rief dort später an. Was sie erst nicht wusste war, dass der Agent für Oscargewinnerin Andrea Arnold arbeitete und dass sie bald ohne jegliche Schauspielerfahrung die Hauptrolle in einem Film übernehmen sollte, der bei den Festspielen von Cannes 2009 den Preis der Jury gewann und dass ihr für ihre schauspielerische Leistung internationaler Respekt entgegen gebracht wurde.

Mit der zum Dreh 17 Jahre alten Katie Jarvis steht und fällt zweifelsohne der gesamte Film, ist sie doch die gesamte Laufzeit über in jeder einzelnen Szene zu sehen. Ihr Charakter Mia fungiert als der Schlüssel zur Handlung, weswegen es unverzichtbar ist, dass man ihr das, was sie spielt, auch abnimmt. Mit ihrer Natürlichkeit und Echtheit (sie ist in Essex groß geworden und kommt aus zumindest ähnlichen Verhältnissen), für die die begabtesten Schauspieler Monate an Vorbereitung benötigen würden, vollbringt sie das Kunststück, dass man genau dies tut. Gleichzeitig gibt sie ein leidenschaftliches Plädoyer dafür ab, dass es durchaus richtig ist, aus Realismusgründen vor allem in Indie-Filmen immer wieder Vertrauen in vollkommen ungelernte Schauspieler zu haben, die praktisch von der Straße weg engagiert werden. Nicht ein einziges Mal kommt man auf den Gedanken, an ihren Schauspielkünsten zu zweifeln und deswegen aus dem Erlebnis Film herausgezogen zu werden.

Dazu kommt Michael Fassbender als Connor, ein mysteriöser Fremder, der in eine Familie, die das seit Jahren nicht kennt, Liebe, Warmherzigkeit und Spaß hineinbringt, und irgendwann daran scheitert, dass er mehr für Mia empfindet als er dürfte. Zuletzt konnte man den gebürtigen Heidelberger in Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" sehen, aber vor allem mit seinen jüngsten Leistungen in "Hunger", wo er einen Hungerstreikenden verkörperte und am Ende lediglich noch 59 kg wog, und in "Fish Tank" hat Fassbender bewiesen, dass er der wahrscheinlich momentan beste deutsche Schauspieler ist. Sein Portrait von Connor ist perfekt nuanciert und vor allem aufgrund der zahlreichen Ambivalenzen in seinem Verhalten so faszinierend. Dazu kommt, dass man ihn nur als neuen Freund der Mutter kennenlernt, von seinem Leben ist sonst nur sehr wenig bekannt. Connor selbst verschwindet im Laufe des Films zusehends aus dem Bild, was Mias Racheplot an Connor einläutet, der regelrecht Züge eines Thrillers trägt und an Spannung und Unvorhersehbarkeit kaum zu überbieten ist.

Denn auch wenn die realistische und detailgetreue Darstellung des Lebens in englischen Sozialwohnungen das eigentliche Setting und alles bestimmende Thema ist, so ist der vorläufige Höhepunkt des Films der, in dem Mia für sich bestimmt, dass Connor nicht so ohne Weiteres aus ihrem Leben und dem ihrer Mutter und Schwester verschwinden darf, und daraus entsprechende Konsequenzen zieht. Und während sich zahlreiche Genrevertreter an Unglaubwürdigkeit zu überbieten scheinen, stellte sich Andrea Arnold genau die richtige Frage: Was kann ein junges Mädchen schon tun? Was würde es wirklich tun?

Wie bereits erwähnt, ist der rote Faden das schonungslos realistische Abbild des Lebens in den Sozialwohnungen Englands, inklusive heftigsten Beschimpfungen und allgemein teilweise sehr vulgärer Ausdrucksweise in übelstem Dialekt. Doch zusätzlich dazu gesellt sich der Plot von Mia und ihrem Ziel, Tänzerin zu werden. Dafür trainiert sie täglich, dafür kann sie sich begeistern. Dementsprechend erhält der Zuschauer einen Einblick in Mias Bemühungen und sieht ihr beim Tanzen zur Musik aus ihrem Discman zu, was teilweise an athletischer Grazie kaum zu überbieten ist. Nebenbei versucht sie zudem, ein vollkommen ausgehungertes Pferd zu retten und entgeht nur knapp einer Massenvergewaltigung, was zu sich einem weiteren interessanten Nebenplot entwickelt.

Fazit

"Fish Tank" ist einer dieser Filme, deren Intensität dazu verleitet, auch noch gebannt die Credits zu verfolgen, während Nas' wunderbar passender Rapklassiker "Life's a bitch" ertönt, um noch wenige Minuten länger in der Welt von "Fish Tank" zu verharren, um den Gang zurück in die Wirklichkeit noch ein wenig hinauszuzögern. Eine derartige Überwältigung des Zuschauers allein anhand von schonungslosem Realismus und grandiosen Darstellerleistungen ist höchst selten.

Andreas K. - myFanbase
22.10.2009

Diskussion zu diesem Film