Bewertung
Lars von Trier

Antichrist

"When nature turns evil, true terror awaits."

Foto: Copyright: MFA FilmDistribution e.K.
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Inhalt

Ein Paar befindet sich in sexueller Ekstase und merkt nicht, wie der gemeinsame Sohn aus dem Fenster fällt und stirbt. Während Er (Willem Dafoe) damit anscheinend vergleichsweise gut umgehen kann, fällt Sie (Charlotte Gainsbourg) in eine tiefe Depression. Er, ein Psychotherapeut, möchte Sie daraufhin selbst behandeln und entscheidet sich dafür, dies durch Konfrontation und ohne Medikation zu tun. Als die beiden an den Ort fahren, vor dem Sie die meiste Angst hat, ahnt Er noch nicht, zu welcher Katastrophe es kommen wird.

Kritik

Eigentlich ist man bei den diesjährigen Festspielen von Cannes ursprünglich davon ausgegangen, dass Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" der Film sein würde, an dem sich die Meinungen der Jury spalten werden. Doch während man sich dort ziemlich einig über die Qualität von Tarantinos etwas eigenwilliger Interpretation von Nazideutschland war, sorgte der selbsterklärte beste Regisseur der Welt, Lars von Trier, mit seinem Horrordrama "Antichrist" für Kontroversen, die in ihrem Ausmaße ihresgleichen suchen. Von enthusiastischen Stimmen, die den Film für ein Meisterwerk halten bis zu "frauenfeindlichem Schund" war alles dabei. Und während Hauptdarstellerin Charlotte Gainsbourg für ihre Leistung von der Jury ausgezeichnet wurde, erhielt "Antichrist" aufgrund der expliziten Gewalt und der misogynen Darstellung den Anti-Award der ökumenischen Jury des Festivals von Cannes, der extra für den Film ins Leben gerufen wurde. Eines wurde klar: So polarisiert hat selten ein Film.

Besonders schade sind die Meinungen, die sich allein auf die Misogynie und die drastische Gewaltdarstellung konzentrieren deshalb, weil "Antichrist" so viel mehr zu bieten hat als das. Bereits der Prolog, der in körnigem Schwarz-Weiß gehalten und mit der Arie "Lascia ch'io pianga" der Oper "Rinaldo" von Georg Friedrich Händel unterlegt ist, zeigt mit atemberaubenden Zeitlupeneinstellungen, dass Lars von Trier immer noch einer der Besten ist, wenn es darum geht, einen Zuschauer allein durch die Verbindung von Bild und Ton sprachlos zu machen, ohne dass dies unbedingt der eigentlichen Handlung geschuldet ist. Selten wurde der sexuelle Akt eindrucksvoller auf die Leinwand gebracht wie hier. Dass dabei auch eine Einstellung dabei ist, die explizit den Geschlechtsverkehr der beiden Protagonisten zeigt und schon allein damit natürlich unmöglich eine Jugendfreigabe erhalten kann, mag zwar effekterhaschend wirken, fügt sich aber harmonisch in die gesamte Szenerie ein.

Nach dem Prolog und dem eigentlichen Auslöser der weiteren Handlung beginnen vier Erzählkapitel, die den Hauptteil des Films verkörpern. Was als therapierender Besuch in die Idylle gelten soll, verkommt schnell zu einer zunehmenden Entzweiung der beiden. Doch bis zur eigentlichen Katastrophe dauert es noch einige Zeit, und so wird den beiden Hauptdarstellern, vor allem Gainsbourg, genug Möglichkeit gegeben, zu glänzen. Das schauspielerische Repertoire der englisch-französischen Mimin ist höchst beeindruckend und kann nicht hoch genug gelobt werden. Selten gab es eine derartige Herausforderung für eine Schauspielerin, die sich von elektrisierender Ekstase über Apathie, unbändigen Hass, tiefe Trauer und himmelhochjauchzende Fröhlichkeit erstreckt. Willem Dafoe, von dem das Drehbuch eine sehr reservierte Rolle und ein entsprechendes Schauspiel verlangt, wird damit knallhart die Show gestohlen, was aber keineswegs gegen den zweimal für einen Oscar nominierten Dafoe, sondern vielmehr für Gainsbourg spricht.

Die eigentliche Katastrophe jedoch, und damit der Punkt, an dem aus einem Beziehungsdrama ein knallharter Gewalthorror beginnt, wird durch eine Szene eingeläutet, die schon in so manchen Kinosälen für schallendes Gelächter gesorgt hat: Ein sich selbst zerfleischender Fuchs beginnt zu sprechen und gibt die Worte "Chaos reigns" von sich. Dass das mitnichten ein plakativer Versuch ist, sich von anderen Filmen abzugrenzen und ein weiteres schockierendes Bild zu zeigen, wird in der Folge deutlich. Die Natur erscheint zunehmend als unheimlicher Ort, als regelrechter Feind des Menschen, in diesem Fall von den beiden Protagonisten. Dass die Hütte, in der die beiden sowohl ihre Probleme bewältigen als auch Ruhe finden wollen, "Eden" heißt, kann auch nicht unter dem Schlagwort Zufall verbucht werden. In weiteren sehr bedrückenden und angsteinflößenden Bildern wird die Natur so als ein großes und bedrohendes Wesen gezeigt.

Was folgt ist das, was Publikum und Kritiker zu derart negativen Stimmungen bewogen hat: die explizite Darstellung von Folter und der Verstümmelung von Geschlechtsorganen, aber auch die Thematisierung der zunehmenden Überzeugung der Protagonistin, dass Frauen inhärent böse seien. Man mag davon halten, was man will, einige Kritikpunkte sind durchaus nachzuvollziehen (aber nicht zwingend zu teilen). Dennoch hat Lars von Trier das Kunststück vollbracht, den Zuschauer mit großartigen Bildern derart in den Bann zu ziehen, dass die Wirkung der Gewaltszenen umso verstörender und schockierender ist und damit auch lange nach dem Film noch schwer im Magen liegt. Der Vorwurf der Misogynie von Triers ist verständlich, aber durchaus dadurch zu erklären, dass die Haltung der Protagonistin ebenso wie ihr folgendes Verhalten durch den Schock über den Tod ihres Sohnes, das daraus resultierende Gefühl der Schuld und die anschließende Fehltherapie ihres Mannes ausgelöst wird. Es ist sehr fraglich, ob Sie unter anderen Umständen zu einem ähnlichen Schluss gekommen wäre.

Fazit

Mit "Antichrist" ist Skandalregisseur Lars von Trier ein harter, erschreckender und drastischer Film gelungen, der auch in Zukunft noch zahlreiche energische Reaktionen auslösen wird. Insbesondere die Gewaltszenen laden geradezu zu empörten Stimmen ein, sollten aber gleichzeitig nicht für sich allein, sondern im jeweiligen Kontext betrachtet werden. Und der wurde nur in wenigen Fällen derart überzeugend durch Schauspieler dargestellt und visuell atemberaubend inszeniert. Wer sich nicht abschrecken lässt und gleichzeitig auf den Film einlässt, wird mit einem Erlebnis sondergleichen den Kinosaal verlassen. Nicht umsonst sieht von Trier, der durchaus bereits zahlreiche angesehene Filme, wie unter anderem "Dancer In The Dark", gedreht hat, "Antichrist" als seinen wichtigsten und gleichzeitig besten Film an.

Andreas K. - myFanbase
31.08.2009

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