My Bloody Valentine

My Bloody Valentine in der Arena, Wien

Die Shoegaze-Legenden My Bloody Valentine nach über 20 Jahren wieder mit neuem Material auf der Bühne – weder vor der brütenden Hitze noch vor der drückenden "Wall of Sound" kann man sich verstecken: So muss es sich anfühlen, wenn die Welt untergeht.

Foto: My Bloody Valentine - Copyright: My Bloody Valentine
My Bloody Valentine
© My Bloody Valentine

Selbst in gläsernen Zeiten wie diesen, in denen man im Musikbusiness nichts mehr verheimlichen kann, gelingt hin und wieder noch eine Überraschung: Im Frühjahr versetzte die wahrscheinlich wichtigste Shoegaze-Band My Bloody Valentine das Internet in Aufruhr, als sie seit sage und schreibe 22 Jahren mit "mbv" wieder ein Album veröffentlichte – ein Album, das quasi das "Chinese Democracy" des Noiserock war; so oft angekündigt, dass niemand mehr daran glaubte. Im Gegensatz zu "Chinese Democracy" hat sich die Wartezeit auf den Nachfolger von "Loveless" allerdings ausgezahlt – auch wenn das 1991 erschienene zweite Album der Band nach wie vor so etwas wie der heilige Gral des Shoegaze bleiben wird, so sagenumwoben, mystisch und vielzitiert, wie es nur wenige Alben der Musikgeschichte sind.

Hatte die Band bereits 2008 und 2009 seit langem wieder eine Handvoll Konzerte gegeben, so bietet sich nach dem Erscheinen von "mbv" bei der darauffolgenden ausgedehnten Tour für die meisten Zuspätgeborenen erstmals die Gelegenheit, einem der ebenfalls sagenumwobenen Live-Auftritte der Iren beizuwohnen. Die richtige Einstellung und die richtige Ausrüstung sind dabei wirklich das A und O: Wer glaubt, wenigstens hier ein paar Textbrocken aufschnappen zu können, liegt falsch. Wer keine Ohrstöpsel eingesteckt hat, ist selbst schuld. Wer nach dem Konzert ein gequältes "das war aber laut" von sich gibt, hat wohl grundsätzlich Recht, aber kein Recht, sich darüber zu beklagen.

Am 6. August in der Arena in Wien kommt auch noch die hundselende Hitze hinzu, die dem Publikum den Rest gibt – und es außerdem schwer macht, sich auf irgendetwas richtig zu konzentrieren. So hat die Vorband "Snoww Crystal" einigermaßen damit zu kämpfen, sich Gehör zu verschaffen. My Bloody Valentine fällt dies freilich leicht – und es hat schon etwas Episches, als die Band, der man so gut wie ein ganzes Genre zu verdanken hat, auf die Bühne schlurft und gleich mit einem Stück von "Loveless" loslegt.

Der Fokus liegt ohnehin wie erwartet auf ihrer berühmtesten Platte, die Eckpfeiler bilden die paar Songs, die man mit viel gutem Willen als eingängigste Nummern, mit absoluter Sicherheit aber als Klassiker der Band bezeichnen kann: Der Konzert-Opener "I Only Said", "When You Sleep", "Only Shallow". Ansonsten gilt, was immer schon galt: Spricht man von anderen Bands der Marke Shoegaze/Noise von "Sich-durch-die-Soundschichten-buddeln", so muss man bei My Bloody Valentine ganze Berge von Schutt abtragen, bis man mit etwas Mühe zwei, drei Melodieansätze freigelegt hat. Falls nichts auftaucht: Das brutal dahingrollende Getöse und Geschwurbel einfach auf sich wirken lassen – man glaubt kaum, was man da bei geschlossenen Augen plötzlich für seltsame Geräusche zu hören vermag.

Denn: Augen zu und auf den Text hören ist natürlich ebenso wenig drin – es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr die Band in Interviews betont, dass die Lyrics für sie eine furchtbar wichtige Sache seien; nur um dann dafür zu sorgen, dass kein Schwein sie je versteht. Respekt an die paar Fans der wohl allerersten Stunde, die tatsächlich jedes einzelne Wort parat haben, dass Bilinda Butcher und Kevin Shields da vorne stoisch in ihr Mikro hauchen, während rund um sie die Welt zusammenstürzt.

Angesichts der drückenden Gitarrenwände und dem erstickten Gesang ist der beste Moment des Abends auch relativ leicht zu vergeben: "Only Tomorrow" vom neuen Album beginnt mit Butchers verträumtem, weggetretenem Singsang und mündet in ein Gitarrensolo, das sich messerscharf und elegant etwa drei Minuten lang über all den Lärm hinwegsetzt und sich tatsächlich wie eine Art Offenbarung anfühlt.

Das Konzert endet mit "You Made Me Realise" von der gleichnamigen EP – der kurze Krachmoment in der Mitte des Stücks wird hier natürlich zum absoluten Albtraum aufgebauscht: Alle Feedbackorgien, die so viele Bands gerne vor ihrem Abgang von der Bühne veranstalten, sind im Vergleich zu diesem nicht enden wollenden Höllenlärm harmlose Schlaflieder. Als die Band schließlich wie auch immer wieder in den ursprünglichen Song zurückfindet und sich wenig später ganz lässig verabschiedet, als hätte sie nicht gerade sämtlichen Leuten einen Gehörsturz verpasst, ist man froh, dass man hier nicht mit einer Zugabe zu rechnen hat – es wäre weder passend noch zu verkraften gewesen. Und so toll es ist, die legendären, sagenumwobenen My Bloody Valentine noch einmal live erlebt zu haben: Das Wissen, wie es sich anfühlen würde, wenn die Welt untergeht, langt wohl für die nächsten 20 Jahre.

Setlist

I Only Said / When You Sleep / New You / You Never Should / Honeypower / Cigarette In Your Bed / Only Tomorrow / Come In Alone / Only Shallow / Thorn / Nothing Much To Lose / Who Sees You / To Here Knows When / Wonder 2 / Soon / Feed Me With Your Kiss / You Made Me Realise

Artistpage

MyBloodyValentine.org

Stephanie Stummer - myFanbase
22.08.2013

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