Bewertung
Bloc Party, Support Act: delphic.

Bloc Party im Palladium, Köln

Mein letztes Konzert 2008 und mein erstes im nicht mehr ganz so neuen Jahr 2009 hätten in puncto Musik und Atmosphäre nicht wesentlich weiter auseinander liegen können. Zuletzt war ich im Dezember im gemütlichkeitserprobten Gleis 22 in Münster, um William Fitzsimmons, Luke Leighfield und Jason & Theodor zu sehen. Ich weiß nicht, wie viele Gäste das Gleis fasst, und kann es auch nicht erahnen oder schätzen, aber stets ist es kuschelig und familiär gewesen. Dass das mir die liebsten Konzerte sind, erkenne ich immer wieder daran, dass sie in meinem Terminkalender absolut überwiegen. Aber wie das eben so ist im Leben: Was muss, muss. Und wenn wer Großes ruft, bin ich zur Stelle. Egal wo und mit wie vielen noch.

Foto: Copyright: myFanbase/Aljana Pellny
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So trieb es mich einmal mehr in die Schlange vor dem Kölner Palladium. Gegenüber im E-Werk startete gut eine Woche vor Rosenmontag eine Karnevalssause, deren Gäste ich eine knappe Stunde lang ein- und ausgehen sah, und mich – wie immer in Köln – im typisch rheinischen Mikrokosmos wiederfand. (Die Rheinländer mögen mir bitte verzeihen, ihr seid mir inzwischen sogar durchaus an mein ruhrpöttisches Herz gewachsen.) Die Leute auf den verschiedenen Straßenseiten beäugten sich neugierig, während man beide Parteien deutlich ansah, dass sie an diesem Abend um nichts auf der Welt miteinander tauschen wollten. Das Konzert war ausverkauft, einige arme Seelen wanderten mit Pappschildern mit der Aufschrift "Suche Karte" die Schanzenstraße auf und ab. Mauschelnde Stimmen hinter mir flüsterten "Wenn alle, die vor uns sind, ein T-Shirt kaufen, bekommen wir keins mehr". Das war unwahrscheinlich, aber ich ließ mich dennoch so sehr davon beeinflussen, dass ich nach Einlass geradewegs auf den Merch-Stand zusteuerte. Raus sprang eine Tasse, und ein T-Shirt – in schwarz –, und es dauerte auch nicht so lange wie schon so manches anderes Mal, wenn Sachen in mehr als einer Farbe und Ausführung vorhanden sind.

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Den Garderobenbesuch und den obligatorischen Toilettengang später ging ich zur Bühne. Um kurz vor neunzehn Uhr standen rund dreißig bis vierzig Leute vor der Bühne. Warum 1,80m große Männer und Frauen in der ersten Reihe stehen, und warum ich immer besonders laute und lästige Exemplare der Gattung Mensch neben mir habe, werde ich vermutlich noch länger nicht verstehen. So ließ ich diese Ungerechtigkeiten des Konzertalltags über mich ergehen, bis pünktlich um zwanzig Uhr die Vorband delphic., die Bloc Party in ihrem Stil durchaus relativ nahe kommen, die Bühne betrat. Die Briten machten für eine Vorband ordentlich Dampf, und dass ihre Songs – logischerweise – den Geschmack des Publikums weitgehend traf, machte ihre Show zu einer runden Sache. Man gewann den Eindruck, dass Bloc Party selbst (mit-)entschieden hat, wer sie auf der Tour supporten wird, und nicht zwingend die Agentur, die mit ihrer Wahl leider manchmal völlig an dem Publikum vorbeizielt. Schnell jedenfalls entdeckten die ersten Leute Kele Okereke, seines Zeichens Sänger von Bloc Party, auf dem linken Balkon, der durchaus angetan die gute Show von delphic. verfolgte.

Wie gesagt, die von mir besuchten Konzerte sind gemeinhin eher ruhig, und wenn nicht, dann waren es solche, auf denen getanzt und mitgewippt wurde – wie beispielsweise Moneybrother, Clueso oder auch Curse. Wieso auch immer, aber was mich an diesem Abend erwarten sollte, habe ich keineswegs in meine Planungen miteinbezogen. Dass die hinter mir stehenden Leute die zwei Reihen vor mir und mich bei Bloc Partys Opener "One Month Off" auf Thunfischkonservengröße zusammenpressen würden, kam mir nichtmals in den Sinn. Aber in der Tat, die ersten drei Lieder verbrachte ich im Wesentlichen mit drei Dingen: 1. Arme vom Klatschen einfahren. Irgendwie! 2. Kamera einpacken. 3. Atmen! Kurzum: Ich beschäftigte mich mit Überleben. Es beruhigte mich durchaus zu sehen, dass ich nicht völlig mimosenhaft nach Luft schnappte und im Laufe des Abends immer wieder versuchte, meinen Pferdeschwanz – zwischen fremden breiten Männerschultern steckend – zu befreien. Bereits nach Sekunden hörte ich helle Stimmen auf meiner Körperhöhe sagen "Raus. Raus!", deren weibliche Besitzer sich mit ihren Händchen einen Weg zum Rand zu bahnen versuchten. Es wurde gedrückt und gedrängelt, wild und unkontrolliert umherwirbelnde Extremitäten flogen durch die Luft – trafen in gefühlt neunzig Prozent aller Fälle mich. Ich war drauf und dran, meinen Vorgängerinnen an den Rand zu folgen, aber zwei Dinge hielten mich auf: Mein Ehrgeiz, das jetzt durchzuziehen, und nicht zuletzt besagte Extremitäten. Die ständig auf meinen Füßen landenden Füße der anderen taten ihr Übriges. Nach einer guten halben Stunde hatte ich mich den Gegebenheiten im Rahmen meiner Möglichkeiten angepasst: Im Grunde war Mitmachen die einzige Alternative zum sang- und klanglosen Untergang. Und untergegangen wäre ich sicher, wären nicht inzwischen alle Mädels den größtenteils ziemlich ausgewachsenen Herren gewichen, mithilfe deren Schultern, Rücken und Bäuchen mir die Bekanntschaft mit dem Fußboden glücklicherweise erspart blieb.

Dass ich Kele in der ersten Hälfte des Konzerts so gut wie kein einziges Mal länger als zwei Sekunden zu Gesicht bekam, war der Tatsache geschuldet, dass die Leute bald den von mir gefürchteten Circle Of Death bildeten. Soll heißen: Ein Haufen kleiner Rambos dreht sich solange wie von der Tarantel gestochen im Kreis, bis alle anderen vor Angst und Entsetzen zur Seite gewichen sind. Dann stoßen all diejenigen, die nichts gegen blaue Flecken einzuwenden haben, mit Wucht aneinander. Manchmal auch im Takt der Musik.

Als ich erstmal um ein paar Reihen von der Bühne wegorientiert hatte – ich! freiwillig! -, konnte ich langsam anfangen, das wilde Treiben zu genießen. Jetzt bemerkte ich auch erst die ausgezeichnete (!) Qualität, die Bloc Party live an den Tag legen. Erst äußerst selten ist mir eine Band oder ein Künstler untergekommen, der auf der Bühne ebenso sauber, klar und deutlich zu performen vermag, wie er es auf den Alben tat. Ziemlich beeindruckend darüber hüpfte ich auf und ab, hoffte, dass niemand mir meine Tasse in meiner Tasche zertrümmern möge, die ich – hätte ich das alles erahnen können – ganz bestimmt auch an der Garderobe abgegeben hätte.

Spätestens "Song For Clay (Disappear Here)" ließ mich das vergessen. Als wenig später einer meiner absoluten Bloc-Party-Lieblinge, nämlich "Blue Light" vom Debüt gespielt wurde, war ich selig. Da es unter Fans bekannt ist, dass Sänger Kele zuweilen recht schnell an seinen eigenen Liedern satt wird, und vielleicht aus diesem Grund den Song nicht mehr allzu häufig spielt, umso glücklicher. Die enthusiastische, manchmal auch leicht übermotivierte Meute machte hier allerdings alles richtig, und durch ihren textsicheren Gesang die Performance zu einem Gänsehaut-Erlebnis: "If that's the way it is, then that's the way it is" – wie treffend formuliert. Mit "Uniform", das offensichtlich ein weiterer Publikumsfavorit war und ist, und dem phänomenalen kurzzeitigen Finalsong "The Prayer" machten mich die Briten froh. Sehr froh. So froh, dass ich gar nicht Erwägung zog, dass dieses Konzert irgendwann enden musste. Tat es aber – das Ende folgte auf dem Fuße. Das Kölner Publikum klatschte sie für eine vier Songs umfassende Zugabe nochmal zurück auf die Bühne. Warum es bei "Ion Square" allerdings erneut moshte und Circles Of Death ziehen musste, wird dessen Geheimnis bleiben. Ich komme bis heute nicht dahinter, denn textlich ist das Lied schlichtweg eine Hommage an die Liebe.

Da die vier Bloc Partybären scheinbar auch ein wenig Gefallen an dem Abend gefunden hatten, ließen sie sich auch zu einer zweiten Zugabe überreden, und kamen für "Ares" und das atemberaubende "Like Eating Glass" ein letztes Mal wieder. Ob wir denn wirklich dachten, dass sie einfach Schluss machen würden "after this". Natürlich nicht. Kele kündigte die letzten beiden Songs des Abends an, versprach dafür aber, dass es besonders tolle wären. Zum Teil stimmte das auch. Exakt zur Hälfte, um genau zu sein. Persönlich habe ich nichts gegen "Ares", aber erwartet hatte ich "I Still Remember" und "Hunting For Witches". Geboten bekamen wir neben "Ares" einen meiner Evergreens: "Like Eating Glass". Ein mehr als versöhnlicher Abschluss eines Konzertes also, das durchaus mal eine etwas andere Erfahrung war, die ich trotz der Eingewöhnungsphase jederzeit wiederholen würde. Ein Wagnis, das ich immer wieder neu eingehen würde, und auf dessen Wiederkehr ich mich jetzt schon freue.

Zwar fehlten viele meiner Lieblingssongs, auch gerade fast alle Favoriten des neuen Albums ("Halo", "Biko", "Signs", "Zephyrus"), und auch mein geliebtes "Tulips", aber, denke ich mir immer noch, besser so, als hätten die Leute sie durch Moshpit und Circles Of Death ein Stück weit "entzaubert" – wenn auch kaum möglich. Auffällig ist dennoch, dass besagte ausgelassene Lieder mehr als andere von der Liebe und dem Liebeskummer handeln, von Verlust und Leid. Entweder hat Kele sie einfach auch schon über, wie manch anderen Song in seiner Karriere. Vielleicht aber hat er sie deshalb nicht gespielt, weil sie für einen wortwörtlichen Feierabend zu persönlich sind. Ich habe mich sowieso immer gefragt, wie Künstler bei so nahe gehenden Songs auf der Bühne so stark bleiben können. Und stark waren Kele und seine drei Bandkollegen an diesem Abend nämlich ganz bestimmt.

Anmerkung der Verfasserin: Die vergleichsweise geringe Anzahl der qualitativ nicht immer allzu hochwertigen Konzertfotos trägt den oben genannten, hiesigen Gegebenheiten Rechnung.

Fotos

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Setlist: Bloc Party

One Month Off / Trojan Horse / Positive Tension / Waiting For The 7.18 / Price Of Gas / Song For Clay (Disappear Here) / Banquet / Blue Light / Luno / Mercury / Uniform / This Modern Love / The Prayer

Zugabe 1: Ion Square / Talons / Flux / Helicopter

Zugabe 2: Ares / Like Eating Glass

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Aljana Pellny - myFanbase
26.02.2009

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