Mr. M
Eigentlich wollte er nicht mehr. Eigentlich hatte Alt-Country-Crooner Kurt Wagner die Musik schon so gut wie an den Nagel gehängt und sich stattdessen in seinem Malstudio verschanzt, um sich bloß noch der Bildenden Kunst zu widmen. Doch dann machte ihm Produzent und Bandkollege Mark Nevers eines Tages mit der Idee einer "Psycho-Sinatra"-Platte plötzlich wieder den Mund wässrig und Lambchop-Fans somit das unverhoffte Geschenk eines elften Studioalbums.
So manch ein Rezensent gibt sich gerne der Illusion hin, stets objektiv zu sein, doch in Wirklichkeit sind auch Kritiker nur Menschen, die sich in ihrer Meinung stark von persönlichen Vorlieben, Erwartungen, Hoffnungen und Hintergrundwissen beeinflussen lassen. Der eigene Horizont bestimmt also maßgeblich mit, wie man Musik wahrnimmt. Aus diesem Grund wird auch Lambchops "Mr. M" sicherlich die Gemüter spalten, ist es doch ein Album, das Kenntnisse über den Kontext seiner Entstehung und auch eine gewisse Vertrautheit mit dem Sound der Band nahezu voraussetzt, um es in all seiner feinsinnigen Eloquenz und emotionalen Tiefe wirklich wertschätzen zu können. Oberflächlich belauscht, wirkt der mit schwelgerischen Streichern angereicherte und zum Teil leicht jazzig angehauchte Kammer-Country-Folk auf "Mr. M" nämlich noch sehr unscheinbar, um nicht zu sagen etwas einförmig. Böse Zungen würden vielleicht sogar den so vernichtenden Begriff "Fahrstuhlmusik" in den Mund nehmen, um ihren ersten Eindruck zu beschreiben. Doch wer sich in Geduld übt und dem Album Zeit zum Wachsen gewährt, tiefer gräbt und bei den verblümten, impressionistischen Lyrics genauer hinhört, findet irgendwann nicht nur Zugang zu der Musik, sondern wird sich von der betörenden Anmut, die Songs wie "2B2", "Buttons" oder "Kind Of" ausstrahlen, auch kaum mehr losreißen können.
Wer noch dazu weiß, dass "Mr. M" im Allgemeinen und der Quasi-Titeltrack "Mr. Met" im Besonderen Kurt Wagners langjährigem Freund, Kollaborateur und musikalischem Mentor Vic Chesnutt gewidmet sind, der sich nach fortwährender Flirterei mit dem Tod an Weihnachten 2009 schließlich tatsächlich das Leben nahm, wird über das gesamte Album verteilt mal mehr, mal weniger offensichtliche Anspielungen auf den Verlust dieses Ausnahmemusikers entdecken, die den von oft kryptischen Momentaufnahmen dominierten Lyrics eine ungeheure Emotionsgewalt einflößen. So hat man auch unweigerlich einen ganz dicken Kloß im Hals, wenn Wagner in solch herzzerreißenden Zeilen wie "Took the Christmas lights off the front porch / February 31st" ("2B2") oder auch "I think of you today / Man, what a hole" (Mr. M") all seinem Gram Ausdruck verleiht. Spätestens als er dann auch noch das so zerbrechliche "Kind Of" mit den Worten "It's the kind of day you never wake up from" eröffnet und wenig später mit bebender Stimme "On holidays I swear I hear an echo / You hold tight to it then you simply let go / Sure as you let those feelings show / They let you know that you are not alone" ins Mikro wispert, trauern nicht nur Chesnutt-Bewunderer mit Tränen in den Augen mit.
Auf "Mr. M" geht es aber nicht nur um Trauer und Tod, sondern auch um das Leben, die Liebe und die Macht von Freundschaft. Es geht um Verlust und Versöhnung, Schmerz und Erlösung, Nostalgie und Neubeginn, Verzweiflung und Hoffnung, um Alltägliches und Kostbares. Auch wenn es also zweifellos ein äußerst persönliches Album ist, schneidet es sehr universelle Themen an, die jedermann tangieren. Zu dieser Erkenntnis gelangt man jedoch erst, wenn man sich auf den irgendwo zwischen den Tindersticks und Bill Callahan anzusiedelnden Sound, der zwar einen gewissen Oldschool-Charme versprüht, für Lambchop aber mit seinen zum Teil fast schon Lounge-artigen Arrangements durchaus Neuland darstellt, auch wirklich einlässt – eine Entscheidung, die letztlich jeder für sich selbst treffen muss.
Fazit
"The wine tasted like sunshine in a basement" heißt es so irrsinnig schön in der Vorab-Single "Gone Tomorrow" und eine treffendere Metapher könnte man für Kurt Wagners elftes Werk eigentlich kaum finden. Denn "Mr. M" ist ein unheimlich berührendes, belohnendes und für Fans des verstorbenen Singer/Songwriters Vic Chesnutt sogar gewissermaßen kathartisches Werk, das man am besten mit guten Freunden und einem Glas Rotwein genießen sollte.
Anspieltipps
2B2
Gone Tomorrow
Mr. Met
Buttons
Kind Of
Artistpage
Tracks
1. | If Not, I'll Just Die | |||
2. | 2B2 | |||
3. | Gone Tomorrow | |||
4. | Mr. Met | |||
5. | Gar | |||
6. | Nice Without Mercy | |||
7. | Buttons | |||
8. | The Good Life (Is Wasted) | |||
9. | Kind Of | |||
10. | Betty's Overture | |||
11. | Never My Love |
Paulina Banaszek - myFanbase
02.03.2012
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (US): 21.02.2012Veröffentlichungsdatum (DE): 24.02.2012
Genre: Folk & Country, Alternativ
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